Bröckelt Orbáns Macht?

Ungarns Premier kämpft gegen Opposition und einen Skandal

  • Andras Rostovanyi
  • Lesedauer: 3 Min.
Viktor Orbáns Rivale Péter Magyar (2.v.r.) nutzt den Skandal um Kindesmisshandlungen, um gegen den Premierminister mobil zu machen.
Viktor Orbáns Rivale Péter Magyar (2.v.r.) nutzt den Skandal um Kindesmisshandlungen, um gegen den Premierminister mobil zu machen.

Viktor Orbán steht seit 2010 an der Spitze der ungarischen Regierung, und lange Zeit schien kein zweiter Regierungschef in der EU so fest im Sattel wie er. Nun aber, knapp vier Monate vor der Parlamentswahl in Ungarn im April, scheint das Fundament der Macht des 62-Jährigen zu bröckeln.

In dem charismatischen Oppositionspolitiker Péter Magyar ist Orbán offenbar ein ernstzunehmender Rivale erwachsen. Magyars Partei Tisza liegt in mehreren unabhängigen Umfragen mittlerweile seit einem Jahr vor Orbáns rechtskonservativer Fidesz.

Tisza ist politisch schwer einzuordnen – auch weil Parteichef Magyar sich zu vielen umstrittenen Themen kaum äußert. Doch der 44-Jährige scheint einen wunden Punkt Orbáns gefunden zu haben: ein Skandal um Kindesmisshandlung in staatlichen Betreuungseinrichtungen.

Den schwerwiegenden Vorwürfen wurde in vielen Fällen nie juristisch nachgegangen – und das unter der Regierung Orbán, die den Kinderschutz zu einem ihrer wichtigsten Grundsätze erklärt hat. Magyar setzt Orbán angesichts des Skandals unablässig unter Druck. Mitte Dezember veröffentlichte er einen bis dahin unter Verschluss gebliebenen Bericht der Regierung aus dem Jahr 2021, in dem mehr als 3000 Fälle von Kindesmisshandlung in staatlichen Betreuungseinrichtungen dokumentiert werden. Rund 50 000 Menschen in der Hauptstadt Budapest folgten dem Aufruf Magyars zu einer Demonstration, auf der sie den Rücktritt der Regierung forderten.

Die Politikwissenschaftlerin Zsuzsanna Vegh von der Denkfabrik German Marshall Fund schätzt die Opposition gegen Orbán derzeit so stark ein wie seit Langem nicht mehr. Statt wie früher einer zersplitterten Opposition sehe sich Orbán nun einem einzigen Gegner gegenüber, der »ähnlich populär« sei wie er selbst, fügt Vegh an. Und die Wirtschaftsdaten sprechen gegen die Regierung: Die wirtschaftliche Entwicklung in Ungarn stagniert, die Inflation liegt mit rund vier Prozent seit Monaten deutlich über dem EU-Durchschnitt.

Der Regierungschef reagiert auf diese Entwicklungen mit auffälliger Umtriebigkeit. Vor Kurzem kündigte Orbán staatlich geförderte Darlehen für den Kauf der ersten Immobilie an, die Verlängerung der Einkommensteuerbefreiung für Mütter von mindestens drei Kindern – und ein 14. Monatsgehalt für Rentner. Auch organisiert der Langzeit-Ministerpräsident sogenannte »Antikriegsdemonstrationen«, an denen politische Verbündete, Künstler und andere Prominente teilnehmen.

Orbán wird auf diesen Veranstaltungen auf der Bühne interviewt, zu persönlichen Angelegenheiten wie zur internationalen Politik. Immer wieder nutzt er diese Gespräche für Angriffe auf Magyar, dem er vorwirft, eine »Marionette« der EU-Kommission zu sein und die Steuern im Land erhöhen zu wollen, um den Krieg gegen Russland zu finanzieren.

Der Politikredakteur Szabolcs Dull verweist darauf, dass Orbán bei früheren Wahlen erst in den drei Monaten vor dem Urnengang seine Präsenz erhöht habe. Nun sei die Fidesz-Partei jedoch gezwungen, »ihren Trumpf schon viel früher zu spielen«.

Unterdessen verabschiedete das von einer deutlichen Fidesz-Mehrheit dominierte Parlament ein Gesetz, das die Amtsenthebung des Präsidenten erschwert. Kritiker sehen in dem Gesetz einen Versuch Orbáns, sich auf das lange Undenkbare vorzubereiten: einen Machtwechsel in Ungarn. Sollte Fidesz tatsächlich verlieren, könnte zumindest der Präsident der neuen Regierung das Leben erheblich erschweren. AFP/nd

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