Die AKP gewann, aber nicht auf ganzer Linie

Trotz Verlusten konnte sich die kurdisch-linke Partei HDP im Parlament behaupten

  • Florian Wilde
  • Lesedauer: 4 Min.
Die türkische Regierungspartei AKP hat bei der Parlamentswahl am Sonntag einen klaren Sieg eingefahren und kann nun allein eine Regierung bilden. Dennoch reiften damit nicht alle Blütenträume.

Entgegen allen Vorhersagen der Meinungsforscher konnte die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei der Parlamentswahl am Sonntag einen klaren Sieg einfahren. Mit knapp 50 Prozent eroberte die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) die bei der Wahl vor fünf Monaten verlorene absolute Mehrheit zurück. Damit wird sie voraussichtlich 316 der 550 Abgeordneten in der Nationalversammlung in Ankara stellen.

Der kurdisch-türkischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) ist unter schwierigsten Bedingungen und trotz Verlusten erneut ein großer Erfolg gelungen: Zum zweiten Mal seit dem Militärputsch 1980 schaffte eine linke Partei den Einzug in das Parlament. Bei den Juni-Wahlen erzielte die HDP mit sechs Millionen Stimmen 13,2 Prozent und übersprang die Zehn-Prozent-Hürde, die eigens eingerichtet worden war, um eine parlamentarische Präsenz linker Kräfte zu verhindern. Der Sprung über diese Hürde gelang am Sonntag erneut, wenn auch knapp.

Es sind die politischen Umstände, die verständlich machen, warum dieses Ergebnis trotz Verlusten als neuer Erfolg der HDP zu werten ist: Mit den Wahlen im Juni hatte die AKP Erdogans - obwohl er der Partei aufgrund seines Staatsamtes formal gar nicht mehr angehört - aufgrund des Einzugs der HDP erstmals seit 13 Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Die aber wäre mindestens notwendig gewesen, um das wichtigste Vorhaben des Präsidenten weiterzutreiben: die Umwandlung der Türkei auf konstitutionellem Wege in eine Präsidialrepublik fortzusetzen.

Als Reaktion auf das dafür ungenügende Wahlergebnis im Juni beendete Erdogan den Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans und brach einen neuen Krieg im kurdischen Südosten vom Zaun, der mit massiver Repression gegen die HDP einherging. Mehr als 2000 Parteimitglieder, darunter 20 Bürgermeister, wurden verhaftet, Hunderte ihrer Büros von durch den Krieg aufgeheizten nationalistischen Mobs verwüstet. Dazu kamen bis heute nicht aufgeklärte Anschläge gegen die türkisch-kurdische Linke, bei deren blutigstem auf eine Friedensdemonstration in Ankara Anfang Oktober über 100 Personen getötet wurden. Nach dem Anschlag sah sich die HDP gezwungen, in der heißen Phase des Wahlkampfes alle Kundgebungen abzusagen und ihre öffentlichen Auftritte auf der Straße vielerorts einzustellen. Erdogans Strategie war, die HDP bei den Neuwahlen unter die Zehn-Prozent-Hürde zu drücken, zur Partei Partei der Nationalistischen Bewegung abgewanderte Wähler zurückzugewinnen und so wieder eine absolute Mehrheit zu erzielen. Zumindest bei den letzten beiden Zielen war er erfolgreich, auch wenn die AKP mit knapp 50 Prozent und 316 Abgeordneten weit von der eigentlich angestrebten, verfassungsändernden Mehrheit von 367 Sitzen entfernt bleibt.

Feleknas Uca, ehemalige Europa-Parlamentarierin der PDS und frisch wiedergewählte HDP-Abgeordnete für Diyarbakir, ist sich sicher, dass dieses Ergebnis nur mit Hilfe massiver Wahlfälschungen möglich war: »Ein deutliches Indiz dafür ist, dass die Ergebnisse der Wahl in den Medien verkündet wurden, bevor die Wahlstimmen überhaupt beim Wahlleiter angekommen waren. Viele Wahlprotokolle, die uns vorliegen, weisen ganz andere Ergebnisse aus, als die vom Wahlleiter verkündeten«, erklärte sie gegenüber »nd«.

In den kurdischen Gebieten habe aufgrund der Militäraktionen und des Widerstandes dagegen eine bürgerkriegsähnliche Situation geherrscht. »Wir konnten in Diyarbakir in den letzten Wochen keinen Wahlkampf mehr machen«, so Uca, »weil wir fast jeden Tag auf Friedhöfen und in Trauerhäusern verbracht haben, um der Opfer der Kämpfe und der Repression zu gedenken.«

Auch am Wahltag selbst habe es in Sur, einem Altstadtviertel von Diyarbakir, massive Einschüchterungen der Bevölkerung durch die Sicherheitskräfte gegeben. Zeitweise war der Stadtteil abgesperrt, maskierte Spezialeinheiten postierten sich direkt vor den Schulen, in denen Wahllokale eingerichtet waren, um die Menschen vom Wählen abzuhalten. Auch gegen internationale Wahlbeobachter wurde vorgegangen. So wurden einige gezwungen, Fotos zu löschen, mit denen sie diese Einschüchterungspolitik dokumentieren wollten.

In anderen Orten konnten die Beobachter zwar keine großen Unregelmäßigkeiten feststellen. Aber, so Gökay Akbulut, Spitzenkandidatin der LINKEN für die Landtagswahlen 2016 in Baden-Württemberg, die die Wahlen in Bismil, einer Kreisstadt in der Provinz Diyarbakir, begleitete: »Wir können nur das Geschehen in den Wahllokalen selbst verfolgen. Was mit dem Ergebnis nach der Auszählung passiert, wie die Ergebnisse in Ankara zusammengezählt werden und wie viele Stimmen auf dem Weg dorthin hinzugefügt werden oder verschwinden - das können wir leider nicht kontrollieren.«

Vor diesem Hintergrund schätzt auch Uca das Ergebnis der HDP als Erfolg ein, auch wenn sie sich ein noch besseres erhofft hatte: »Es ist ein Ausdruck der Stärke der HDP, dass es die AKP nicht wagte, die Wahlen so sehr zu fälschen, dass sie die HDP unter zehn Prozent bleibt.«

Florian Wilde war für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Wahlbeobachter in der südosttürkischen Großstadt Diyarbakir.

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