Volkswagen gibt Abgasmanipulation zu

Bundesregierung erwartet «belastbare Informationen» zur Aufklärung / Rücktrittsforderungen gegen Konzernchef Winterkorn / Verdacht und Vorwürfe auch gegen weitere Autobauer / Umweltorganisation sprechen durch Manipulation von Körperverletzung

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Franfurt am Main. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte in den USA bringt Volkswagen immer stärker in Bedrängnis: Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer legte Konzernchef Martin Winterkorn einen Rücktritt nahe. Als Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung habe dieser entweder von den Manipulationen gewusst oder habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte Dudenhöffer der «Frankfurter Rundschau» vom Montag. Nach Angaben der US-Umweltbehörde EPA entwickelte Volkswagen eine Software, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden.

Der Autoexperte Dudenhöffer schloss in der «FR» nicht aus, dass auch hiesige Modelle mit der Software ausgestattet sein könnten. «Wenn ein Weltkonzern auf einem so wichtigen Markt wie dem nordamerikanischen die Werte manipuliert, dann sollte dringend überprüft werden, ob das nicht auch bei uns geschehen ist», sagte Dudenhöffer. Volkswagen hat wegen der von den US-Behörden festgestellten Verstößen eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben.

Der intelligente Diesel aus dem Hause Volkswagen

Die Fachwelt spricht seit Monaten über intelligente Autos, deren Elektronik in der Lage ist, die Aufgaben des Fahrers teilweise oder ganz zu übernehmen. Bei Volkswagen und Audi hat man offenbar ein etwas spezielles Verständnis davon, was ein smartes Dieselfahrzeug ausmacht.

Wie die US-Umweltschutzbehörde EPA nachgewiesen und der VW-Konzern auch eingeräumt hat, erkennt ein programmierter Algorithmus anhand bestimmter Parameter wie der Position des Lenkrads, der Geschwindigkeit, des Luftdrucks und der Dauer des Motorlaufs, wann das Fahrzeug gerade getestet wird. Solche behördlichen Überprüfungen finden nach standarisierten Verfahren statt. Dann – und nur dann – schaltet die Abgasreinigung in den »On«-Zustand. Ansonsten bleibt der Katalysator abgeschaltet – laut EPA gehen die Emissionswerte für das extrem gesundheitsgefährdende Stickstoffdioxid um das 10- bis 40-Fache in die Höhe. Eigentlich müsste das Auto dann per Alarm eine Fehlfunktion anzeigen, in den Kriechmodus umschalten und zum Werkstattbesuch auffordern – doch die VW-Ingenieure haben die Software offenbar entsprechend manipuliert, so dass dies nicht geschieht.

Unterstellt man einem Auto Intelligenz, bedeutet dies: Die VW-Modelle in den USA sind zwar technisch in der Lage, bestehende Umweltauflagen einzuhalten. Sie tun dies aber nicht, weil sie aus dem Motor die maximale Leistung herausholen möchten, und tricksen lieber die Kontrolleure aus. KSte

Der Skandal ist für VW laut Dudenhöffer eine «Imagekatastrophe par exellence». Auch der Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sprach von einem «großen Schaden» für VW. Er rühre «am Kern des Images» des Autobauers und habe das Vertrauen beschädigt, sagte Bratzel der Nachrichtenagentur AFP. Nun komme die Frage auf, ob die Manipulationen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa Praxis gewesen seien.

Auch die Bundesregierung fordert von den Autoherstellern angesichts des Skandals «belastbare Informationen», um mögliche Manipulationen bei Abgastests auch in Deutschland prüfen zu können. Diese Überprüfung müsse durch das Kraftfahrtbundesamt vorgenommen werden, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums am Montag in Berlin.

Er forderte zudem die Hersteller auf, eng mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten, um eine «lückenlose Aufklärung» zu ermöglichen. Der Sprecher sagte, seinem Haus lägen «keine weiteren Kenntnisse über mögliche Schummeleien deutscher Automobilproduzenten vor». Regierungssprecher Steffen Seibert sagte lediglich, er werde Einzelheiten des Falles nicht kommentieren.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft den Autoherstellern Daimler und Porsche ähnliche Manipulationen vor. «Auch die in Stuttgart ansässigen Hersteller programmieren ihre Autos so, dass diese erkennen, wenn Sie auf einem Abgasprüfstand stehen. Nur dann halten Sie die Grenzwerte ein», sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch der «Stuttgarter Zeitung» vom Montag. Selbst die modernsten Diesel-Autos würden die Luft «ähnlich stark» vergiften wie «15 Jahre alte Fahrzeuge». Weder Daimler noch Porsche äußerten sich auf Anfrage zu den Vorwürfen.

Nach Angaben des ökologischen Verkehrsclubs VCD sei der nun aufgedackte VW-Skandal nur «die Spitze des Eisbergs». Der VCD habe den Verdacht, dass die Abgaswerte bei offiziellen Tests viel niedriger sind als im realen Verkehr, schon 2013 geäußert und in den Folgejahren immer wieder Nachprüfungen gefordert, erklärte der VCD am Montag in Berlin. «Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren und das nicht nur in den USA», erklärte der verkehrspolitische Sprecher des VCD, Gert Lottsiepen.

Die EU müsse nun reagieren, forderte Lottsiepen. Zwar sei die Einführung von Realmessungen von Luftschadstoffen schon beschlossen, die Hersteller versuchten aber bereits, sich Schlupflöcher zu sichern. Die EU müsse ehrliche Test ohne Wenn und Aber beschließen.

Beim Vorwurf der Manipulation gehe es dann nicht nur um das gesundheitsschädigende Stickstoffdioxid NO2 aus Dieselmotoren und die Partikel aus direkteinspritzenden Benzinern, sondern auch um das Treibhausgas CO2 und damit den Kraftstoffverbrauch. Seit 2003 werde die Kfz-Steuer teilweise nach dem CO2-Ausstoß festgesetzt. Allein bei den Neuwagen eines Verkaufsjahres entgingen dem Fiskus durch Hersteller-Tricksereien über 200 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr, rechnete Lottsiepen vor.

Auch der Umweltschutzverband Nabu hält es für naheliegend, dass neben VW auch andere Hersteller manipulierten, und zwar auch in Europa. Der Abgasskandal in den USA müsse ein Weckruf für die Autoindustrie und die deutschen Behörden sein, forderte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Auch bei den Verbrauchsgrenzwerten tricksten die Hersteller «bis tief in den dunkelgrauen Bereich».

Auch innerhalb des VW-Konzerns wird der Ruf nach Konsequenzen immer lauter: Inzwischen meldete sich auch der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates Bernd Osterloh zu Wort. Dem stern sagte Osterloh: «Wir als Arbeitnehmervertreter nehmen die Vorwürfe sehr ernst und sind geschockt. Das muss jetzt mit aller Konsequenz und Offenheit aufgeklärt werden. Und wir müssen Konsequenzen daraus ziehen.»

Osterloh ist selber Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrates und gilt als einer der mächtigsten Männer im Konzern. «Als Arbeitnehmervertreter werden wir deshalb mit aller Konsequenz für eine umfassende Aufklärung eintreten und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen
werden. Da sind wir uns mit Dr. Winterkorn einig. Im Interesse unserer Kunden und Kollegen.»

Der Skandal kommt Volkswagen teuer zu stehen. Neben dem Imageschaden, dem Verlust an der Börse und den Kosten für die Nachbesserungen an den Autos drohen dem Hersteller in den USA Strafzahlungen. Laut US-Medienberichten könnte auf Volkswagen eine Strafe von 37.500 Dollar pro Fahrzeug zukommen - und damit insgesamt etwa 18 Milliarden Dollar (knapp 16 Milliarden Euro).

Am Sonntag hatte der Konzern die Abgas-Manipulationen nach Beaknntwerden der Vorwürfe bestätigt: „Wir haben das gegenüber der Behörde eingeräumt. Der Sachverhalt trifft zu. Wir arbeiten aktiv mit der Behörde zusammen«, sagte VW-Chef Martin Winterkorn. Agenturen/nd

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