Studie: Autos verbrauchen mehr Sprit als Hersteller angeben

Abgas-Affäre: 2,8 Millionen Autos in Deutschland betroffen / Regierung schließt Schadenersatz nicht aus / Auch Manipulationen bei Nutzfahrzeugen / Linke will VW-Eigentümer für Affäre haftbar machen / Greenpeace protestiert in Wolfsburg

  • Lesedauer: 10 Min.

Update 17.30 Uhr: Hickel fordert strengere Kontrollen der Autobauer
Angesichts des VW-Abgas-Skandals fordert der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel strenge Kontrollen aller Autobauer. »Im kapitalistischen Wettbewerb gibt es keine ökologische Moral. Es dominieren nur schnöde Profitinteressen«, sagte Hickel am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb müssten Schadstoff-Grenzwerte immer vom deutschen Staat und der EU verordnet und streng kontrolliert werden. »Da müssen wir jetzt Tabula rasa machen und bei allen alles überprüfen.«

Der Skandal sei durch nichts zu beschönigen. Die Tatsache, dass auch andere Firmen vermutlich Grenzwerte umgangen hätten, mache die Verfehlung von VW nicht geringer. Es sei geradezu zynisch, darauf zu verweisen, es seien anders als bei Toyotas defekten Gaspedalen keine Menschen gestorben. Durch Stickoxide und Feinstaub kämen jedes Jahr Tausende ums Leben, betonte Hickel: »Herr Winterkorn wäre gut beraten, auf seine Abfindung zu verzichten.«

Letztlich bedeute der Abgas-Skandal eine weitere Demontage des Labels »Made in Germany«. Damit seien immer auch Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit verbunden gewesen. VW und Deutschland insgesamt könnten sich nun nicht länger als ökologisches Gewissen und Vorreiter in Sachen Umwelt- und Klimaschutz präsentieren. Die hohen Öko-Standards des Wolfsburger Autobauers seien letztlich offenbar immer nur Teil einer Werbe- und Verkaufsstrategie gewesen, betonte der Wissenschaftler.

Die Autobauer müssten ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen für externe Gutachter öffnen, forderte der Professor. VW habe mit einem technisch hoch komplizierten algorithmischen Steuerelement betrogen. Das zeige eine hohe kriminelle Energie. Der Skandal entbehre nicht einer gewissen Ironie, erklärte Hickel: »Da ist ein Steuerelement zur Abschaltung des Katalysators eingebaut worden, dessen Funktionsweise kaum jemand kennt - ein Beweis für die hohe Qualität der deutschen Technik.«

Update 16.40 Uhr: Autos verbrauchen mehr Sprit als von Herstellern angegeben
Neuwagen in Europa verbrauchen einer neuen Studie des US-Forschungsinstituts ICCT zufolge knapp 40 Prozent mehr Treibstoff als von den Herstellern angegeben. Diese durchschnittliche Abweichung zwischen dem im Labor gemessenen und dem tatsächlichen Verbrauch ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen, wie aus der in der Nacht zum Freitag veröffentlichten Studie hervorgeht. Demnach betrug diese Abweichung 2001 nur acht Prozent. Die Abweichung habe sich vervierfacht, nachdem die Europäische Union im Jahr 2009 strengere Abgaswerte eingeführt hatte, erklärte das ICCT.

Das Institut wertete für die Studie nach eigenen Angaben elf Datensätze aus sechs Ländern über 14 Jahren aus; fast 600.000 Autos wurden demnach erfasst. Für den Verbraucher bedeute die Abweichung von Laborverbrauch und tatsächlichem Verbrauch höhere Spritkosten, erklärte das ICCT. Sie beliefen sich auf durchschnittlich 450 Euro pro Jahr. Da auch die Kfz-Steuer vielerorts in der EU nach Verbrauch berechnet wird, gehören laut ICCT auch Staaten zu den Geschädigten. Die Studie habe ergeben, dass die Fahrzeughersteller zunehmend Schlupflöcher in der Testprozedur ausnutzen würden.

Besonders hohe Abweichungen stellten die Tester bei teuren Autos im Premium-Segment fest, dort lag der Verbrauch einiger Modelle 2014 im Durchschnitt mehr als fünfzig Prozent höher als vom Hersteller angegeben. Auffällig hoch seien auch die Abweichungen für Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge. Generell gelte, dass die Diskrepanz zwischen den offiziellen und den tatsächlichen Verbrauchswerten bei Einführung einer neuen Modellgeneration sprunghaft ansteige.

Update 15.15 Uhr: 2,8 Millionen Fahrzeuge in Deutschland betroffen
Von den Manipulationen bei Abgasmessungen an Dieselwagen bei Volkswagen sind 2,8 Millionen Fahrzeuge in Deutschland betroffen. Das sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag im Deutschen Bundestag.

Update 14.15 Uhr: Regierung schließt Schadenersatzansprüche nicht aus
Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass deutschen Verbrauchern aus dem VW-Abgas-Skandal Schadenersatzansprüche entstehen. Wenn eine Kaufsache nicht die vereinbarte Beschaffenheit habe, verletze der Verkäufer seine Pflicht, sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Freitag in Berlin. Das gelte auch, wenn sich der Käufer auf öffentliche Äußerungen des Verkäufers verlassen habe, erläuterte er und fügte hinzu: »Darunter können unter Umständen auch Abgaswerte fallen.« Anspruch auf Schadenersatz könne sich immer dann ergeben, wenn das Verhalten des Verkäufers schuldhaft sei. Ob das im Fall der manipulierten Abgaswerte bei VW-Dieselautos der Fall sei, könne man aber noch nicht sagen, die Aufklärung laufe noch. Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) aufgefordert, mit VW einen verbindlichen Rahmen über Entschädigungszahlungen zu vereinbaren. Der von Dobrindt eingesetzten Untersuchungskommission ist nach Ministeriumsangaben noch nicht bekannt, ob und wie viele Autos in Deutschland betroffen sind. »Die Zahl liegt noch nicht vor«, sagte ein Sprecher am Freitag.

Update 14 Uhr: Abgas-Manipulation auch bei leichten VW-Nutzfahrzeugen
Der Skandal um gefälschte Abgas-Messungen bei Volkswagen betrifft nicht nur Diesel-Pkw, sondern auch leichte Nutzfahrzeuge. »Nach unserer aktuellen Kenntnis sind bei Volkswagen neben Pkw auch leichte Nutzfahrzeuge von der unzulässigen Beeinflussung der Emissionen der Diesel-Motoren betroffen«, teilte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. Details wurden zunächst nicht genannt. Nach VW-Angaben sind weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge mit eingebauter Manipulations-Software unterwegs - auch in Europa. Ob Deutschland betroffen ist, ist noch unklar. Eine vollständige Liste der fraglichen Modelle liegt bisher nicht vor.

Update 12.15 Uhr: Linke will VW-Eigentümer für Abgas-Affäre haftbar machen
Mit fünf Sofortforderungen reagiert die Linksfraktion auf die Abgas-Affäre bei deutschen Autoherstellern. Angesichts der »Debatten um die bewusste Fälschung der Abgas-Werte von VW-, Audi- und Skoda-Automodelle« sprechen die Linken-Abgeordneten Herbert Behrens, Caren Lay und Sabine Leidig »von einem Skandal der gesamten Autobranche«. Die Bundesregierung solle »angesichts der massiven Verbrauchertäuschung, der bewussten Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschädigung sowie des Steuerbetrugs« fünf Punkte sofort umsetzen, verlangen die Bundestagsabgeordneten. So solle etwa »umgehend eine neue, unabhängige Untersuchungskommission« gebildet werden, da es der von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt eingesetzten Kommission »aus handverlesenen und weitgehend vom Ministerium abhängigen Fachleuten« an Unabhängigkeit, Autonomie und Kompetenz mangele. Diese Kommission solle »bei allen in Deutschland produzierenden Autoherstellern, beim Automobilverband VDA und beim Autozulieferer Bosch die Hintergründe des aktuellen Abgas-Skandals ermitteln« und zudem »eine unabhängige Überprüfung der realen Abgaswerte veranlassen«. Bis spätestens Ende 2015 soll das Gremium »direkt gegenüber dem Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags« berichten, worauf sich dann »möglichst schnell die politischen Konsequenzen« anschließen sollten. Auch reichten Rücktritte im Management nicht aus, meinen die Linken-Politiker, es sei »zu prüfen, inwiefern der allgemeine Druck von Seiten des Managements und der Aktionäre dazu beigetragen hat, dass solche Manipulationsmechanismen überhaupt entwickelt wurden. Alle rechtlichen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, um die milliardenschweren Eigentümer – insbesondere den Porsche-Piëch-Clan und die Katar-Holding – für den finanziellen Schaden haftbar zu machen«.

Update 11.40 Uhr: Greenpeace protestiert vor VW-Werk in Wolfsburg
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat am Freitag am Sitz von Volkswagen in Wolfsburg gegen die ihrer Ansicht nach anhaltende Verharmlosung der Umwelt- und Gesundheitsfolgen durch Autohersteller demonstriert. Vor dem Werkstor versammelten sich nach Angaben eines Sprechers zwölf Aktivisten und forderten auf einem Banner »Schluss mit Lügen«. VW habe die Bevölkerung über die Gesundheitsgefahr seiner Dieselwagen belogen, sagte Greenpeace-Mobilitätsexperte Daniel Moser. Damit müsse Schluss sein. Volkswagen müsse auch die in Deutschland betroffenen Autos schnellstmöglich zurückrufen und wenn nötig stilllegen.

Greenpeace-Experte Moser erklärte, seine Organisation und andere Umweltverbände wiesen schon lange darauf hin, dass die offiziellen Angaben von Autokonzernen zu Schadstoffen und Verbrauch in der Realität deutlich höher lägen. Die Hersteller hätten mit ihrer Lobbymacht erfolgreich Testzyklen durchgesetzt, die mit dem regulären Fahrbetrieb kaum mehr etwas gemeinsam hätten. Moser forderte die Bundesregierung auf, dieser »flächendeckenden Verbrauchertäuschung« ein Ende zu setzen.

»Einen Lernprozess bei VW wird es nicht geben«

Berlin. Der Verkehrsexperte Winfried Wolf hat die Abgasaffäre bei Volkswagen als eine »bewusste und langjährige Fälschung von Umweltangaben in großem Stil« bezeichnet, aus dem der Autobauer nicht die richtigen Schlüsse ziehen wird. Einen Lernprozess werde es nicht geben, schreibt der ehemalige Bundestagsabgeordnete der PDS in einem nd-Gastbeitrag. »Denn seit den 1990er Jahren leistet sich der VW-Konzern in jedem Jahrzehnt einen Großskandal, der in das Guinness-Buch der Rekorde eingehen sollte.« Und VW sei kein Einzelfall, so Wolf. Auf der Automesse IAA sind es vor allem die extrem PS-starken Autos, die als Publikumsmagneten wirkten. »Bei diesen liegen die auch offiziell ausgewiesenen Schadstoffwerte weit über den Werten, die Brüssel und die Bundesregierung als anzustrebende Limits benennen.«

Unterdessen fordertder nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) Entschädigungen für die betroffenen Autofahrer in Deutschland. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse »einen verbindlichen Rahmen mit VW vereinbaren, wie die Betroffenen entschädigt werden müssen«, sagte Kutschaty der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post«. Zugleich forderte er »dringend ein richtiges Unternehmensstrafrecht, um gegen schwere Wirtschaftskriminalität vorgehen zu können«.

Offensichtlich habe Volkswagen seine Kunden weltweit belogen, sagte der SPD-Politiker. Jetzt sollten aber nur die Kunden aus den USA Schadenersatz bekommen. »Die deutschen Kunden sollen in die Röhre gucken. Und warum? Weil Deutschland den Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität komplett verschlafen hat«, kritisierte Kutschaty.

Volkswagen entscheidet über neuen Vorstandschef

Volkswagen versucht indes mitten im Strudel des Abgas-Skandals einen personellen Neustart. Der Aufsichtsrat des Konzerns entscheidet am Freitagvormittag in Wolfsburg über die Nachfolge von Martin Winterkorn. Der bisherige VW-Chef hatte am Mittwoch angesichts der beispiellosen Affäre seinen Rücktritt erklärt. Nun gilt Porsche-Chef Matthias Müller als Favorit für die Nachfolge von Martin Winterkorn an der Spitze von Volkswagen.

Im Fall seiner Ernennung müsste er den Weltkonzern aus der tiefen Vertrauenskrise führen, in die der Abgas-Skandal den größten europäischen Autobauer gestürzt hat. Müller würde auf Winterkorn folgen, der seinen Posten am Mittwoch wegen der Affäre um manipulierte Abgaswerte geräumt hatte. Bei der VW-Tochter Porsche habe der bisherige Produktionsvorstand Oliver Blume (47) wiederum sehr gute Karten, Müller-Nachfolger zu werden, hieß es.

Die Folgen der Manipulationen kosteten nach Winterkorn bereits weitere Spitzenmanager den Job. Bei den Töchtern Porsche und Audi müssen der für Forschung zuständige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg gehen, wie dpa aus Konzernkreisen erfuhr. Zuvor hatten bereits »Bild« und »Spiegel Online« darüber berichtet.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh forderte als Konsequenz aus dem Skandal ein grundlegendes Umdenken. »Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden. Wir brauchen eine Kultur, in der man mit seinem Vorgesetzten um den besten Weg streiten kann und darf«, betonte er in einem Schreiben an die Mitarbeiter. Als VW-Chef komme nur »eine Persönlichkeit mit großem technischen und unternehmerischen Sachverstand und gleichzeitig großer sozialer Kompetenz« infrage.

Von den Problemen bei VW sind neben Audi weitere Töchter betroffen. Innerhalb des Konzerns teilen sich die Unternehmen etliche Bauteile, darunter Motoren und Getriebe. Ein Sprecher von Skoda bestätigte, Modelle der Reihen Fabia, Roomster, Octavia und Superb aus den Jahren 2009 bis 2013 seien teilweise mit den betroffenen Motoren ausgerüstet worden. Bei aktuellen Modellen gebe es keine Probleme. Volkswagen hatte bereits eingeräumt, dass es bei insgesamt rund 11 Millionen Fahrzeugen weltweit »Abweichungen« gebe. Eine genaue und vollständige Liste der betroffenen Modelle gibt es jedoch noch nicht.

Der Skandal brachte eine ganze Industrie ins Zwielicht. Die Motoren wurden mit einer Software ausgestattet, die die Messung des Ausstoßes von Stickoxiden manipulierte. Klar ist, dass vier Reihen der Tochter Audi betroffen sind: Der Motor vom Typ EA 189 sei in Modellen des A1, A3, A4 und A6 verbaut worden, sagte ein Audi-Sprecher. Die genauen Baujahre und die Anzahl der Fahrzeuge könnten aber noch nicht genannt werden. Ob die Autos von den Software-Manipulationen betroffen seien, könne man ebenfalls noch nicht sagen, hieß es bei Audi. Auch der VW-Konzern selbst bereitet unter Hochdruck an einer Modell-Liste.

Zudem steht die Frage im Raum, ob andere Hersteller ebenfalls bei der Abgasmessung getrickst haben könnten. BMW, Daimler, Ford, Opel und Fiat betonten, sich an alle gültigen Vorgaben gehalten zu haben. Agenturen/nd

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