Türkei verliert an Stabilität

Deutschlands Außenminister Steinmeier setzt »dringender denn je« auf Zusammenarbeit mit Ankara

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine faire Lastenteilung in der Flüchtlingsfrage fordert auch die Türkei von der EU. Ihre eigene Stabilität ist aber bedroht.

Lob des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier galt am Freitag bei einem Besuch in Ankara der Türkei für die Aufnahme von annähernd zwei Millionen Menschen aus dem Nachbarland Syrien. Wichtig sei jetzt, ihnen eine »Rückkehr-Perspektive« zu ermöglichen. »Wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Türkei dringender denn je.«

Diese Reise nach Ankara kann man getrost als einen Beleg der Hilflosigkeit der Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage sehen. Ohnehin gibt es in Ankara derzeit nur eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen am 1. November. Da hilft es nicht viel, dass der türkische Außenminister Feridun Sinirlioglu über Kant promovierte und keinen Dolmetscher braucht. Er ist und bleibt ein Minister auf Abruf.

Präsidenten Tayyip Erdogan allerdings hat noch vier Amtsjahre vor sich und hält die Fäden der türkischen Politik in Händen. Er hat aber auch ein klares Konzept für die Lösung der Flüchtlingsfrage, die Steinmeier umtreibt. Seit 2011 fordert er den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Ebenfalls seit vier Jahren fordert Erdogan die Einrichtung einer Schutzzone auf syrischem Gebiet, hat dafür aber keine politische Unterstützung bekommen. De facto gibt es so etwas wie eine Schutzzone, nämlich das von Kurden eroberte Gebiet an der türkischen Grenze. Doch das will Erdogan nicht und blockiert es mit Hilfe seines kurdischen Verbündeten Masud Barzani.

Während Erdogan auf den Sturz von Assad setzt, empfiehlt Russlands Präsident Wladimir Putin so etwas wie das Gegenteil davon, eine Lösung der Syrienkrise durch eine Stärkung des zerbrechenden Assad-Staates. Wegen fehlender Alternativen gewinnt eine Zusammenarbeit mit Putin in der Syrienfrage auch im Westen immer mehr Unterstützer. Der US-Verteidigungsminister telefonierte bereits 50 Minuten lang mit seinem russischen Kollegen. Das dürfte Erdogan erzürnt haben.

Dann gibt es die Vorstellung, dass die Türkei die Flüchtlinge irgendwie aufhält, bzw. behält. Doch der Plan, die Flüchtlinge in der Türkei zu halten, ist nicht weniger absurd als vieles andere. Im Mai hatte die Türkei 1,8 Millionen registrierte syrische Flüchtlinge. Es gibt Schätzungen wonach es noch 2,5 Millionen nicht registrierte Flüchtlinge in der Türkei gibt. Ein Teil der Flüchtlinge lebt in Lagern nahe der Grenze, die von der UNO versorgt werden. Doch der UNO geht dafür das Geld aus, auch weil die Europäer selbst nicht genügend helfen. Die Türkei gewährt registrierten Flüchtlingen Gesundheitsversorgung und es gibt dies und das an privater und kommunaler Unterstützung. Aber im Grunde ist das Land überfordert. In einigen Grenzregionen gab es bereits gewalttätige Demonstrationen gegen Flüchtlinge. Mit Geld aus Brüssel ist das Problem nicht zu lösen.

Zunächst müsste es viel mehr sein, als die eine Milliarde Euro, die nun vorgesehen ist, zum anderen wollen Flüchtlinge nicht nur bekleidet und ernährt sein. Sie wollen wie alle Menschen auch eine Zukunft haben. Dazu müsste die Türkei Millionen Menschen in die eigene Gesellschaft integrieren. Dabei sollte man nicht meinen, dass in der Türkei die kulturellen Probleme geringer seien als in Europa.

Seit Erdogan das Kriegsbeil gegen die PKK wieder ausgegraben hat, wird auch die Türkei unstabiler und könnte bald selbst zu einem Land werden, aus dem Menschen fliehen.

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