Im Winter ist Familientreffen

Je enger Rehe miteinander verwandt sind, desto mehr gesellen sie sich zueinander - außer zur Brunftzeit. Von Kai Althoetmar

  • Kai Althoetmar
  • Lesedauer: 3 Min.

Weibliche Rehe sind äußerst gesellige und standorttreue Tiere, zur Paarungszeit aber gehen sie den mit ihnen verwandten Rehböcken zielgerichtet aus dem Weg. Damit vermeiden sie Inzucht und beugen einer genetischen Verarmung des Nachwuchses vor. Das zeigt eine Studie italienischer Wissenschaftler der Universität von Sassari (»Journal of Zoology«, Bd. 296, S. 30).

Die Ricken mit ihren im Mai und Juni geborenen Kitzen neigten demnach in der sommerlichen Paarungszeit dazu, »ihr Streifgebiet mit Verwandten des gleichen Geschlechts zu teilen und Revierüberschneidungen mit Verwandten des anderen Geschlechts zu reduzieren«, heißt es in der Studie. Zur Paarung verließen die Tiere vorübergehend ihr Revier, um das Inzuchtrisiko zu mindern.

Für seine Untersuchung hatte das Team um den Evolutionsbiologen Stefano Grignolio in den Alpe di Catenaia, einer Berglandschaft im Zentrum Italiens, mit Netzen 69 Rehe gefangen, von den Tieren Genproben entnommen und sie mit Funkhalsbändern versehen. Danach wurde acht Jahre lang das räumliche Verhalten der Rehe erfasst und anschließend analysiert - unter Berücksichtigung ihrer verwandtschaftlichen Beziehung und der Jahreszeiten. Die Forscher interessierte vor allem, ob in dem Maße, wie sich die Reviere der Rehe überlappen, auch deren Verwandtschaftsgrad steigt und welche Rolle Geschlecht und Jahreszeit dabei spielen.

Im Winter überlappten sich laut den Forschern die Streifgebiete männlicher und weiblicher Rehe viel stärker als im Sommer. Parallel zum Grad der Verwandtschaft stieg im Winter auch die räumliche Nähe der Tiere zueinander wieder an. Rehe hielten demnach im Durchschnitt kürzere Distanzen zueinander, wenn sie miteinander verwandt waren.

Die Rehe bilden dann sogenannte Sippenreviere. Meist sind es einige miteinander verwandte Ricken samt Rehkitzen sowie ein paar Böcke und Jungrehe, die als Verband ein solches Revier bevölkern. Auf Agrarflächen fallen die Verbände deutlich größer als im Wald aus. Im Spätwinter lösen sie sich zumeist wieder auf.

Den Forschern fiel auf, dass im Untersuchungsgebiet der Aktionsradius der Rehe im Winter kleiner war als zur Brunftzeit im Sommer. Die Wissenschaftler erklären das mit der Nahrungsknappheit im Winter. Die Rehe konzentrierten sich dann auf wenige ausgewählte Areale mit gutem Futterangebot.

Ihr Genfluss - also die Weitergabe und Streuung der eigenen Gene - unterscheidet sich von dem der meisten anderen wilden Huftierarten, bei denen das erwachsene Männchen weit umherzieht. Rehböcke bleiben auch ausgewachsen eher standorttreu, weshalb es eines natürlichen Mechanismus’ bedarf, um Inzucht zu vermeiden. Diesen sehen die Forscher in den Exkursionen der Ricken zur Brunftzeit im Juli und August.

Rehböcke, heißt es in der Studie, neigten im Gegensatz zu anderen Hirscharten auch nicht zur Polygynie, also dem Hang, sich möglichst oft mit verschiedenen Artgenossen zu paaren. Zu ihrem - nach menschlichen Maßstäben - ruhigen und geselligen Wesen zählt auch, dass Rehböcke ihre Reviere gegenüber verwandten Böcken nicht sonderlich vehement verteidigen, schreiben die Forscher. Der Grund dafür sei, als kleinste aller Hirscharten Energie für die Paarung zu sparen.

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