Hungerstreik gegen Hartz-IV Sanktionen
Ralf Boes demonstriert gegen das System der Sanktionen
Mitten im Hauptstadttrubel am Brandenburger Tor findet man sich plötzlich in einer Wohnzimmeratmosphäre. Auf einen rustikalen Tisch steht eine Karaffe mit Wasser. Oft nehmen auf zwei Stühlen Menschen Platz. Sie stellen den Mann mit dem roten Schal auf den dritten Stuhl Fragen oder sprechen ihm Mut zu.
Schließlich nimmt Ralf Boes seit dem 1. Juli keine Nahrung mehr zu sich, um gegen die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger zu protestieren. »Ich mache keinen Hungerstreik. Das Jobcenter hungert mich aus«, sagt Boes zu »nd«. Seit drei Jahren schon bekomme er kein Geld mehr, weil er sich weigert, an »sinnlosen« Maßnahmen zur Berufseingliederung teilzunehmen.
Bisher konnte sich Boes mit Hilfe von Unterstützern versorgen. Doch seit mehr als 50 Tagen verzichtet er auf diese Hilfe, um hungernd ein Signal zu senden. Boes verweist auf Erfolge in seinen Kampf. So habe ein von ihm initiiertes Gutachten das Sozialgericht in Gotha bewogen, Sanktionen für verfassungswidrig zu erklären. Seit Jahren setzt er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Unter dem schönen Motto »Wählt gut - wählt Boes« kandidierte er bei Wahlen.
Dass er von »Bild« schon als »Deutschlands frechster Hartz-IV-Schnorrer« tituliert wurde, weil er 2012 in einer Talkshow vehement gegen Sanktionen für Erwerbslose stritt, verbucht der 57-Jährige als Auszeichnung. Doch auch von links gibt es Kritik an dieser Form des Körpereinsatzes für die gute Sache. Inge Hannemann etwa, die als Jobcenterbeschäftigte gemobbt wurde, weil sie Sanktionen ablehnt, hält den Hungerstreik für falsch. Sie unterstütze keine für Menschenleben gefährliche Aktion - und sei es das eigene. Die Soziologin Mag Wompel von der Initiative »Labournet« schrieb schon vor zehn Jahren, nicht individuelle Hungerstreiks, sondern Selbstorganisation und politischer Widerstand seien gegen Hartz IV angezeigt.
Doch Boes will nicht aufgeben. Es gehe um Menschenwürde, betont er. Und dass er bereit sei, dafür zu sterben. Man hofft, dass es so weit nicht kommt.
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