Dekor für den »Dschungel«
Französisches Gericht zwingt Behörden zu Verbesserungen im Flüchtlingslager bei Calais
Im »Dschungel« von Calais verschlechtern sich die Bedingungen mit jedem Tag. Rund 6000 Flüchtlinge campieren inzwischen am Rande der nordfranzösischen Hafenstadt. Sie hoffen auf eine Gelegenheit, per Fährschiff oder durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Diesen Wunsch erfüllt ihnen das Verwaltungsgericht von Lille nicht, doch es hat die Behörden jetzt aufgefordert, in dem größten Slum Europas für bessere Bedingungen zu sorgen. Die Präfektur des Départements Pas-de-Calais und die Gemeinde Calais sollen vor allem die sanitäre Situation verbessern.
Zwei Hilfsorganisationen und sechs Asylbewerber hatten zuvor gemeinsam geklagt. Dem am Montag erlassenen Urteil zufolge wird dem Staat eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um sich als erstes um die unbegleiteten Minderjährigen unter den Flüchtlingen zu kümmern. Sie sollen aus dem Camp geholt und bei Familien untergebracht werden. Im Lager selbst, das ständig durch immer neue Holzhütten und Zelte aus Plastikplanen wächst, müssen zu den nur drei vorhandenen Wasserstellen zehn weitere errichtet werden. Ferner seien 50 Toilettenhäuschen sowie Müllcontainer aufzustellen und deren regelmäßige Abholung zu organisieren. Die Wege müssen geräumt und so die Zufahrt für Feuerwehr oder Krankenwagen gesichert werden. Für jeden Tag Versäumnis dieser Maßnahmen droht der Präfektur des Départements eine - eher symbolische - Geldstrafe von 100 Euro.
Im Urteil heißt es, dass »die öffentlichen Behörden gehalten sind, die elementaren Rechte der Menschen zu garantieren«. Allerdings hat sich das Gericht nicht der Forderung der Kläger angeschlossen, die Zwangsrequirierung leer stehender Gebäude für die Unterbringung der Flüchtlinge anzuordnen. Auch was die Fristen für die Bearbeitung von Asylanträgen betrifft, wollte sich das Gericht nicht äußern. Flüchtlinge müssen in Frankreich im Schnitt 18 Monate warten, bis über ihren Fall entschieden ist.
»Das ist ein erster Sieg«, kommentierte Jean-François Corty von Ärzte ohne Grenzen (MSF) das Urteil. Laurent Giovannoni von Secours catholique (Katholische Hilfe) kündigte an, mit Innenminister Bernard Cazeneuve über die Schlussfolgerungen aus dem Richterspruch reden zu wollen. »Davon machen wir unsere Entscheidung abhängig, mit weiteren Klagen vor Gericht zu gehen.« Patrice Spinosi, der Anwalt der klagenden Asylsuchenden, bedauerte, dass »die grundsätzliche Frage der Auflösung des Lagers und der Unterbringung der Flüchtlinge weiter in der Schwebe gehalten wird«.
Die Lage im »Dschungel« spitzt sich immer weiter zu. Im Sommer waren noch 3000 Menschen in dem Camp, vor einem Jahr erst 1000. Der Anstieg dürfte sich fortsetzen, zumal der Fährhafen und das Eurotunnel-Terminal stolz verkünden, dass dank der verstärkten Sicherung des Geländes im Oktober kein einziger Flüchtling »durchgekommen« ist. Mit den herbstlichen Regenfällen haben sich die Trampelpfade durch das weitläufige Camp in Schlamm verwandelt. Die Zelte und Hütten bieten wenig Schutz im bevorstehenden Winter.
Die Organisation MSF, die hier die einzige medizinische Notversorgung bietet und vor allem Verletzungen zu behandeln hat, die sich Flüchtlinge an den Stacheldrahtzäunen zuziehen, berichtet über zahlreiche Fälle von Wundbrand. Die Ärzte warnen angesichts der katastrophalen hygienischen Bedingungen vor dem Ausbruch einer Krätze-Epidemie.
In einem ehemaligen Ferienlager am Rande des Slums gibt es nur einige Dutzend Duschen, die pro Tag nicht mehr als 500 Menschen nutzen können. Lange Schlangen bilden sich auch bei der Essensausgabe. Die 3000 Portionen, die hier pro Tag gekocht werden, reichen bei Weitem nicht aus.
Ende Oktober hatten die Behörden bereits Hunderte Flüchtlinge mit Bussen in Unterkünfte gebracht, die teils weit von Calais entfernt liegen. Am Dienstag sollten weitere Fahrten folgen. Zu der Ankündigung der Regierung, in Calais bald ein Containerlager für 1500 Flüchtlinge errichten zu wollen, gibt es keine Neuigkeiten.
Wir sind käuflich.
Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.