Der Wert des weiblichen Körpers

Das Autorinnenkollektiv »kitchen politics« liefert einen spannenden Einstieg in die feministische Kritik der Biotechbranche

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Ebenso wie Haus- und Sorgearbeit als außerökonomisch und »natürlich« angesehen wurde, gilt dies heute für die Verfügbarkeit von Eizellen oder Gewebe. Feministinnen halten diese Sicht für blauäugig.

Vor einigen Jahrzehnten war Reproduktions- und Hausarbeit ein zentrales Thema von Feministinnen. Heute wird es wieder aufgegriffen und spielt für die linke Szene eine große Rolle. Mit dem Care-Revolution-Netzwerk ist ein bundesweiter Zusammenhang entstanden, der zu Kongressen und Veranstaltungen einlädt, um die Sphäre all jener Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit zu reflektieren, die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft einschließlich der Kinder notwendig sind. Punktuell nehmen sich die Gewerkschaften des Themas an, wie an Flashmobprotesten der Pflegekräfte zu sehen ist. Aber auch feministische und queerfeministische Gruppen beschäftigen sich seit einiger Zeit intensiv mit Reproduktionsarbeit, um eine Kritik aktueller Arbeitsbedingungen und Inwertsetzungspraktiken im Neoliberalismus aus feministischer Perspektive zu formulieren. Wobei auch zunehmend postautonome und andere linke Gruppen, die bis vor kurzem derartige Debatten noch im marxistischen Duktus als »Nebenwiderspruch« abtaten, Positionen zum Thema Reproduktionsarbeit formulieren.

Interessante Standpunkte bietet das in Berlin ansässige Autorinnenkollektiv »kitchen politics«, das mit seinen Publikationen zu queerfeministischen Themen »klare Analysen und leidenschaftliche Kritik, befreit von der Korsage akademischer Seminare« liefern will, wie die Autorinnen im Vorwort ihres neuen Buches schreiben. Die schmalen Bände bieten in übersichtlichen, aber auch anspruchsvollen Texten Querschnitte aus aktuellen Diskussionen. Vor drei Jahren hat »kitchen politics« mit »Aufstand aus der Küche« Texte der New Yorker Feministin Silvia Federici veröffentlicht. Das Buch wurde in der linken Szene breit rezipiert. Nun hat das Autorenkollektiv mit »Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit« eine Sammlung von Texten zum Thema Reproduktionsmedizin vorgelegt, die ebenso spannende Analyse wie politische Intervention sind.

Reproduktive Arbeit wird heute zunehmend warenförmig organisiert. War Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit im Fordismus eine unbezahlte Leistung vor allem von Frauen, die über den Familienlohn abgedeckt wurde, werden diese Tätigkeiten heute immer häufiger bezahlt geleistet und von migrantischen Arbeitskräften zu Niedriglöhnen erbracht.

Eine Ökonomisierung reproduktiver Arbeit gibt es auch im Bereich der Biomedizin und der medizinischen Reproduktionstechnologie, wie die Wissenschaftlerinnen Melinda Cooper und Catherine Waldby in ihren beiden Texten betonen. Ebenso wie Haus- und Sorgearbeit lange als außerökonomisch oder »natürlich« angesehen wurde, gilt dies heute für die Verfügbarkeit von lebendigen Körperstoffen und -prozessen in Reproduktions- und Biotechnologien im Zusammenhang mit der sogenannten Eizell-»Spende« oder »Leihmutterschaft«. Während in Deutschland relativ strikte Regeln für diesen Bereich gelten, ist der Markt für Fertilitätskliniken und künstliche Befruchtung in den USA, aber auch in Rumänien, Griechenland, Spanien und Israel dereguliert. Entsprechend findet dorthin ein regelrechter Reproduktionstourismus statt. Den Frauen wiederum, die Eizellen zur Verfügung stellen, werden diese in aufwendigen chirurgischen Prozeduren entnommen. Dennoch erhalten sie nur eine relativ niedrige Vergütung.

Es geht Cooper und Waldby aber nicht allein um eine bessere Bezahlung, sondern um die grundsätzliche Frage, was in diesem Geschäft von Wert ist. Denn die Eizelle der Frau gilt gemeinhin als natürliche Ressource, die erst durch medizinische Verarbeitung ihren Wert erhält. Daneben existiert ein Markt, der auf einer Schenkungsökonomie für Gewebe beruht, der aber laut Cooper und Waldby häufig nur ein Mittel darstellt, »Spender_innen zu enteignen und ihnen jeglichen Anspruch auf ihr Körpermaterial zu verwehren«. Denn nach der Spende erfährt das Gewebe eine weiterführende kapitalistische Verwertung, von der die Spenderinnen nichts haben. Die ökonomische Dimension, die in diesem Bereich vorherrscht, wird oft blauäugig übersehen.

Neben den Texten von Cooper und Waldby, die erstmals auf Deutsch vorliegen, hat »kitchen politics« mit den beiden Autorinnen ein Interview geführt, in dem sie Kritik an der hierzulande von Queerfeministinnen postulierten »Krise der sozialen Reproduktion« vorbringen. Damit werden ständiger Zeitstress und die immer knapper werdenden Möglichkeiten bezeichnet, sich jenseits der Lohnarbeit um die eigenen Lebensbedürfnisse zu kümmern: um Freunde, Familie, Haushalt. Gleichzeitig erlebt dieser Bereich eine Ökonomisierung in Form von neuen, meist prekären Jobs. Cooper und Waldby sehen hier die klassische geschlechterspezifische Arbeitsteilung zu wenig in Frage gestellt. Entsprechend kritisch stehen die beiden auch der linken Begeisterung für Commons als Strategie gegen kapitalistische Ausbeutung und Inwertsetzung gegenüber. Darüber hinaus bietet der Band einen Überblick zur Reproduktionsmedizin in Deutschland, wo sich die Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren durch Gesetzesänderungen »stark zugunsten der Interessen der reproduktionsmedizinischen Lobbyist_innen verschoben« hat, wie die Autorinnen betonen.

Einen überaus inspirierenden Blick auf die zentrale Bedeutung der Familie in Zeiten neoliberaler Lebenswelten bietet ein Beitrag, der beklagt, dass es andere Formen sozialen Zusammenlebens als die Kleinfamilie heute immer weniger gibt. Auch in linken Kreisen setzt sich die Kleinfamilie als hegemoniales Lebensmodell wieder durch. Ein weiterer Band von »kitchen politics« ist bereits angekündigt mit dem viel versprechenden Titel »Wofür wir kämpfen«.

kitchen politics: Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit, Edition Assemblage, 152 S., 9,80 Euro.

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