Vom Pentagon direkt in den Äther

Reaktionen auf das Bin-Laden-Video/Camp Rhino bei Kandahar soll Stätte der Militärtribunale werden

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
»Bin Laden cornered«, ein in die Ecke getriebener Super-Terrorist - mit dieser Nachricht gingen die großen US-amerikanischen Medien in das Wochenende.
Die Botschaft trägt einen doppelten Sinn: Osama bin Laden sei nach der Veröffentlichung des weltweit diskutierten Videos endlich zweifelsfrei als Urheber der Terroranschläge ausgemacht. Und gleichzeitig ziehe sich die Schlinge um den Hals des Bösewichts auch in Afghanistan zu. Das USA-Verteidigungsministerium, das das knapp einstündige Amateurvideo am Donnerstag um 11 Uhr morgens Ortszeit freigegeben hatte, kann die Ausstrahlung als politischen Erfolg verbuchen. Die großen Fernsehsender hatten sich sofort bereit erklärt, das Video direkt aus dem Pentagon in den Äther zu überspielen.

Und die Reaktionen sind eindeutig: Osama bin Laden, vor allem sein Lachen über die Opfer vom 11. September, gelten in der Öffentlichkeit als letzter und schlagkräftigster Beweis, dass er das terroristische Superhirn ist. An den Zeitungskiosken dominierte USA-weit das »Gesicht des Bösen« mit abfotografierten Ausschnitten aus dem Video. Die »New York Times« widmete dem ominösen Abendessen, bei dem sich Osama bin Laden in einer afghanischen Privatwohnung mit einigen Mitstreitern über die »gelungene Operation« freut, gleich vier Farbbilder auf der Titelseite. »USA sagen, es beweist seine Schuld«, heißt es in der Überschrift.

Die englische Übersetzung des Gesprächs ist in voller Länge nachzulesen - auch in vielen anderen Zeitungen. Dennoch wurde auch skeptischen Stimmen Platz eingeräumt. Während die großen arabisch- und muslimisch-amerikanischen Organisationen die Echtheit des Videos nicht bezweifelten und ihre Abscheu über die Erklärungen Bin Ladens ausdrückten, kamen Einzelpersonen zu Wort, die auf Widersprüche hinwiesen: Weshalb ist Bin Laden so ruhig, wenn über ihm USA-Bombenflugzeuge donnern, und weshalb lässt der auf äußerste Sicherheit bedachte Mann ein Video liegen? Die USA-Regierung lieferte nur wenige Hinweise über die Herkunft des Streifens.

Er trage das Datum 9. November, sei in einem Privathaus in Jalalabad gefunden und in Kandahar aufgenommen worden, heißt es. Bush-Sprecher Ari Fleischer deutete vorsichtig an, er sei von Nicht-Amerikanern entdeckt worden. Die CIA habe das Video übersetzt, Bush habe es am 30. November gesehen und daraufhin beschlossen, es unter dem Vorbehalt freizugeben, dass keine Geheimdienstquellen diskreditiert würden. Am 7. Dezember habe die CIA bestätigt, das es nicht gefälscht sei und die Übersetzung durch unabhängige Übersetzer empfohlen. Das Video wird auch eine Schlüsselrolle als Beweismittel vor zivilen und militärischen Gerichten spielen. »Es ist praktisch ein Geständnis«, meinte zum Beispiel Eugene Pepper, ein ehemaliger USA-Justizminister. Das gilt nicht nur für die Verurteilung Osama bin Ladens, sollte er jemals ergriffen werden, vor einem Militärtribunal, sondern auch für andere Al-Qaida-Mitglieder.

Von großer Bedeutung werden die Aufnahmen schon Anfang Januar werden, wenn sich in Virginia die Richter mit der Anklage gegen den Franco-Marokkaner Zacarias Moussaoui befassen, der als mutmaßlicher Entführer Nr.20 gilt. Das Video dürfte die Bereitschaft zur Verhängung der Todesstrafe erhöhen. Die »Washington Post« befasste sich in ihrer Freitagsausgabe ausführlich mit den rechtlichen Konsequenzen. Als Beweismittel würde der Video nur dann nicht zugelassen werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass es gefälscht worden ist oder grobe Übersetzungsfehler enthält.

Als Beweismittel hätte es jedenfalls dieselbe Bedeutung wie richterlich genehmigtes Abhörmaterial, waren sich Rechtsexperten einig. Das Argument, das Video könne in Ermangelung eines Durchsuchungsbefehls nicht als Beweis gelten, trifft nicht zu. Denn in einem Präzedenzfall urteilte das Oberste Gericht 1990, dass dieses Prinzip nur auf Beweisstücke zutrifft, die auf USA-Territorium erlangt worden sind. In die Ecke getrieben ist Osama bin Laden offenbar auch durch die US-Armee und die mit ihr verbündeten Truppen der afghanischen Nordallianz.

Mehr als 100 Kommandomitglieder von Sondereinheiten der Delta Force, der Navy, der Green Berets sowie Scharfschützen der Marines wurden zusätzlich zu den Hunderten von USA-Soldaten zum Bodeneinsatz im östlichen Afghanistan entsandt. Am Donnerstagabend (Ortszeit) erklärte ein Regierungssprecher in Washington, Bin Laden sei umzingelt, und die letzten seiner Mitkämpfer befänden sich in einem Höhlenkomplex zwischen zwei Tälern südlich von Tora Bora. Dass sich bin Laden möglicherweise bereits in Pakistan befindet, mochte der Sprecher aber nicht ausschließen. Unterdessen besetzte im weitestgehenden afghanischen USA-Militäreinsatz seit der Errichtung der Camp Rhino-Basis südlich von Kandahar am 25. November ein Konvoy von Marines den Flughafen der südafghanischen Metropole. Das Wüstenlager Camp Rhino dürfte in den kommenden Wochen weiter zur Militärfestung ausgebaut werden - nicht zuletzt, weil dort die Militärtribunale gegen Taleban- und Al-Qaida-Mitglieder stattfinden sollen. Dass Truppen der USA Afghanistan bald wieder verlassen, gilt als ausgeschlossen - selbst wenn bin Laden im Ausland auftauchen sollte.
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