Seehofer droht Bund mit »Notwehr« gegen Flüchtlinge

Kanzleramtschef Altmaier soll Aufgabenbereiche bündeln / CDU-Politiker fühlen sich von Merkel nicht mehr vertreten / Militäreinsatz gegen Schleuser wird ausgeweitet

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 16.10 Uhr: Fahimi nennt Seehofers Drohungen unwürdig
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat die von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) angedrohten »Notwehr«-Maßnahmen des Freistaats in der Flüchtlingskrise kritisiert. »Wer Flüchtlinge einfach in andere Bundesländer schieben will, verhält sich unwürdig gegenüber den föderalen Prinzipien Deutschlands«, sagte Fahimi der Deutschen Presse-Agentur. »Die Hauptlast des Flüchtlingsstroms tragen alle Deutschen gemeinsam und nicht nur Bayern.«

In einer ohnehin schon angespannten Atmosphäre betreibe Seehofer »rein populistische Politik«. Der bayerische Ministerpräsident »orientiert sich offensichtlich mehr an Viktor Orban als an der Bundesregierung«, meinte Fahimi mit Blick auf Seehofers jüngstes Treffen mit dem ungarischen Regierungschef. Die Koalition müsse gemeinsam der Bevölkerung ihre Handlungsfähigkeit zeigen. »Dass die CSU dies hintertreibt, ist inakzeptabel.«

Update 14.15 Uhr: Seehofer droht Bund mit »Notwehr« gegen Flüchtlinge
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat mit »Notwehr« des Freistaats gedroht, sollte die Bundesregierung keine Schritte für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen unternehmen. Bei einem Treffen mit bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern in Ingolstadt sprach er nach Teilnehmerangaben von »wirksamer Notwehr«, berichtet die Nachrichtenagentur dpa.

In einer Sondersitzung des Kabinetts an diesem Freitag will Seehofer mit seinen Ministern ganz konkret über mögliche »Notmaßnahmen« beraten. Zuletzt war beispielsweise erwogen worden, Flüchtlinge einfach per Zug in andere Bundesländer weiterzuschicken. Zudem plädiert die CSU für »Transitzonen« an den europäischen Binnengrenzen, um bestimmte Flüchtlinge direkt an der Grenze abweisen zu können.

Update 13.30 Uhr: De Maizière war Aufgabe laut LINKE »nicht gewachsen«
Die LINKE-Bundestagsfraktion begrüßt die Entscheidung, den Umgang mit den Flüchtlingen in Deutschland zur Chefsache zu erklären: »Der ehemalige Kronprinz de Maizière war der Aufgabe nicht gewachsen.« Wer die politische Verantwortung für ein »völlig unvorbereitetes und überlastetes« Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trage und am Ende noch ausfallend gegen die werde, um die er sich kümmern soll, sei unverkennbar überfordert, erklärt Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Auf den Zuständigkeitswechsel müsse jetzt aber auch ein Politikwechsel erfolgen, »weg von Selbstmitleid und Abgrenzung«. Als ersten konkreten Schritt fordert die LINKE daher die Rücknahme der Asylrechtsverschärfungen.

Mit Blick auf den Brandbrief von CDU-Amtsträgern und -Abgeordneten (siehe unten), sagte Jan Korte: »Dass reihenweise die eigenen Leute Verstand und Nerven verlieren, nur wenn Kanzlerin Merkel einmal eine menschliche Regung oder Respekt vor dem Menschenrecht auf Asyl zeigt, macht deutlich, dass die Entmachtung de Maizières lange nicht ausreicht, um den Laden wieder in den Griff zu bekommen.«

Update 9.35 Uhr: CDU-Politiker fühlen sich von Merkel nicht mehr vertreten
Über 30 Amtsträger und Abgeordnete der CDU aus acht Bundesländern haben sich mit einem vom Portal Spiegel online als »Brandbrief« bezeichneten Schreiben an die Kanzlerin gewandt und die von Angela Merkel »gegenwärtig praktizierte 'Politik der offenen Grenzen'« als »weder dem europäischen oder deutschen Recht« entsprechend noch »im Einklang mit dem Programm der CDU« stehend bezeichnet. »Faktisch kündigen die Unterzeichner Merkel die Gefolgschaft auf«, schreibt das Portal und zitiert aus dem Schreiben weiter: »Ein großer Teil der Mitglieder und Wähler unserer Partei fühlt sich von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten.« Bekanntere Namen aus der Union sollen den Brief nicht unterzeichnet haben. »Ich habe den Brief unterschrieben, weil ich keinen anderen Weg mehr sehe, meiner tiefen Sorge über die Flüchtlingspolitik Ausdruck zu verleihen«, wird der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Sven Rissmann, zitiert. Am Donnerstag beginnen die so genannte »Zukunftskonferenzen« der CDU, auf einer Reihe von Veranstaltungen wird Parteichefin Merkel dann auch mit der Basis beraten.

Altmaier übernimmt Koordination der Flüchtlingspolitik

Berlin. Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung wird künftig im Kanzleramt gebündelt: Das Kabinett billigte am Mittwoch nach Angaben aus Regierungskreisen das »Konzept zur Koordinierung der Flüchtlingslage«. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) soll Berichten zufolge künftig als zentraler Ansprechpartner für alle »Aspekte der aktuellen Flüchtlingslage« agieren.

Während die Grünen von der »Entmachtung« des Innenministers Thomas de Maizière (CDU) sprachen, hieß es in Regierungskreisen, es gehe nicht darum, den Minister zu schwächen. Man wolle vielmehr das Ministerium personell stärken und entlasten. In den vergangenen Wochen hatten Kritiker de Maizière Überforderung und ein oft zu zögerliches und zu spätes Vorgehen vorgehalten. Zudem fehle ein schlüssiges Gesamtkonzept.

Berichten zufolge soll de Maizière weiterhin für die »operative Koordinierung« der Flüchtlingskrise zuständig sein. Weiter solle sich das Innenministerium um rechtliche Fragen, Flüchtlingsaufnahme, Sicherheitsaspekte und gesellschaftliche Integration kümmern, außerdem um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in die Herkunftsländer. Weitere Aufgaben sollen die Ressorts für Finanzen, Verteidigung, Arbeit und Bau übernehmen. Das Auswärtige Amt solle sich um die internationale Bekämpfung von Fluchtursachen kümmern.

Ständiger Vertreter Altmaiers als Flüchtlingskoordinator soll der im Kanzleramt für die Bund-Länder-Koordinierung zuständige Staatsminister Helge Braun (CDU) werden. Zur Unterstützung werde im Kanzleramt zudem ein eigener Stab »Flüchtlingspolitik« eingerichtet. Bis auf weiteres werde das Kabinett die Flüchtlingslage in jeder Sitzung als ständigen Tagesordnungspunkt behandeln. In der Vorlage heißt es, das Innenministerium bleibe für die »operative Koordinierung fachlicher, organisatorischer, rechtlicher und finanzieller Aspekte der Flüchtlingslage« zuständig.

Unterdessen erhielt Merkel in der CDU Rückendeckung vom früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. »CSU-Chef Horst Seehofer muss sich fragen lassen, ob ihm (der ungarische Ministerpräsident) Viktor Orban näher ist als die Menschenwürde der Flüchtlinge«, sagte er der »Passauer Neuen Presse« (Mittwoch). Ausdrücklich lobte er Merkels Entscheidung, Zehntausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen. »Hätte sie zuschauen sollen, wie diese Leute in Ungarn verrecken?«, fragte Geißler: »Angela Merkel hätte den Friedensnobelpreis verdient.«

Auch andere Unionspolitiker wie etwa der Vizechef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, äußerten sich ähnlich. Merkel habe die Auszeichnung »wie sonst niemand in Europa« verdient, sagte er dem »Handelsblatt«. Nach Ansicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Deutschland mit seiner Flüchtlingspolitik »die Ehre Europas gerettet«.

Beim EU-Militäreinsatz gegen Schleuser wird es den beteiligten Soldaten nach Angaben der Einsatzführung ab sofort möglich sein, außerhalb der libyschen Küstengewässer fahrende Schiffe von Menschenschmugglerbanden zu stoppen und zu durchsuchen. Mutmaßliche Kriminelle müssen dann mit einer Festnahme rechnen. Bisher war der Militäreinsatz der EU auf das Sammeln von Informationen und die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge begrenzt. nd/Agenturen

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