Die absurde Logik des Profifußballs

Englands reiche Klubs und die Hektik des letzten Transfertages sorgten für Rekordsummen. Statt zu klagen, sollten die Bundesligisten weiter an ihren Stärken arbeiten

Die deutschen Klubs müssen dem Transferwahnsinn in England weiterhin gutes Scouting und gute Nachwuchsarbeit entgegensetzen.

Daran muss man sich erst mal gewöhnen. Am Dienstag liefen Julian Draxler und Dante auf den Trainingsplatz - auf der Sportkleidung das grüne W, direkt über dem Herz. Ob einer der beiden demnächst beim Torjubel stolz auf das Vereinslogo des VfL Wolfsburg tippen wird? Man sollte nicht auszuschließen, dass aus einem der beiden kurzfristigen Wechsel vom Montag, dem letzten Tag der Sommertransferperiode, eine innige Beziehung entstehen kann. Herzensentscheidungen aber waren sie nicht.

Die Transfers von Draxler (Schalke 04) und Dante (Bayern München) folgten der Logik des Systems. Und das heißt: Zumindest der 21-jährige deutsche Nationalspieler wäre nicht in Wolfsburg gelandet, wenn Kevin De Bruyne den VfL nicht vorher nach England verlassen hätte. Der Transfer von Draxler wurde mit einer Ablösesumme von 35 Millionen Euro zum zweitteuersten innerhalb der Bundesliga. Weil Manchester City kurz zuvor für De Bruyne mit 75 Millionen die bislang höchste Ablösesumme in der Ligageschichte bezahlt hat.

Vielleicht singen die Wolfsburger Anhänger bald ein Lied für Dante oder Draxler. Bis zuletzt stand jedenfalls das »Oh Kevin De Bruyne« ganz oben in der Hitliste. Auch viele Fans haben sich mit dem Geschäft Profifußball arrangiert. Die Stadien sind voll. Und dort werden auch die eigenen Spieler ausgepfiffen und Entlassungen von Trainern oder Managern gefordert. Selbst die meisten Ultragruppierungen, die oft aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung auftreten und für die Rechte von Fußballfans kämpfen, spielen das Spiel mit. Der Fußball wieder mal als Spiegelbild: Es geht um Erfolg - und der hat seinen Preis. Wer das ändern will, muss die Gesellschaft ändern.

Absurd ist es allemal, was diese Transferperiode hervorgebracht hat. Kevin De Bruyne hat bei Manchester City einen Vertrag bis 2021 unterschrieben, der ihm pro Jahr 20 Millionen Euro bringen soll. Insgesamt beläuft sich damit das Volumen dieses einzigen Transfers auf fast 200 Millionen. Das Prinzip ist geblieben, aber die englische Premier League hat durch ihren neuen TV-Vertrag, der den 20 Klubs ab 2016 insgesamt 2,7 Milliarden Euro pro Jahr einbringt, den Markt in eine neue Dimension geführt. Vor einem Jahr wechselte kein einziger Spieler aus der Bundesliga nach England. In diesem Sommer sind es 14 - für mehr als 210 Millionen Euro. Insgesamt investierten die Klubs aus der Premier League mehr als eine Milliarde Euro in neue Spieler. Und das ist nur der Anfang des Angriffs. Das ganz große Geld aus der Vermarktung der Fernsehrechte fließt ja erst im kommenden Jahr.

Wenn die diesjährige Einkaufstour der englischen Klubs nur ein Vorgriff auf kommende Einnahmen war, dann lieferte sie den Verantwortlichen der Bundesligavereine vielleicht einen hilfreichen Vorgeschmack. Vielleicht dann, wenn der kollektive Aufschrei verhallt ist. »Chancenlos« und »abgehängt« lauteten die zuletzt häufigsten Zukunftsprognosen für den deutschen Fußball. Das System wollen allerdings nur ganz wenige verändern. Als Robin Dutt die Idee einer Gehaltsobergrenze nun wieder aufgriff, bekam der Sportdirektor des VfB Stuttgart folgende Antwort seines Kollegen vom FC Bayern: »Der Sozialismus ist gescheitert und der Kommunismus gleich mit«, sagte Matthias Sammer, »wir müssen uns über die veränderte Situation Gedanken machen.«

Wenn sich Sammer und Co. Gedanken machen, dann darüber - auch hier der Logik des Systems folgend -, wie sie noch mehr Geld bekommen können. Die alten Forderungen nach einem lukrativeren, dadurch zuschauerunfreundlicheren Fernsehvertrag werden nun noch lauter vorgetragen. Ab 2016 verteilt die Deutsche Fußball-Liga jährlich 835 Millionen Euro unter den 36 Erst- und Zweitligisten.

Hinter Draxler und Dante kam am Dienstag auch Ismail Azzaoui auf den Wolfsburger Trainingsplatz. Er ist 17 Jahre alt und kostete den VfL eine Million Euro. Das Offensivtalent aus Belgien ist ein Beispiel: für die bisherige Arbeit vieler Bundesligisten, die nun noch besser werden muss. Gutes Scouting und eine gute Ausbildung haben den deutschen Fußball in den vergangenen Jahren so stark gemacht. Das Geld aus England - mit insgesamt mehr als 65 Millionen Euro haben die Bundesligisten nach langer Zeit mal wieder einen Transfergewinn erwirtschaftet - sollte auch in diese Bereiche wieder investiert werden.

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