Am Ufer ist nicht in Sicherheit

Erik Marquardt über die Ankunft von Flüchtlingen und ihre schwierige Lage auf der griechischen Insel Lesbos

  • Lesedauer: 6 Min.
Tausende Flüchtlinge versuchen ihr Glück, in dem sie von der Türkei den Weg nach Griechenland suchen. Die Überfahrt über das Mittelmeer ist lebensgefährlich und endet nicht am Strand von Lesbos.

Immer mehr Flüchtlinge kommen mit Booten auf den griechischen Inseln an, auch auf Lesbos. Uns erreichen davon die unterschiedlichsten Bilder: Manche Geflüchtete brechen vor Erschöpfung zusammen, andere machen erst einmal ein Selfie. Welche Szenen haben Sie erlebt?
Regelmäßig kommen Schlauchboote an den Stränden an. Es ist dann durchaus so, dass sich die Menschen sehr freuen. Manche lachen, andere brechen in Tränen aus. Das ist eine beeindruckende Situation. Sie haben endlich scheinbar sicheres Land erreicht. Die meisten denken in dem Moment nicht daran, welch schwierige Situation auf sie zukommt. Wenn die Flüchtlinge Selfies machen, sind das aber keine netten Urlaubsbilder, sondern echte Lebenszeichen. Das Handy ist für viele Familien die einzige Möglichkeit, sich zu verständigen.

Die griechischen Inseln sind ein beliebtes Urlaubsziel. Sind sie auch für Flüchtlinge ein paradiesischer Ort? Was passiert mit den Menschen, wenn sie angekommen sind?
Das ist eine etwas skurrile Situation. Die Urlauber sitzen dort am Strand und sonnen sich. Dann entdecken sie einen schwarzen Punkt am Horizont, der immer größer wird, bis schließlich das Boot voller Flüchtlinge bei ihnen landet. Es gibt dort keine staatliche Struktur, die die Menschen empfängt und ihnen sagt, wie es weiter geht. Oft freuen sich die Menschen auch, wenn sie nicht auf die griechische Küstenwache getroffen sind, die sie - so berichten es immer wieder Flüchtlinge - verprügelt oder die Boote angreift. Anwohner oder Touristen sagen den Menschen dann, wo sie den nächsten Ort finden oder geben ihnen etwas Wasser. Dann machen sie sich zu Fuß auf den Weg in die Hauptstadt der Insel, Mytilini.

Zu Fuß?
Die meisten müssen laufen. Denn wer jemanden im Auto mitnimmt, gilt als Fluchthelfer. Auch öffentliche Busse oder Taxis dürfen die Flüchtlinge nicht benutzen, weil die Fahrer Angst vor Strafen haben. Sie sind auf Busse angewiesen, die das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und die Helfer von Ärzte ohne Grenzen zur Verfügung stellen, allerdings sind das zu wenige. Ich habe viele Familien gesehen, die nach Mytilini und damit zum Hafen bei glühender Hitze gegangen sind, einen Weg von 50 bis 70 Kilometern Länge mit Abschnitten von 15 Kilometern ohne eine Ortschaft.

Seit Jahren kommen Flüchtlinge auf Lesbos an. Ist die Überforderung der griechischen Behörden nur auf die gestiegene Zahl Geflüchteter zurückzuführen?
Es gibt Behördenmitarbeiter, die helfen gern. Aber es gibt auch andere. Viele sind überfordert, es werden auch gezielt Menschenrechte verletzt. Die Flüchtenden haben kaum Möglichkeiten, ihre Rechte einzuklagen und sind absolut abhängig von den Behörden. Es ist völlig klar, dass Griechenland gerade in einer schweren Krise steckt. Aber das darf nicht zu dem Schluss führen, dass man sagt: Wenn es den Griechen schlecht geht, geht es eben auch den Flüchtlingen schlecht. Es gibt eine humanitäre Verantwortung für die Flüchtlinge. Der muss Europa, aber auch Griechenland gerecht werden.

Was müsste Griechenland also tun?
Die griechische Regierung hat eine Verantwortung für ihre Angestellten, also Mitarbeiter der Behörden und der Küstenwache zu kontrollieren und mit Strafen zu belegen, wenn sie Menschenrechte verletzen und zum Beispiel Menschen auf offener See Geld, Handys und den Motor wegnehmen und sie einfach treiben lassen. Die Regierung könnte aber auch an vielen Stellen helfen, wo man gar nicht viel Geld in die Hand nehmen muss.

Zum Beispiel?
Das Lager nahe der Hafenstadt Mytilini ist für 1000 Menschen ausgelegt. Es ist zurzeit völlig überlastet, sodass viele Menschen davor und rundherum campieren, während sie auf die Ausstellung der Papiere zur Weiterreise warten. Ganz in der Nähe gibt es einen Supermarkt, aber zu dem dürfen sie nicht gehen, bis sie die Aufenthaltsgenehmigung haben. Das ist völlig irrsinnig, denn es gibt durchaus Flüchtlinge, die gerade 1000 Euro für die Überfahrt im Boot bezahlt und noch einiges an Bargeld bei sich haben. Statt sich etwas zu kaufen, müssen sie teils ungenießbares Essen zu sich nehmen, das von den Behörden zur Verfügung gestellt wird.

Wie verhält sich die EU-Grenzschutzagentur Frontex angesichts dieser dramatischen Lage?
Frontex ist auf dem Meer und an den Stränden im Einsatz. Die Mitarbeiter versuchen aber nicht, den Menschen zu helfen, sondern vermeintliche Schlepper auszumachen. Die nehmen sich also die Person vor, die das Boot gesteuert hat. Der Mensch hat dann ein Verfahren am Hals und bekommt Probleme mit der Ausreise - obwohl eigentlich klar ist, dass so jemand kein Schlepper ist, sondern vielleicht eine Preisermäßigung für die Überfahrt bekommen hat und sich gar nicht der Konsequenzen bewusst ist. Kein Schlepper würde auf solch einem Boot mitfahren, das oft von der Küstenwache entdeckt wird. Die Geschäftsmänner legen es schließlich nicht darauf an, festgenommen zu werden.

Wie gehen die Einwohner der Insel mit der Situation um?
Viele Einwohner leben vom Tourismus und sind nicht gerade begeistert, wenn die Strände vermüllt sind mit den Booten, Schwimmwesten und anderem, was die Flüchtlinge an Bord hatten. Aber die Menschen haben eben gerade andere Sorgen, als den Strand sauber zu hinterlassen. Teilweise gibt es dann Unverständnis darüber, dass die Anwohner sich erst einmal um die Geflüchteten kümmern, statt es den Touristen wieder schön zu machen. Aber diese Streitigkeiten sind nichts gegen das, was man in Deutschland mit Pegida und Co. erlebt. Viele sind sehr offen und helfen bestmöglich, obwohl sie selbst gerade Probleme haben. Vereinzelt gibt es auf der Insel neben Nichtregierungsorganisationen auch selbstorganisierte Gruppen, die versuchen, den Menschen unter die Arme zu greifen.

Die Inselbewohner sind also wie die Flüchtlinge mit der Situation allein gelassen. Was müsste die EU tun, außer Frontex und etwas mehr Geld nach Griechenland zu schicken?
Die meisten, die hier auf den griechischen Inseln ankommen, sind Menschen aus Kriegsgebieten. Sie haben eine große Chance auf Asyl. Es ist also unverantwortlich, dass sie sich kriminellen Schleppern anvertrauen, diese gefährlichen Bootsfahrten auf sich nehmen müssen und danach weiter gezwungen sind, Fluchtrouten einzuschlagen, auf denen sie um ihre körperliche Unversehrtheit bangen müssen. Viele müssen auf dem Weg dursten, haben Hunger oder werden ausgeraubt. Andere würden dringend medizinische Versorgung benötigen und müssen trotzdem weite Strecken laufen. Wichtig wären also sichere und legale Fluchtwege nach Europa.

Doch die Europäische Union versagt nicht nur an den Außengrenzen, sondern auch, wenn sie sich Werte gibt und damit Hoffnungen darauf schürt, dass hier Menschenrechte gelten. Es ist ja nicht so, dass die Menschen alle nach Deutschland wollen, weil sie dort Reichtum erwarten. Mehrere haben mir gesagt, sie wollen nach Deutschland, weil sie dort sicher sind und Menschenrechte gelten.

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