Vom Schustersohn zum Fußballstar

Der anarchistische Verleger Folkert Mohrhof erforschte das Leben Adolf Jägers, der wohl schon in den 20ern Profi war

  • Folke Havekost und Volker Stahl
  • Lesedauer: 5 Min.
Bis in die 1930er Jahre war Profifußball in Deutschland untersagt. Trotzdem wurde ein Arbeiter der erste deutsche Star des Spiels.

Und wieder ist Adolf Jäger am Ball. Die damals noch zu Preußen gehörenden Altonaer spielen gegen Hamburg, und wie ihnen am 1. Mai 1921 auf dem Sportplatz am Rothenbaum der zweite Treffer gelingt, beschreibt »Turnen, Spiel und Sport« zwei Tage später wie folgt: »Adolf befand sich mit dem Ball weit links. Heynen, der ihn angriff, vermutete, Jäger würde nach außen gehen. Das geschah aber nicht. Jäger täuschte, schob den Ball zurecht. Ein Blick und mit wunderbarer Genauigkeit steuert der Ball nach halbrechts, wo Kracht nur noch den Kopf hinzuhalten braucht.«

Das bis 1937 eigenständige Altona schlug seinen großen Nachbarn im Städtevergleich schließlich 5:1. Es ist das Lieblingsspiel von Folkert Mohrhof, anarchistischer Verleger, Anhänger von Altona 93 und Autor eines Buchs über Altonas größten Kicker. »Adolf Jäger ist als Fußballstar des frühen 20. Jahrhunderts in sozialer und politischer Hinsicht eine interessante Figur«, sagt Mohrhof: »Ich habe versucht zu recherchieren, wie der Sohn eines Schuhmachers überhaupt die Zeit gefunden hat, so viel Fußball zu spielen, schließlich dauerte der Arbeitstag damals bis zu zwölf Stunden.«

Adolf Jäger kam am 31. März 1889 zur Welt und wuchs in Hamburg auf. Rein geografisch war er zunächst ein Eimsbütteler Jung’, doch der Fußball führte ihn bald südwärts. Erst 1903 zu Union 03 Altona, vier Jahre später zu Altona 93, für das er zu Weihnachten 1907 erstmals auf Torejagd ging.

Die Qualitäten des Mittelstürmers sprachen sich in der Frühphase des deutschen Fußballs schnell herum. Schon 1908 debütierte er in der Nationalmannschaft, erzielte beim 2:3 gegen Österreich in Wien sogar einen Treffer. 1912 nahm er als Kapitän der deutschen Elf an den Olympischen Spielen in Stockholm teil. Wieder traf er gegen Österreich, doch trotz seiner 1:0-Führung wurde 1:5 verloren. Beim 16:0 im anschließenden Trostrundenspiel gegen Russland fehlte Jäger, ansonsten wäre seine Länderspielbilanz von elf Toren wohl um einige Erfolge reicher. »Technik, genauer Pass über jede Strecke, Kopfspiel, scharfer Blick, feldherrnhafte, ruhige Übersicht, Durchschauen jeden Gegners, Ruhe und Intelligenz, satter flotter halb hoher Schuss«, pries der »kicker« Jägers Fähigkeiten damals an.

Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Jäger als Unteroffizier der Reserve zurück. Als er 1924 sein 18. Länderspiel bestritt, war er sogar mal Rekordnationalspieler. Für Altona 93 soll Jäger zwischen 1907 und 1932 um die 2000 Tore erzielt haben, verlässliche Statistiken existieren nicht. 1909 und 1914 führte er den Verein zu zwei norddeutschen Meistertiteln.

Sein Biograf Mohrhof - selbst Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Klubs - hat nun herausgefunden, dass Jäger drei- bis viermal in der Woche entweder Spiele bestritt oder trainierte - ein immenser Aufwand für jemanden, der mitten im Berufsleben stand. 1919 eröffnete Jäger einen Zigarrenladen, der zehn bis zwölf Stunden geöffnet hatte. Für das Jahr 1921 lässt sich das Führen des Herrenbekleidungsgeschäfts Jäger+Koch am Rathaus durch Annoncen in Tageszeitungen nachweisen.

Mohrhof folgert, dass die Fußballikone Sponsoren gehabt haben muss, denn Profifußball war in Deutschland noch lange offiziell verboten. Erst ab Mitte der 20er Jahre durften »lohnabhängige Familienväter« überhaupt eine geringe Ausfallentschädigung von 7,50 Mark pro Spiel erhalten. Ab 1926 betrieb der Fußballer eine Werbeagentur mit dem späteren Verlagstycoon John Jahr. Aus Anlass der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam gaben sie für die Tabakfabrik Reemtsma einen Bildband heraus. Jäger hielt die Bildrechte an den Fotos des in einer Auflage von einer Million Exemplaren vertriebenen Werks. Das hätte finanziell eigentlich einträglich gewesen sein müssen, doch 1929 ist Jäger Mieter in einer Sozialwohnung, wie Mohrhof recherchierte.

Wie diese Fakten zusammenpassen, ist unklar. Das frühe Idol hat nie viel Aufsehen um sich gemacht, weder auf noch neben dem Fußballplatz. »Dieser urfröhliche und lebenslustige Mensch war und ist immer noch nach außen wortkarg und verschlossen«, heißt es im 1932 von veröffentlichten Buch »Adolf Jägers Meistertaten für den deutschen Fußballsport« des Autors Paul Duysen: »Es ist schwer, ihm innerlich nahe zu kommen, diesem klaren, aber schwerblütigen, typisch norddeutschen Charakter.«

Nach Archivbesuchen und Zeitschriftenlektüre kann Mohrhof dieses Bild bestätigen: »Vom HSV-Stürmer Tull Harder weiß man, dass auch ziemlich viel getrunken wurde. Harder ist wohl des öfteren ausfällig geworden. Von Adolf Jäger hörte man nur, dass es ›auch mal lustig‹ wurde.« Harder und Jäger waren Anfang der 20er Jahre Rivalen um einen Platz in der Nationalmannschaft. Der HSV-Angreifer war der bullige Brechertyp, Jäger eher der spielende Offensivantreiber. »Der Streit ging darum, ob Jäger nur ein Mittelfeldspieler ist oder auch ein Stürmer«, sagt Mohrhof: »Ich glaube, er war beides.«

Während Harder 1932 in die NSDAP und 1933 in die SS eintrat, 1944 zum KZ-Kommandanten aufstieg und nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, wird es um Jäger in der NS-Zeit still. Seine Fußballtaten wurden weiterhin gerühmt, aber als Aushängeschild der Machthaber diente er nicht. »Von Jäger sind keine politischen Äußerungen überliefert«, sagt Mohrhof: »Nach meinen Recherchen war er kein Parteigenosse. Die Nazis haben ihn wohl nicht geehrt, weil er keiner von ihnen war.«

Letztlich kostete die Nazi-Herrschaft Jäger sogar das Leben. 1944, kurz nachdem Altona 93 seine Spielstätte in »Adolf-Jäger-Kampfbahn« umbenannt hatte, starb der 55-Jährige bei Bombenentschärfungsarbeiten am Elbufer. Sein »Ehrengrab« in der Nähe der Kapelle auf dem Altonaer Friedhof besteht bis heute. Die Pflege ist eigentlich Aufgabe des Bezirks. Weil es aber zuletzt heruntergekommen war, kümmern sich Fans des Klubs um Jägers letzte Ruhestätte. Ob der Klub seinem größten Spieler auch nach dem geplanten Umzug an die Memellandallee über den Stadionnamen ehren wird, ist noch nicht entschieden. Doch Mohrhof resümiert: »Altona 93 kann man sich nicht ohne Adolf Jäger vorstellen.«

Folkert Mohrhof: »Die Ära Adolf Jäger - Das Vierteljahrhundert des Altmeisters von Altona 93«. Verlag Barrikade, 312 Seiten, 6,80 Euro.

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