Strafe trotz Bagatelle - aus Prinzip?

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Im ersten Stock des Justizgebäudes an der Nymphenburger Straße in München ging es am Mittwoch um Beate Zschäpe, im Erdgeschoss zur gleichen Zeit um den Antifaschismus von Paul R.

Die Taten des neonazistischen NSU, die vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt werden, ließen kaum Platz für öffentliches Interesse am Antifaschismus von Paul R., der am Mittwoch im selben Gebäude vor Gericht stand. In einer Berufungsverhandlung milderte das Strafgericht ein gegen den 24-Jährigen im September verhängtes Urteil von neun auf vier Monate. Aus einem schweren Fall bewaffneten Diebstahls wurde damit ein »geringstvorstellbarer Fall«, wie die Vorsitzende Richterin formulierte. Auch gegen dieses Urteil ist eine Revision möglich.

Er sehe sein Verfahren als politischen Fall an, so Paul R. in seinem Schlusswort vor der Urteilsverkündung. Zuvor hatten vier Polizisten im Zeugenstand noch einmal ihre Version der Geschehnisse im Mai und Juli dieses Jahres geschildert. Im Mai war Paul R. in München mit einem Kumpel über den Zaun eines Rewe-Supermarktes geklettert und hatte aus der Mülltonne Lebensmittel mit abgelaufenem Verfallsdatum geholt. Er war damals bei seiner Mutter ausgezogen und wohnte ohne Geldeinkünfte bei Freunden. Das sogenannte »Containern« - die Nutzung von Lebensmitteln aus dem Müll - entsprach seiner Lebensphilosophie und diente natürlich auch seiner Ernährung.

Als die beiden die abgelaufenen Joghurts und andere Waren in herumstehenden Plastikkörben abtransportieren wollten, wurden sie von der Polizei festgenommen. Dass die Lebensmittel für den Supermarkt nur noch Müll waren und die Körbe einen Wert von 12,60 Euro hatten, war dem Staatsanwalt in der ersten Verhandlung egal. Eigentum sei Eigentum. Und das in einem Bauchbeutel mitgeführte Pfefferspray sei als Waffe zu sehen, auch wenn der Angeklagte betonte, er habe daran gar nicht mehr gedacht. Auch in der Berufungsverhandlung wollte die Staatsanwaltschaft dies als schweren Fall von Diebstahl mit einer Waffe gewertet wissen. Doch diesmal folgte ihr die Richterin nicht vollständig. Angesichts des marginalen Werts der entwendeten Körbe handele es sich zwar noch immer um einen Diebstahl mit einer Waffe, aber in einem minder schweren Fall.

Im zweiten Punkt der Anklage ging es um eine kleine Fahne mit einem rund 50 Zentimeter langen Holzstiel. Die trug Paul. R. im Juli bei der Gegendemo gegen den Auftritt von Pegida-Gründer Lutz Bachmann auf dem Münchner Marienplatz. Sein Fehler: Er schwenkte das Fähnchen nicht in der Luft, jedenfalls nicht, als die Polizei hinsah. So wurde aus dem kleinen Stöckchen für den Staatsanwalt eine »Waffe«, eine sogenannte »Knüppelfahne«. Auch diesmal befand die Richterin, die Fahne sei eine »Art Schlagstock« und damit eine »abstrakte Gefahr«.

Zusammen mit den drei Monaten, die Paul R. für den Diebstahl kassierte, befand sie auf eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtstrafe von vier Monaten. Paul R. und sein Rechtsanwalt Markus Fischer, der auf Freispruch bei beiden Anklagepunkten plädiert hatte, haben eine Woche Zeit zu überlegen, ob sie erneut in Berufung gehen wollen.

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