Saoirses Geheimnis

Im Kino: »Die Melodie des Meeres«

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Gälisch, poetisch, katholisch, naturverbunden und sehr, sehr grün, voller Fabelwesen, melodischer Folk-Songs und keltischer Ornamentik - das ist das Irland, das der irische Animationsfilmemacher Tomm Moore in seinem Zeichentrickfilm »Die Melodie des Meeres« beschwört. Was nach Klischee klingt, ist so fantasievoll erfunden, so voller bildlicher Details, kauziger Feen, wärmender Kaminfeuer und knopfäugiger Tiere, dazu so liebevoll einem handgemalten Aquarell voller Wetter und Wolken nachempfunden, dass es trotzdem richtig Spaß macht. Auch den Iren, wie man hört.

In der betont lokalspezifischen Verpackung steckt ohnehin eine global verständliche, ganz und gar klassische Geschichte über Geschwisterliebe, die sich erst beweisen muss. Da lebt ein Vater mit zwei Kindern und einem großen Hund auf einer steilen Leuchtturmklippe irgendwo vor der Küste. Die Mutter ging irgendwann verloren, die kleine Tochter, Saoirse, spricht immer noch kein Wort. Der neunmalkluge ältere Sohn, Ben, nimmt seiner kleinen Schwester das Verschwinden der Mutter übel und ihre Anwesenheit eher zähneknirschend in Kauf. Seine ganze Liebe gilt dem Zeichnen - und Cu, seinem Hund.

Als die Großmutter aus der Stadt zu Saoirses sechstem Geburtstag in ihrem klapprigen alten Citroën Deux Chevaux anreist, um die Enkel in die Stadt zu holen, damit sie in einer »normalen« Umgebung (sprich: behütet von großformatigen Christusbildern der kitschigeren Schule) aufwachsen, lässt der Vater das zum Entsetzen von Ben mit sich machen. Denn er kennt das Geheimnis seiner Tochter, das der Film für nicht-eingeweihte, nicht-keltische Zuschauer erst ganz allmählich enthüllt: Die im Meer verschwundene Mutter der Kinder war ein Selkie, ein Seehundmensch, und Saoirse hat ihre Gaben geerbt. Die Nähe des Meeres und der draußen vor den Felsen wartenden Robben könnte zur Versuchung werden für eine wie sie, die das Wasser (vielleicht) noch mehr braucht als die Luft zum Atmen.

Also lässt der Vater Saoirse ziehen, versenkt ihr mütterliches Erbe, den selkie-typischen Seehundfellmantel, in einer Schatztruhe im Meer und hofft darauf, dass die menschlichen Gene in der Stadt die Oberhand bekommen werden. Dort aber verharren die Kinder nicht lange. Weil Ben sich ein Leben ohne Hund gar nicht vorstellen mag, hat er auf der langen Fahrt gleich die Karte für den Rückweg gezeichnet. Und weil Saoirse in der großen Schneckenmuschel, die Bens besonderer Schatz ist, die Melodie des Meeres nicht nur hören kann wie er, sondern sie blasend auch ganz neu erzeugen, was Kettenreaktionen in Tier- und Feenreich auslöst, haben sie mit allerlei überirdischen Lichterscheinungen und bärtigen Feenfiguren bald eine Reihe hilfreicher (und ausgesprochen folklore-kundiger) Wegbegleiter.

Ihre Gegenspieler sind die Eulenkohorten einer vogelartigen Hexenfigur, die zur selben Geistesfamilie gehört wie der Vater der Kinder: Nicht eigentlich böse ist ihre Absicht, sich des Selkie-Mädchens zu bemächtigen, sondern eher einem fehlgeleiteten Versuch geschuldet, durch die Eliminierung von Gefühlen dem ganzen heulenden Elend der Welt ein Ende zu bereiten. (Zu Saoirses siebtem Geburtstag, so viel sei vorab verraten, wird auch sie zu den fröhlichen Gratulanten gehören, Elend der Welt hin oder her.)

Den bezaubernden ästhetischen und narrativen Überraschungseffekt seines oscar-nominierten Erstlings, »Brendan und das Geheimnis von Kells«, mit dem er eine irische Bilderhandschrift zu filmischem Leben animierte, kann Tomm Moore mit »Die Melodie des Meeres« nicht wiederholen. Aber die Feenfiguren, bärtige alte Männer mit der Anmutung der Schachspielfiguren von Lewis (das schottisch ist, es bleibt also alles in der keltischen Großfamilie) sind allein schon die Eintrittskarte wert - vor allem in der Halloween-Verkleidung, in der sie sich ganz unauffällig unter das irische Kleinstadtleben mischen. Denn auch das gehört mittlerweile zum irischen Erbe: die popkulturellen Einflüsse, die aus den USA in die alte Heimat zurückfließen.

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