Spielball der Naturgewalten

Der moderne Science-Fiction-Film hat diverse, auch originelle Darstellungen des Flüchtlings der Zukunft geschaffen

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.
Die großen Science-Fiction-Produktionen der letzten Jahre haben diverse, auch durchaus originelle Darstellungen des Flüchtlings der Zukunft geschaffen. Doch die meisten Visionen kranken an falscher Ursachenforschung.

Eine nachvollziehbare und erfolgversprechende Strategie von Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, ist der Versuch, die eigene Schuld auf den Schultern zahlreicher Unschuldiger zu verteilen. Die Großindustriellen etwa in Westeuropa wollen naturgemäß die Gewinne privatisieren, die Folgen ihres Profitstrebens für Mensch und Natur aber vergesellschaften - also auch die moralischen Belastungen. Und so wird in zahlreichen Publikationen, etwa zum ökologischen Raubbau, weniger auf jene kleine Gruppe verwiesen, die von Ökoverbrechen extrem profitiert - sondern eher auf »uns alle«, die wir angeblich einen zerstörerischen »Lebenswandel« pflegen und die sprichwörtlichen »Maden im Speck«, ja globale »Parasiten« sind. Der moderne Science-Fiction-Film macht da keine Ausnahme.

Nach dieser Lesart trifft »uns alle« (also den Hartz-IV-Empfänger in gleichem Maße wie den EXXON-Vorsitzenden) ein kleines bisschen Mitschuld an Klimawandel und vergifteten Flüssen - auch wenn »wir« niemals mit FCKW-Gasen Milliarden verdient haben, niemals für sie geworben haben und als Einzelner deren Abschaffung gar nicht herbeiführen konnten. Nach dieser Deutung verläuft die Grenze nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern. In letzteren können sich dann die echten Ökoverbrecher inmitten der Millionen »Mittäter« verstecken - während armen Ländern mit dem Hinweis auf die (zunächst folgenlose) moralische Selbstbelastung der Bürger reicher Länder bequem verweigert werden kann, sich der Natur gegenüber ebenso »parasitär« zu verhalten wie »wir«.

Bei der Darstellung der Flüchtlingsströme in den modernen, düsteren Science-Fiction-Filmen fallen zwei Dinge auf: Zum einen flüchten die Menschen nicht - wie in der ganz aktuellen Realität - vor Kriege führenden Menschen, sondern vor Naturereignissen. Und die werden meist exakt entlang der eingangs erwähnten Formel beschrieben: »Die Menschheit« hat über ihre Verhältnisse gelebt, irgendwann schlägt »die Natur« zurück. Die Flüchtlings-»Ströme« werden (wie in fast allen aktuellen Medienbeiträgen auch) nicht als Folge der Kriege und des Profitstrebens einiger Weniger dargestellt, sondern als eine Quelle beschrieben, die in Staaten »entspringt«, die »auseinandergebrochen« sind - einfach so, wie ein Naturereignis.

Die großen europäischen und US-amerikanischen Science-Fiction-Produktionen der letzten Jahre haben diverse, auch durchaus originelle Darstellungen des Flüchtlings der Zukunft geschaffen. Etwa in Neill Blomkamps »Elysium« von 2013. Das besondere in diesem Film ist, dass nicht die Armen in Richtung Sicherheit und Arbeit flüchten. Hier stiehlt sich die Oberschicht von der (allgemein durch die »Menschheit«) »verbrauchten« und verstrahlten Erde in eine luxuriöse Raumstation. Doch dort bleibt sie nicht lange unbehelligt: Eine Botschaft von »Elysium« ist also, dass sich flüchtende Menschen auch von den mächtigsten Barrieren (hier immerhin der Weltraum) nicht aufhalten lassen. Doch auch in diesem intelligenteren Beispiel eines Hollywood-Blockbusters ist der Fluchtgrund eine Ökokatastrophe und nicht der Krieg.

Eher luxuriöse Fluchtbewegungen werden in Christopher Nolans smartem Philosophiediskurs »Interstellar« von 2014 beschrieben. Auch hier macht »die Natur« den Menschen das Leben zur Hölle auf dem blauen Planeten - also muss ein anderer her. Die Suche nach jenem neuen Menschheitsdomizil führt durch ein kosmisches Wurmloch, weshalb die Flüchtlinge in den Raumschiffen die Zeit anders erleben als die Menschen in der Heimat: Ein einziger Tag an Bord kann Jahrzehnte verstrichener Zeit auf der »von uns allen« ausgelaugten Erde bedeuten. Möglich also, dass dort schon gar kein menschliches Leben mehr existiert, das flüchten könnte, wenn die Raummissionen zurückkehren.

Von den Science-Fiction-Dystopien der letzten Jahre reicht wohl am ehesten »Children of Men« (2006) von Alfonso Cuarón an eine realistische Darstellung von Flüchtlingsschicksalen und den eiskalten Umgang mit ihnen in den Industrienationen heran: Aufgegriffenen »Illegalen« werden alle Rechte verweigert, sie werden in käfigartigen Lagern in den Innenstädten zusammengepfercht - nachdem sie zum Staatsfeind Nummer eins ausgerufen wurden. Warum allerdings die schwache Grundkonstellation des Films - eine drastische Verringerung der Population, da die Frauen seit Jahren keine Kinder mehr gebären - solche Flüchtlingsströme auslösen sollte, bleibt rätselhaft. Klar wird aber auch hier: Die »Natur« ist schuld.

Etwas anders gelagert ist die Horrorvision in der TV-Serie »The Walking Dead«. Nach einer weltweiten (naturgemachten) Zomby-Apokalypse sind die letzten gesunden Menschen permanent auf der Flucht vor den gefräßigen und ansteckenden Untoten. Während sie also die eigentlichen Flüchtlinge sind, erfüllt die Darstellung der Zombies viele Parallelen zu unserem optischen Erleben der abgerissenen Notleidenden, die an »unsere Türen klopfen«. Die Szenen, in denen in »The Walking Dead« lethargische Zombies massenhaft vor den Zäunen der Menschen lauern, erinnern in schockierender Weise an die ganz und gar unwürdigen Szenen etwa am Grenzzaun, der das spanische Melilla von Afrika trennt.

Gleich mehrere Fluchtbewegungen lassen sich in Bong Joon-hos »Snowpiercer« von 2013 ausmachen: Zum einen rast hier der klägliche Rest der Menschheit eingepfercht in einem leidlich Schutz bietenden Zug durch die feindliche Natur - denn mal wieder hat der Klimawandel zugeschlagen. Doch wirklich interessant wird der Film durch die beschriebene Hierarchie innerhalb der Waggons - hier macht der Regisseur deutlich, dass es auch in der Zukunft eben nicht um einen Kampf Mensch gegen Natur geht, bei dem alle Menschen als gleich destruktiv und schuldig anzusehen sind - sondern darum, die Herrschaft Weniger zu beenden. Diese sind in gesicherte Bereiche des Zugs »geflüchtet«.

Eine in vielerlei Hinsicht beachtenswerte Sonderstellung nimmt der ebenfalls von Neill Blomkamp inszenierte »District 9« (2009) ein. In dieser grimmigen Apartheids-Parabel aus der Zukunft strandet ein Raumschiff mit einer Million Aliens in Johannesburg. Sie werden interniert, ein Slum entsteht: Dort in den Townships, wo westliche Kameras jahrzehntelang entrechtete Schwarze einfingen, vegetieren nun die entrechteten Aliens. Immerhin: Statt echter Feindschaft schlägt denen »nur« die totale Ignoranz entgegen - zunächst. Schon bald nämlich wird bekannt, dass eine Privatfirma vorhat, die Fremdlinge auszubeuten - entfernt vergleichbar dem hiesigen Stichwort »Fachkräftemangel«.

Interessant ist auch, wie ältere Zukunftsvisionen sich die aktuelle Gegenwart ausmalten. Die 1990 aufsehenerregende britische TV-Produktion »Der Marsch« beschreibt den Aufbruch zahlloser Flüchtlinge aus nordafrikanischen Flüchtlingslagern. Der Anführer beschreibt die Motivation: »Wir glauben, wenn ihr uns vor euch seht, werdet ihr uns nicht sterben lassen. Deswegen kommen wir nach Europa. Wenn ihr uns nicht helft, dann können wir nichts mehr tun, wir werden sterben, und ihr werdet zusehen, wie wir sterben.« So weit ist das eine zutreffende Vision. Doch leider beruht auch sie auf falscher Ursachenforschung. In »Der Marsch« hat der Klimawandel die Menschen aus der Heimat vertrieben. In der Realität sind es vor allem die Kriege des »Westens«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.