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Nässende Wunden, starker Ausfluss

Nach dem Abschluss des Berliner Fantasy-Filmfests ist dessen Programm nun auch in anderen Städten zu sehen

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 7 Min.

Die anderen sind bereits tot, wurden bei lebendigem Leibe zerfleischt. Sie sind der Letzte, den es erwischen wird. Sie können niemanden anrufen, weil Ihnen nach Ihrer Flucht in diese winzige schmuddelige Küche aufgrund eines Missgeschicks Ihr Mobiltelefon ins Waschbecken gefallen ist.

Die Geräusche hinter der Tür, zu der Ihr Blick geht, sind überaus beunruhigend. Vor allem werden sie immer lauter, bis sie schließlich blankes Entsetzen auslösen. Es hört sich jetzt so an, als ob etwas mit Baseballschlägern gegen die Tür hämmert, die sekündlich ein wenig mehr nachgibt und vermutlich nicht mehr lange standhält. Dieses … Ding will herein. Zu Ihnen. Sie flüchten, laufen panisch die Treppe hinunter, die Sie plötzlich hinter sich entdecken, rennen keuchend lange dunkle Flure entlang, auf der hektischen Suche nach einer anderen Tür, die nach draußen führt, ins Freie.

Doch da ist keine.

Von oben ist ein gewaltiges Knirschen und Krachen zu hören, es ist die Tür, die aus ihren Angeln fällt. Man kann das Getrampel dieses … Dings hören, Lärm, zerbrechendes Geschirr, mit einem dumpfen Geräusch umfallende Möbelstücke. Man kann jetzt Ihre weit aufgerissenen Augen sehen, Großaufnahme, den dicken Schweißfilm auf Ihrem Gesicht, ein Schwenk auf das Blut der anderen überall, die es schon erwischt hat und deren Überreste überall verstreut sind.

Da ist es, ein Schimmer. Ein kleines Fenster. Sie schlagen es ein und versuchen verzweifelt hinauszukrabbeln, doch Sie bleiben natürlich stecken.

Später, wenn Sie es exakt in jenem Moment, in dem dieses … Ding nach Ihren Beinen schnappt, doch noch hinausgeschafft haben werden auf den unübersichtlichen unbeleuchteten Parkplatz, werden Sie selbstverständlich im entscheidenden Augenblick Ihre Autoschlüssel nicht finden. Doch dieses ... Ding ist Ihnen auf den Fersen, und es bewegt sich trotz seiner Massigkeit schneller, als man meinen könnte. Im letzten Moment werden Sie die Schlüssel gefunden haben. Und während Sie mit zitternden Händen am Zündschloss hantieren und sich immer wieder nervös umsehen, werden Ihnen die Schlüssel wiederholt aus der Hand fallen. Und dann wird natürlich Ihr Wagen nicht anspringen, so oft sie den Schlüssel auch drehen, während das … Ding unerbittlich näher und näher kommt und die Kamera sich an Ihrem von Entsetzen gezeichneten Gesicht weidet.

Wir befinden uns hier natürlich, wie man rasch erkannt haben wird, im Genre des Horror-Thrillers, in dem es die endlose Variation des Immergleichen ist, die den Betrachter fesselt. In den besten Momenten des Genres gibt es am Ende keine Rettung, keine Erlösung, keine Katharsis für den Zuschauer. Am Ende steht nicht die ebenso langweilige wie fröhlich lachende All-American-Family, sondern der Triumph des Bösen, der Untergang des Helden. Oder die fortgesetzte Panik, das Chaos, die Verzweiflung, das Ende jeder Hoffnung. Es ist schade, dass sich Genre-Filmemacher oder viele deren Filme finanzierende Produktionsfirmen das heute kaum noch trauen: den Alptraum nicht enden zu lassen, das Happy End zu verweigern. Die Zahl der versöhnlichen Schlüsse hat zugenommen: Klappe zu, Böses tot, Menschen, die einander erleichtert in die Arme fallen. So weit, so bekannt, so öde.

Manchmal gibt es allerdings noch Überraschungen. Im Gangster-Drama »Rabid Dogs« (Frankreich/Kanada, 2015) etwa, in dem eine Handvoll Bankräuber mit ein paar Geiseln auf der Flucht vor der Polizei ist, sorgt einer der schönsten Twists der vergangenen Jahre für die Erkenntnis, dass eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse komplizierter sein kann, als man denkt. Eine weitere Entdeckung dürfte auch »The Invitation« (USA 2015) sein, ein beklemmendes Kammerspiel um eine Dinner-Party. Auf vordergründige Effekte verzichtet dieser grandiose Slowburner, der die Eskalation ganz auf seine letzten 20 Minuten verlegt, gänzlich. Stattdessen wird im Zuschauer ein stetig wachsendes Unbehagen erzeugt, dessen Ursache lange verborgen bleibt. Bis plötzlich klar wird: Die Hölle, das sind die anderen, der Nachbar, der anfangs so freundlich wirkende Gesprächspartner, der Mitmensch.

Sonst geht es - ein überaus beliebtes Motiv - beim diesjährigen Fantasy-Filmfest viel um Bisse und Infektionen, die zu nässenden Wunden oder sonderbaren Auswüchsen und Wucherungen führen, um die Penetration des menschlichen Körpers und dessen Manipulation bzw. um die Auslöschung der menschlichen Identität durch unbekannte aggressive Organismen. In »Bite« (Kanada, 2015) etwa, einer überaus gelungenen Hommage an den Body-Horror des Altmeisters David Cronenberg (»Die Fliege«, »Videodrome«), führt bei einer jungen Frau der Biss eines unbekannten Tiers dazu, dass ihr Körper eine immer extremere Mutation durchmacht, die mit einem starken Ausfluss vieler unschön anzuschauender glibberiger Substanzen einhergeht. In »Extinction« (Spanien/Ungarn, 2015), der in einer postapokalyptischen, im ewigen Winter erstarrten Szenerie spielt, gelten die blutdürstigen Kreaturen, in die sich die Menschen nach einer Infektion verwandelt haben, zunächst als ausgestorben. Bis die wenigen Überlebenden, die lustigerweise in einem Flecken namens »Harmony« leben, eine wenig erbauliche Entdeckung machen.

In dem erkennbar die »Alien«-Reihe zitierenden Sci-Fi-Thriller »Infini« (Australien, 2015) findet ein Krieg zwischen einem Virus und der Besatzung eines Raumschiffs statt. Und in dem ganz in den Farben Herbstbraun und Depressionsblaugrau gehaltenen Film »Maggie« (USA, 2015), der dem Zombie-Genre Neues abzugewinnen versucht und als der »traurigste« Film des Festivals angekündigt wurde, spielt Arnold Schwarzenegger einen Farmer, der am Leben seiner kleinen Tochter festzuhalten versucht, obwohl er weiß, dass diese sich im Laufe einiger Wochen unweigerlich in einen Zombie verwandeln wird. Der neue und nicht unclevere Kniff ist hier die Entschleunigung des Genres durch die extreme Verlängerung der Inkubationszeit: Ist meine Tochter noch meine Tochter? Wie lange wird sie es noch sein? Wie lange kann ich sie noch bei mir behalten? Wie viele Wochen, Tage, Nächte hat sie noch bis zum endgültigen Verschwinden ihrer Persönlichkeit?

Am interessantesten mithin unter den Infektions- und Mutationsfilmen ist die auf eine Trilogie angelegte japanische (natürlich, die tapferen Japaner mal wieder, wer sonst?) Manga-Verfilmung »Parasyte« (2014). Darin nisten sich außerirdische Organismen im Menschen ein, zerstören das Gehirn ihres Wirts und übernehmen so nach und nach die menschliche Zivilisation. (Praktisch wie bei der FDP.) Auch das zwar eine alte Idee des Genres, die seit den Fünfzigern in immer wieder neuem Gewand daherkommt, hier aber tricktechnisch beeindruckend gemacht und versehen mit der ungemein charmanten Idee einer nur halb gelungenen Übernahme eines menschlichen Wirts, was dazu führt, dass der befallene jugendliche Protagonist ständig mit dem aggressiven außerirdischen Schmarotzer, der in seinem Arm lebt, diskutieren muss.

Ein Garant für originelle und bitterböse Filme und ein Künstler, in dessen Kopf man keinesfalls wohnen will, war früher auch lange Zeit der japanische Ausnahmeregisseur Takashi Miike, der des Überflusses an grotesken Ideen, die in seinem Hirn wuchern, anscheinend nur Herr wird, indem er pro Jahr mindestens fünf Filme dreht. »Wenn man es denken kann, hat Takashi Miike es bereits gedreht«, heißt es treffend im Programmheft des Festivals. Auch in seinem neuesten Action- und Kampfsport-Spektakel »Yakuza Apokalypse« (2015), das praktisch ohne jede Dramaturgie auskommt, gibt es so einiges: Gangster, Vampire, Gangster, die sich als Vampire entpuppen, Gangster mit Schnäbeln statt Mündern, Kung-Fu-Kämpfer in großen Kunstfell-Froschkostümen (Nein, fragen Sie nicht). Und alle schlagen unentwegt aufeinander ein.

Darüber hinaus wird in vielen Festivalfilmen liebevoll aus der einschlägigen Genregeschichte zitiert, was das Zeug hält: wiederholt beispielsweise Hitchcocks Duschszene aus »Psycho«, am exzessivsten aber das Werk des Genre-Großmeisters John Carpenter, der in den 70er und 80er Jahren mit seinen Werken und den dazugehörigen düster-bedrohlich klingenden Filmmusiken (»Halloween«, »Assault - Anschlag bei Nacht«, »The Fog - Nebel des Grauens«, »Das Ding aus einer anderen Welt«, »Die Klapperschlange«) Stil und Ästhetik des Slasher- und Horrorfilms geprägt hat wie kaum ein anderer.

Das kann so weit gehen wie in dem lustigen Anti-Gentrifizierungsfilm »Sweet Home« (Spanien/Polen, 2015), in dem anschaulich gezeigt wird, wie störende Altmieter auf recht unschöne Weise von einem von der Immobilienfirma engagierten Problemlöser entsorgt werden. Da ist nicht nur der Vor- und Nachspann in exakt derselben Typographie gestaltet wie in Carpenters Filmen, es wird im Kleingedruckten auch »John Carpenter for existing« gedankt.

Gewarnt werden soll hier aber auch vor dem künstlerischen Tiefpunkt des Festivals, einer unsäglichen Klamotte um einen sich in psychotherapeutische Behandlung begebenden Vampir, »Therapie für einen Vampir« (Österreich/Schweiz, 2014). Wer erbärmlich schlechte Witze auf unterirdischem Gaudimax-Niveau und bohrende Langeweile sucht, der wird hier gut bedient (Vampir zum Therapeuten: »Ich glaube, ich habe meinen Biss verloren«, Vampir zum Kellner: »Für mich bitte ohne Knoblauchsoße« usw.).

Fantasy-Filmfest: Frankfurt am Main (noch bis 23. August), Hamburg, Köln, Stuttgart (jeweils vom 20. bis zum 30. August), München (27. August bis 6. September).

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