Warten auf die Züge aus Budapest

Helfer und Behörden bereiteten sich am Donnerstag weiter auf zusätzliche Flüchtlinge vor

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob Züge mit Flüchtlingen aus Ungarn Prag nach Berlin kommen, war am Donnerstag zunächst unklar. Laut Fahrplan sollte ein Zug aus Budapest am Abend gegen 21.15 Uhr in Berlin eintreffen. Am Nachmittag hieß es, direkte Eurocity fielen aus. Flüchtlingshelfer hatten auf Berliner Bahnhöfen in den vergangenen Tagen immer wieder bei der Ankunft von Zügen nach Flüchtlingen Ausschau gehalten, die über die Balkanroute nach Deutschland gelangen, um sie Willkommen zu heißen. Häufig stellten sich Nachrichten über Anreisende als Falschmeldung heraus. Auch die Deutsche Bahn und die Bundespolizei hatten am Donnerstag keine konkreten Hinweise. »Es ist nicht so, dass wir Hundertschaften schon jetzt in den Hauptbahnhof stellen«, sagte ein Sprecher der Bundespolizei.

Das heißt allerdings nicht, dass keine Flüchtlinge nach Berlin gelangen. Im Gegenteil: Über 480 Menschen ließen sich allein am Dienstag beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) registrieren - mehr als doppelt so viele wie das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prognostiziert hatte. Laut Senat gibt es Informationen von Bundesbehörden, dass derzeit 14 000 Asylsuchende aus Ungarn auf dem Weg nach Deutschland sind. Rund fünf Prozent davon würden nach dem Königsteiner Schlüssel auf Berlin verteilt werden. »Die Situation für die Flüchtlingsunterbringung in Berlin wird sich deutlich verschärfen«, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Notfallmaßnahmen des Senats

Noch in der Nacht zu Donnerstag waren in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau durch Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk insgesamt 71 Zelte errichtet worden. In Berlins erster Zeltstadt für Asylsuchende können laut Senat mehr als 600 Menschen untergebracht werden. Die Kaserne wurde bislang für Großlagen der Polizei zurückgehalten, die auf dem Gelände bei Bedarf Polizisten aus anderen Bundesländern untergebracht hat.

Innerhalb von 48 Stunden sollte bis Freitag drei Objekte durch die Berliner Immobilienmanagement (BIM) geprüft werden, ob sie für die Unterbringung von Flüchtlingen geeignet sind. Darunter befindet sich offenbar auch das Gelände des ICC. Ebenfalls in der Prüfung befinden sich die Hangars 1 und 2 des Ex-Flughafens Tempelhof, 1500 Menschen sollen hier leben.

Um Wartezeiten bei der Registrierung der Flüchtlinge zu verbessern, hat das Land Berlin ein ehemaliges Gebäude der Landesbank Berlin in Friedenau beschlagnahmt. Auch die Bearbeitungsstraße für Festgenommene der Polizei in der Kruppstraße soll zur Erfassung von Asylsuchenden dienen. mkr

Eine der versprochenen Notfallmaßnahmen (siehe Kasten) setzte der rot-schwarze Senat derweil um: So wurde in der Nacht zu Donnerstag in Berlin eine Zeltstadt für Flüchtlinge in der ehemaligen Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau errichtet. Innensenator Frank Henkel (CDU) machte genau wie der Regierende am Donnerstag bei einer Stippvisite vor Ort ein Bild von der Lage. Dabei bedankte sich Henkel bei den Einsatzkräften für den Aufbau der Zelte. Auch der Bezug des Ex-Flughafengebäudes in Tempelhof scheint immer wahrscheinlicher. Die Modemesse »Bread & Butter« kündigte an, ihre Veranstaltung im kommenden Januar ausfallen zu lassen. »Wir können keine Party neben traumatisierten Flüchtlingen machen«, sagte ein Sprecher des Modehändlers Zalando, der die insolvente Messe im Juni dieses Jahres gekauft hatte. Stattdessen ist eine Wohltätigkeitsveranstaltung für Flüchtlinge in Vorbereitung. Außerdem will Zalando bei der Ausstattung der Hangars behilflich sein.

Die Opposition im Abgeordnetenhaus sieht die Notfallmaßnahmen und das Krisenmanagement des Senats zum Teil kritisch. »Es gibt einige sinnvolle Maßnahmen«, sagte der flüchtlingspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Fabio Reinhardt. Dennoch wirke es so, als wenn der Notstand ausgenutzt werde, um Zeltstädte zu errichten, die bislang für Berlin ausgeschlossen wurden.

Auch die LINKE kritisierte das reaktive Handeln. »Vom Senat erwarten wir, dass er sich nicht länger wochenweise von Notprogramm zu Notprogramm hangelt, sondern endlich ein nachhaltiges Programm erarbeitet«, sagte Linksfraktionschef Udo Wolf. Damit alle Schutzsuchenden menschenwürdig untergebracht werden können. Die Grünen sicherten für die Flüchtlingsunterbringung ihre volle Unterstützung zu. (mit dpa)

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