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»Salafisten sind zurzeit die besseren Sozialarbeiter«

Ahmad Mansour ist überzeugt, dass die Bildungspolitik bislang bei traditionellen muslimischen Familien versagt hat.

  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Mansour, Sie haben in Israel und Deutschland Psychologie studiert. Jetzt sind Sie in der Präventionsarbeit und in Projekten zur Deradikalisierung Jugendlicher tätig. Sind diese Kinder die »Generation Allah«?

Ich meine mit dem Begriff nicht die vom Verfassungsschutz beobachteten Salafisten. Ich schreibe in meinem Buch über jene Jugendlichen, die ihre Religion als tabuisierten Bereich verstehen, auf Kritik mit Aggression reagieren. Jugendliche, die antisemitische Einstellungen haben und auf Verschwörungstheorien mit Begeisterung reagieren, die Sexualität sowie Kontakte zu Mädchen und Frauen ablehnen. Jugendliche, die sich mit solchen Haltungen brüsten, beten nicht unbedingt. Aber sie sind überzeugt, dass Demokratie schmutzig ist und die Gesetze des Islam gelten sollten. Was aber die Scharia eigentlich ist, davon haben sie meist keine Ahnung.

Diese Jugendlichen benutzen also nur Teile der Religion, um sich zu orientieren und sich eine Identität zuzulegen?

Genau. Etwa die Hälfte der Jugendlichen, mit denen ich arbeite, hat solche Überzeugungen verinnerlicht. Das sollte uns Sorgen machen. Die offiziell etwa 770 aus Deutschland nach Syrien gereisten Dschihadisten und auch die etwa 7500 mehr oder weniger gewaltbereiten Salafisten sind nur die Spitze des Eisbergs. Zur Generation Allah gehören viel mehr. Und sie sind Teil unserer Gesellschaft. Sie werten andere Religionen ab, verstehen den Koran wortwörtlich, sind oft antisemitisch und haben ein patriarchalisches Islamverständnis.

Hat die deutsche Bildungspolitik in diesen Milieus versagt?

Auf jeden Fall. Jahrzehntelang wurden muslimische Jugendliche als fremd wahrgenommen. In den Problembezirken der Städte haben die traditionellen Denkmuster der Herkunftsstaaten überlebt. Für die Jugendlichen dort herrscht kein barmherziger Gott, sondern ein strafender. Echte oder gefühlte gesellschaftliche Diskriminierungen sorgen dafür, dass die jungen Leute sich zusätzlich selbst abgrenzen. Wenn dann ein neuer Freund auftaucht, in seine Gruppe einlädt, sie zur Koranverteilung in Fußgängerzonen ermuntert und die Demütigung von Muslimen überall auf der Welt bestätigt, fühlen sich die Jugendlichen wertgeschätzt und inspiriert. Salafisten sind zurzeit eben die besseren Sozialarbeiter.

Welche Verantwortung tragen die Schulen an dieser Entwicklung?

Wenn eine Lehrerin mir fassungslos berichtet, dass einige in ihrer Klasse die Terroristen, die Anfang dieses Jahres in Paris den Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« verübt haben, als Rächer des Propheten bewundern, dann frage ich mich: Wo war diese Lehrerin in den Jahren davor? Solche Einstellungen kommen doch nicht über Nacht.

Das könnte doch auch einfach Provokation gewesen sein.

Leider nicht immer. In unseren Workshops ermuntern wir zu freier Diskussion. Oft haben wir festgestellt, dass hinter diesen coolen Sprüchen ein insgesamt religiös-autoritäres Weltbild steht. Schule muss aufwachen und Demokratieerziehung als Aufgabe begreifen. Und sie muss endlich auf die Jugendlichen mit familiärer Einwanderungsgeschichte eingehen. Biografiearbeit, Wertschätzung für die Herkunft der Familien, der Nahost-Konflikt, Diskussionen über Meinungs- und Religionsfreiheit im Alltag - all das muss zum Repertoire der Lehrer in der Schule gehören.

Sie schlossen sich mit 13 der Muslimbruderschaft an. Sehen Sie Parallelen zu deutschen Jugendlichen?

Ich wuchs in einem ländlichen Dorf auf, litt unter dem familiären Patriarchat. Ich war unsicher und ängstlich. Der örtliche Imam sprach mich an. Er lud mich in seine Moschee ein, gab mir das Gefühl, bedeutungsvoll zu sein. Dann kamen Gehirnwäsche und Drill. Ich träumte vom Paradies, wies meine Eltern beim Beten zurecht und wurde zum religiösen Eiferer. Erst als ich die Intrigen in der Bruderschaft, die Machtspiele durchschaute und nach dem Abitur endlich das Dorf verlassen konnte, emanzipierte ich mich. Ja, in der Verlorenheit und in der Sehnsucht nach Stärke und Anerkennung sehe ich durchaus Parallelen, auch wenn jede Radikalisierung natürlich individuell verschieden ist.

Welche Rolle können Ihrer Meinung nach Moscheevereine bei der Prävention in Deutschland spielen?

Oft vertritt das Personal dort und in den großen Verbänden selbst einen bevormundenden Islam, der nicht zu selbstständigem Denken, sondern zu Gehorsam erzieht. Angstpädagogik, irrationale Ängste vor Schwimm- und Aufklärungsunterricht - all das erzieht die Jugendlichen nicht zu selbstverantwortlichen Subjekten. Die Moscheen sollten unbedingt eingebunden werden, wenn es gilt, eine konkrete Syrienreise zu verhindern. Aber für Präventionsarbeit und politische Bildung sind sie weniger geeignet.

Ahmad Mansour: Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen, Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main. 272 S., geb., 19,99 €.

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