Triumph der Käuze

Im Kino: »Frank« von Lenny Abrahamson

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Die New-Wave- und Independent-Musik der 1970er und 1980er Jahre trieb auch seltsame Blüten. So war es zuweilen regelrecht chic, maskiert die Bühne zu betreten, wie im Fall der US-amerikanischen Avantgarde-Band »The Residents«. Das Düsseldorfer NDW-Pendant »Der Plan« bat ebenfalls in fantasievollen Verkleidungen zum »Gummitwist«. Und im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland war es der »The Freshies«-Frontmann und Komiker Chris Sievey (1955 - 2010), der sich in der Rolle des im Stil der 1950er Jahre bekleideten Frank Sidebottom einen überdimensionalen Pappmaché- bzw. Fiberglas-Kopf überstülpte und damit Dauergast im britischen Fernsehen war. Nachdem in den 1990er Jahren seine Popularität langsam schwand, feierte er 2006 ein Comeback. Vier Jahre später wurde bei Cris Sievey Krebs diagnostiziert. Einen Monat nach dieser Diagnose war er tot. Doch sein Sidebottom ist wieder auferstanden - in Lenny Abrahamsons ebenso skurrilen wie berührenden Film mit dem schlichten Titel »Frank«.

Dessen Drehbuch-Autor Jon Ronson war kurzzeitig Keyboarder der »Oh Blimey Big Band«, die ebenfalls von Sievey/Sidebottom begründet wurde. Beim Schreiben der Tragikkomödie schwebte ihm Johnny Depp als Frank vor. Doch Regisseur Abrahamson wollte von Anfang an den deutsch-irischen Charaktermimen Michael Fassbender für den schwierigen Part. Immerhin ist dessen durch »Inglorious Basterds«, »X-Men: Erste Entscheidung«, »Shame« oder »Prometheus - Dunkle Zeichen« berühmtes Gesicht in den allermeisten seiner Szenen gar nicht zu sehen, weshalb er sich allein auf seine Stimme und seine Bewegungen verlassen muss. Anstatt sich aber in Albernheiten zu ergehen, kreiert er das berührende Porträt eines hochbegabten Außenseiters. Ganz im Sinne des Theater- und Stummfilm-Stars Werner Krauß (1884 - 1959), der einmal auf die Frage, warum er sein Gesicht so gerne hinter Masken verstecken würde, entgegnete: »Um nicht ich zu sein!«

In der irisch-englischen Koproduktion darf der in einem kleinen Küstenkaff lebende Möchtegern-Musiker Jon Burroghs (Domhnall Gleeson) bei der von ihm verehrten Underground-Gruppe mit dem unaussprechlichen Namen »Soronprfbs« als Aushilfs-Keyboarder einspringen. Von den anderen Mitgliedern (prominent besetzt mit Maggie Gyllenhaal, Francois Civil und Carla Azar) gemobbt, fördert ihn ausgerechnet der maskierte Band-Boss Frank. Langsam leckt der enthusiastische Jon Blut und versucht mittels heimlich aufgenommener Youtube-Videos, den Bekanntheitsgrad der Band zu erhöhen. Und siehe da - die »Soronprfbs« werden zum »South by Southwest«-Festival nach Austin/Texas eingeladen. Weil die anderen Mitstreiter den plötzlichen Erfolg kritisch betrachten und schließlich aussteigen, müssen Jon und Frank als Duo auf der Bühne ihren Mann stehen. Doch deren Freude über den Ruhm währt nicht lange. Als Jon bei einem Streit Frank den Kugel-Comic-Kopf abreißen will, kommt es zur Katastrophe.

Abrahamson zündet ein Feuerwerk an absurden Einfällen: Frank legt beispielsweise im Badezimmer seinen Kunststoff-Kopf ab - nur um dann mit einer anderen Kugel-Maske Duschen zu gehen. Der Film ist zugleich Hommage und Mediensatire. Genie und Wahnsinn, Anspruch und Kommerz liegen nah beieinander. Neben dem schwarzen Humor begeistert auch die Stilsicherheit mit der Abrahamson quer durch die Filmgeschichte zitiert. Grandios ist, wenn Maggie Gyllenhaal mit dem Rest der Band in einer Kneipe eine trotzig-traurige Version des »Uhrwerk Orange«-Songs »I Want To Marry A Lighthouse Keeper« zum Besten gibt. Auch der von Filmkomponist Stephen Rennicks geschriebene Song »I Love You All« reißt auf absurde Art und Weise mit, wenn ihn der unmaskierte Michael Fassbinder mit seinen alten Band-Kollegen live intoniert. Jon jedoch zieht in der Schlusssequenz einsam seiner Wege. Zumindest für ihn, den ehrgeizigen Mainstream-Musiker, ist der Traum von der Pop-Karriere ausgeträumt - während die Käuze um Frank sich wiedergefunden haben und triumphieren. Chapeau!

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