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Rasterfahndung mit Funkzellen

Elektronische Verbindungsdaten werden von den Behörden immer häufiger abgefragt

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Senat würde Funkzellenabfragen gerne nicht nur bei schweren Straftaten einsetzen, sondern auch bei Eigentumsdelikten. Piraten und Linkspartei lehnen das ab.

An diesem Mittwoch wird sich der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses erneut mit der elektronischen Überwachung durch die Behörden befassen. Im Mittelpunkt der parlamentarischen Diskussion stehen die umstrittenen Funkzellenabfragen (siehe Kasten). Die Verwaltung von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat vor Kurzem - allerdings um Wochen verspätet - einen Bericht zu Funkzellenabfragen in Berlin vorgelegt. Das Abgeordnetenhaus hatte im März 2013 einstimmig beschlossen, dass die Justizverwaltung jährlich über die Anzahl der Funkzellenabfragen berichtet.

Laut dem Heilmann-Bericht haben Richter im Jahr 2014 genau 500-mal Funkzellenabfragen genehmigt, bei denen sich die Behörden die Daten von den Telekommunikationsunternehmen besorgen durften. Im Vergleich zum Jahr 2013 mit insgesamt 305 Verfahren handelte es sich um eine starke Steigerung. Ein Trend, der sich auch in diesem Jahr fortzusetzen scheint, wo alleine im ersten Quartal in 167 Verfahren Funkzellenabfragen durchgeführt wurden. Wenn es nach Heilmann geht, soll die elektronische Überwachung künftig sogar über die »erheblichen Straftaten« hinaus auf Eigentumsdelikte wie Einbrüche und Autodiebstähle ausgeweitet werden.

Funkzellenüberwachung
  • Jedes eingeschaltete Handy kann von der Polizei aufgespürt werden – dank der GSM-Ortung (Global System for Mobile Communications). Dieses Ortungssystem beruht darauf, dass sich ein Handy automatisch bei einem Sendemast registriert. Es befindet sich damit immer in einer bestimmten Funkzelle.

    So kann nachvollzogen werden, wann ein Gerät wo genau im Einsatz war. Auch wann welche Nummer gewählt und wie lange telefoniert wurde, kann so ermittelt werden. Die Polizei darf etwa bei Gefahr für Leib und Leben ein Handy orten. Grundlage für diese Funkzellenüberwachung ist unter anderem das Berliner Polizeigesetz (Paragraf 25 ASOG Berlin).
  • Außerdem erfolgen neben dieser individualisierten Abfrage bei Straftaten von »erheblicher Bedeutung« sogenannte nichtindividualisierte Funkzellenabfragen, bei der von den Behörden Datensätze ganzer Funkzellen für einen bestimmten Zeitraum erhoben und abgeglichen werden. Diese Maßnahme ist gesetzlich geregelt in Paragraf 100g Abs. 2 Satz 2 StPO. dpa/nd

Die Opposition von Piraten und Linkspartei lehnt das ab. »Bereits jetzt werden Bagatellen für Funkzellenabfragen missbraucht«, sagt der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Lederer. Dass Heilmann dies zu geltendem Recht machen will, kritisiert Lederer scharf. Schließlich habe bereits der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix 2012 bei stichprobenartigen Untersuchungen nachgewiesen, dass es bei den Funkzellenabfragen nicht immer nach Recht und Gesetz geht.

»Es gibt, seitdem die Funkzellenabfrage 2008 gestattet wurde, keine Untersuchung, ob diese Maßnahme funktioniert«, sagt auch der Abgeordnete Christopher Lauer (parteilos, für Piraten) dem »nd«. Für Lauer sind die Funkzellenabfragen so etwas wie »Überwachungshomöopathie«. Wie bei der umstrittenen Alternativmedizin dienen einzelne Erfolge, um die ganze Methode zu rechtfertigen. Anhand einzelner prominenter Straffälle würden die Strafverfolgungsbehörden eine angebliche Effektivität der Funkzellenüberwachung behaupten, ohne dass es dafür eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis gibt, so Lauer. Dabei seien 500 Fälle im Vergleich zu Kriminalität mit 500 000 Delikten sowieso allenfalls ein »Tropfen auf den heißen Stein«.

Ein weiterer Kritikpunkt der Opposition ist, dass der Bericht des Senats nicht wie frühere Berichte einen Rückschluss auf die Zahl der Menschen zulässt, die in diese Form der »elektronischen Rasterfahndung« bei den Funkzellen geraten sind. »Wir haben als Parlamentarier bei diesem Bericht gar keine Möglichkeit, unserer Kontrollfunktion nachzukommen«, klagt Lauer. Wie viele Menschen betroffen sein können, zeigt unterdessen ein Fall aus dem Bereich »organisierte Kriminalität« im Jahr 2013: Allein bei diesem Verfahren wurden 36 060 820 Datensätze erhoben. »Da wird jeder Berliner dreimal erfasst worden sein«, sagt Lauer.

Nach der rechtlichen Vorgabe in der Strafprozessordnung müssten die von der Abfrage ihrer Verbindungsdaten Betroffene nachträglich darüber informiert werden. Für die Benachrichtigung hatte das Abgeordnetenhaus vorgeschlagen, das sowohl eine Unterrichtung über eine öffentliche Internetseite oder eine SMS-Mitteilung zu prüfen ist. »Da passiert gar nichts«, sagt Lauer. Obwohl es technisch gesehen kein Problem wäre. Der Abgeordnete bezweifelt auch, dass die Festplatten mit den Daten ordnungsgemäß gelöscht werden. Ein Missbrauch der Daten sei in vielen Bereichen denkbar. Piraten und LINKE fordern Heilmann auf, endlich die geforderte Transparenz herzustellen und den einstimmigen Parlamentsbeschluss des Abgeordnetenhauses zu den Funkzellenabfragen umzusetzen.

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