Ein Gesellschaftsroman en miniature

Volker Dittrich: »Wem gehört das Haus in Chemnitz?«

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 2 Min.

Da beschreibt ein Autor minutiös eine 1928 sehr modern gebaute Villa in Chemnitz, dem späteren Karl-Marx-Stadt, und prangert zugleich die Zeit der braunen Schergen an, in der sich zahllose gewissenlose Deutsche zu bereichern verstanden: Was scheren uns die Juden, her mit ihrem Besitz! Zudem versteht er die Nachkriegszeit im geteilten Deutschland vorzuführen. Die Schicksale derer, die sich in der prächtigen Bauhausvilla des jüdischen, 1933 in die Flucht und in den Tod getriebenen Fabrikanten Walther Sachs eingerichtet haben, geben Aufschluss über Deutschlands Umwälzungen. Man erlebt Menschen beim Aufbau und Menschen, die dem neu gegründeten sozialistische Staat abweisend gegenüberstanden. Auch ein Mann wird vorgestellt, den die Stasi ohne Schuld zwei Jahre lang hinter Gittern hielt.

Dabei verstand sich das Gros der neuen Hausbewohner in diesem Staat einzurichten. Sie hatten ihr Heil in Nischen gesucht und Kinder großgezogen, die sich zu fügen wussten - bis im neunundachtziger Jahr ein Geschwisterpaar im Zuge des großen Exodus in den Westen verschwand.

Es ist aufschlussreich, wie nicht wenige der in der Parkstraße 9 Verbliebenen (manch einer von ihnen äußerst DDR-kritisch) nach der Vereinigung zutiefst enttäuscht waren und sich empört gegenüber den neuen Verhältnissen zeigten … Volker Dittrich hat die Bewohner über ein Vierteljahrhundert begleitet, er ist mit seinem Text im Umfeld der Bauhausvilla geblieben, hat den Kreis nie erweitert - und trotzdem viel vom Leben in Gesamtdeutschland gezeigt. Aus kleinstem Fenster gelang ihm eine weite Sicht auf die diktatorischen dreißiger und vierziger Jahre, auf das Chaos und die Wirrnisse der Nachkriegszeit, den Neubeginn im Osten mit den dortigen Errungenschaften und Rückschlägen - besonders aber auch auf die Wendezeit nach dem Mauerfall. Die von ihm geschilderten Einzelschicksale verweisen auf das Leben vieler. Hilfsbereitschaft, von der zu erfahren ist, verweist auf weit verbreitete Hilfsbereitschaft, Tüchtigkeit auf viele Tüchtige - und Verrat auf ein Klima von Verrat.

Alles in allem formen sich Volker Dittrichs Recherchen zu einem kleinen, sehr spannend zu lesenden Gesellschaftsroman.

Volker Dittrich: Wem gehört das Haus in Chemnitz?. Jonas Verlag. 224 S., 72 Abb., geb., 15 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal