Die Liga der Legenden
12 000 Leute schauen beim WM-Finale der Computerspieler zu. Von Jirka Grahl
Die größte körperliche Tat vollbringt Lee Sang-hyeok schon vor dem Beginn des großen WM-Finales: Als er auf die Bühne der Berliner Arena am Ostbahnhof gerufen wird, macht der 19-jährige Südkoreaner auf dem Podium eine Rolle vorwärts. Die 12 000 Fans in der Halle kreischen überrascht - Lee Sang-hyeok ist für das Onlinespiel League of Legends (LoL) unter seinem Namen »Faker« das, was Cristiano Ronaldo für den Fußball ist: Ein Idol mit Halbgottstatus.
Seine Großtaten vollbringt »Faker« nur selten physisch, sondern zumeist mit Maus und Tastatur: Er gilt als der beste LoL-Spieler der Welt. LoL ist wiederum das größte Onlinespiel der Welt. 70 Millionen Menschen sind bei League of Legends angemeldet, das Free-to-play-Game ist umsonst.
Laut Hersteller Riot Games spielen täglich 27 Millionen Menschen mit: Sie setzen sich vor ihren Computer, loggen sich im Browser ein, suchen sich im Netz Mitspieler für ein Fünfer-Team, wählen beim Draft ihre Spielfiguren (Champions) aus und starten ins Game: Über Headsets und Sprachkonferenzsoftware wird besprochen, wie die eigenen Monsterfiguren über die drei Hauptwege (Lanes) durch das symmetrisch angelegte Spielfeld gelangen und dabei Gegner bezwingen und Fähigkeitenpunkte sammeln. Wer am Ende auch die sogenannte Basis des Gegners zerstört, hat gewonnen.
20 bis 50 Minuten dauert so ein Spiel, beim WM-Finale 2015 in Berlin soll spätestens nach fünf Spielen der Weltmeister feststehen, der eine Million Dollar Preisgeld kassiert: Kaum jemand glaubt, dass es lange dauert, bis der Favorit SKTelecom T1 die Überraschungsmannschaft Koo Tigers bezwungen hat, im Gegenteil: SKT, der Weltmeister von 2013, für den auch Lee »Faker« Sang-hyeok spielt, hat bei den Vorrundenturnieren nicht eines seiner 17 Spiele verloren. Alles andere als ein 3:0 wäre eine Sensation, da sind sich die LoL-Anhänger sicher. Die Fans sind meistens nicht älter als 25, manche tragen grüne Samtmützen oder weiße Fuchsschwänze - in Anlehnung an die Champions, mit denen sie am liebsten zocken. Im Finalpublikum sind Männer in der Überzahl, aber auch erstaunlich viele junge Frauen sind gekommen. Bereits das Viertelfinale in der Londoner SSE Wembley Arena (die BBC übertrug sogar live) und das Halbfinale in der Brüsseler Expo-Halle wurden vor Zehntausenden Zuschauern ausgetragen.
Als der Online-Kartenvorverkauf für das Finale in Berlin startete, brach schon nach wenigen Sekunden das System zusammen. Als es wieder lief, waren die Tickets nach 90 Sekunden ausverkauft, obwohl es keine europäische Mannschaft ins Endspiel um den »Summoners Cup« geschafft hat.
Die WM-Finalisten 2015 stammen aus Südkorea, frisch gefönte Teenager, die jüngsten sind gerade einmal 16. »Korea ist das Mekka für ›League of Legends‹«, sagt Jason Yeh, Europa-Chef. »Dort füllen Turniere heute Stadien, die für die Fußball-WM 2002 errichtet wurden.« Die LoL-Europazentrale sitzt mit eigenem Fernsehstudio in Berlin-Adlershof, 50 Leute aus aller Welt arbeiten dort.
Beim WM-Finale in Berlin läuft anfangs alles wie erwartet: Schnell führen »Faker« und seine Kollegen »MaRin«, »Bengi«, »Bang« und »Wolf« mit 2:0-Spielen. Winzig wirken die jungen Männer, wie sie sich da gegenüber sitzen, unter den gigantischen Screens, auf denen die Zuschauer ihre Vorstöße beobachten und gleichzeitig alle möglichen Spielstatistiken ablesen können - so wie die Millionen Zuschauer, die das Match im Livestream online verfolgen.
Ab und an schaltet die Regie dabei auch auf die Webcams, die an den Computern der Spieler angebracht sind. Man sieht nicht viel mehr als picklige junge Männer, die ziemlich konzentriert in einen Bildschirm starren - Sporthelden anno 2015.
Im dritten Spiel wird es noch einmal laut in der blau-rot-illuminierten Arena: Tatsächlich gelingt den Koo Tigers mit ihren Monstern noch ein Überraschungssieg auf dem dschungelartigen Terrain, ehe SKTelecom T1 das vierte Match klar für sich entscheidet - vor allem wegen Superstar »Faker«: Von den 13 »Kills« seiner Mannschaft besorgt der schmale Brillenträger neun, bei den anderen vier assistiert er. Als der Sieg geschafft ist, fällt er sich mit seinen Kollegen in die Arme. Bewegung tut gut.
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