Weite Wege zum Duschraum

Gewalt in Flüchtlingsunterkünften bleibt meist ein Tabu, wenn sie von Flüchtlingen ausgeht

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 6 Min.
Gewalt gegen geflüchtete Frauen, Kinder und Homosexuelle ist ein Tabu-Thema - wenn sie in deutschen Flüchtlingsheimen geschieht. Weil die Täter oft auch Flüchtlinge sind. Was tun?

Drei junge Männer waren es, die plötzlich ins Zimmer stürmten. Die Zehnjährige war alleine in dem Raum in der Landes-Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl. Dann zogen die Männer das Kind aus. Machten Fotos. Machten sexistische Bemerkungen. Nach wenigen Minuten war der Übergriff vorbei. Welche Spuren er an der Psyche des Kindes hinterlassen hat, wird sich erst noch zeigen.

Eine junge Kurdin, die auch nach Thüringen geflohen war, wurde bedrängt. Sie solle unbedingt heiraten; zu ihrem eigenen Schutz, wie ihr die Männer sagten; Männer, die entweder Deutsche waren oder aber Flüchtlinge, deren Asylantrag bereits bewilligt worden war.

Sind das Einzelfälle? Es sind einzelne Fälle, die Mitarbeiterinnen eines in Erfurt ansässigen Zentrums gegen Gewalt an Frauen gesammelt und aufgeschrieben haben. Getragen wird die Hilfseinrichtung vom Verein »Brennnessel«, der damit das tut, was Brennnesseln gewöhnlich tun: unangenehme, brennende Schmerzen erzeugen. Indem er an ein Tabu rührt. Der Verein weist mit seiner Sammlung von Übergriffen auf die Schutzbedürftigsten in den Flüchtlingsheimen des Freistaats auf eine Facette der Flüchtlingskrise hin, die in der öffentlichen Debatte gewöhnlich nicht vorkommt. Denn - und das ist allen klar, die sich mit Gewalt gegen Frauen beschäftigen - solche einzelnen Fälle sind nur Beispiele für Übergriffe auf Frauen und Kinder oder auch auf Männer. Einzelfälle, Ausnahmen also, sind sie nicht.

Wie viele solcher Übergriffe es pro Tag, pro Monat, pro Jahr in den Thüringer Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge oder in den Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen für diese Menschen gibt, ist unklar. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Nicht mal einigermaßen seriöse Schätzungen. Selbst die Dokumentation einzelner Fälle - wie die Frauen der »Brennnessel« das getan haben - sind selten. Weil, so erzählen es die Vertreterinnen verschiedenen Hilfsorganisationen für Frauen bei einer Anhörung vor dem Gleichstellungsausschuss des Landtages, die Betroffenen häufig sehr lange, manchmal für immer darüber schweigen, was ihnen in den Einrichtungen widerfährt.

Sie hätten kein Vertrauen zu Vertretern des Staats, die sie in ihren Heimatländern und auf ihrer Flucht häufig nur als korrupt und grausam erlebt hätten, sagen die Helferinnen. Die Betroffenen wüssten oft nicht, welche Rechte sie hätten, welche Hilfen es speziell für sie in Deutschland gebe. Und wer schließlich doch spreche, der könne die Täter in der Regel nicht identifizieren; Täter, die in der Anonymität der Heime abtauchen und nicht selten längst in einem anderen Heim untergebracht sind. Anzeigen solcher Übergriffe bei Polizei oder Justiz sind deshalb ganz selten.

Dass die Täter häufig ebenfalls Flüchtlinge sind, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass das Thema in der Öffentlichkeit tabuisiert wird. Ja, erzählen einzelne Frauenrechtlerinnen, es gebe auch Hinweise darauf, dass deutsche Wachmänner in den Heimen physische, psychische oder sexuelle Gewalt gegen geflüchtete Frauen ausübten. Aber immer wieder seien es eben auch Nicht-Deutsche, die - so sagen sie es jedenfalls - selbst Schutz vor Verfolgung suchen, und dann in den Flüchtlingsunterkünften zu Tätern werden.

Dass Flüchtlinge bisweilen eine Gefahr für andere Flüchtlinge sind, passt nicht zu den Bildern, die ihnen Wohlgesinnte über sie zeichnen; sie sind oft ebenso pauschal, wie Rechtspopulisten und Neonazis Flüchtlinge von vornherein ablehnen, sie dämonisieren.

Aber die Welt ist nicht schwarz oder weiß, sondern kennt unendlich viele Grautöne. So, wie eine 35-jährige Syrerin das beschreibt. Die Angst, in der sie lebte: Dass Muslime, mit denen sie in mehreren Flüchtlingsunterkünften in Deutschland lebte, merken könnten, dass sie lesbisch ist. Auch Homosexuelle - männliche wie weibliche - lebten in den »camps« in ständiger Angst, wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden, sagt sie. Verbal, so wie es ihr schließlich widerfahren sei. Oder körperlich, so wie sie das von einer transsexuellen Frau gehört habe, die in einer Flüchtlingsunterkunft in Erfurt untergebracht gewesen sei. Konservative Muslime, sagt die Syrerin, lehnten Nicht-Heterosexuelle grundsätzlich ab; auch wenn sie sich auf deutschem Boden aufhielten, wo qua Grundgesetz alle Menschen gleich sind, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identifikation. »Das ist für sie eine Sache der Religion«, sagt die Frau. Aus der Sicht von konservativen Muslimen sei es der Wille Gottes und des Korans, der sie verpflichte, Homosexuelle abzulehnen. »Ihre Attacken auf Homosexuelle sind für sie ein Weg, ihre Ablehnung auszudrücken.«

Die Vorschläge, die im Ausschuss von den Vertretern der Frauen-Hilfsorganisationen dazu gemacht werden, wie sich Übergriffe auf die Schwächsten in den Heimen verhindern oder zumindest eindämmen lassen, sind oftmals fast lächerlich einfach. Aber angesichts der Zustände in vielen der Unterkünfte sind sie wohl doch nur schwer umzusetzen. Weshalb die Übergriffe kaum schnell einzudämmen sein werden. Es würde den Frauen, den Kindern und auch den Homosexuellen schon helfen, wenn es in den Unterkünften Zimmer gebe, die sich abschließen ließen und ihnen so Schutz böten. Getrennte Dusch- und WC-Bereiche für Männer und Frauen seien ebenfalls schon mal ein Anfang. Ebenso wie eine intelligente Zimmerverteilung: Wenn Frauen nachts lange Wege zwischen ihren Schlafzimmern und Toiletten zurücklegen müssten, heißt es mehrfach im Landtag, dann erhöhe das die Gefahr für sie, Opfer einer Vergewaltigung zu werden. Also müssten ihre Schlafräume nahe an den Sanitärbereichen sein.

Zudem fordern die Helferinnen ebenso wie die lesbische Syrerin gut ausgebildetes und für mögliche Übergriffe sensibilisiertes Personal in den Heimen. Männliches und weibliches Personal, damit Frauen sich Frauen und Homosexuelle sich Menschen, von denen sie wissen, dass sie von ihnen nicht diskriminiert werden, anvertrauen können. Die Ansprechpartner für Homosexuelle, schlägt die Syrerin vor, könnten spezielle Binden an ihrer Kleidung tragen, die Schwulen und Lesben und Transgender-Menschen signalisieren: »Mit mir könnt ihr offen sprechen!«

Zwei Stunden wird im Gleichstellungsausschuss in Erfurt über Gewalt gegen geflüchtete Frauen, Kinder und Homosexuelle in Flüchtlingsheimen gesprochen. Nur wenige Tage später signalisiert die Bundesregierung, dass der Handlungsbedarf auch außerhalb Thüringens erkannt wird: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigt in Berlin ein Hilfsprogramm für die Kommunen an, mit dem Frauen und Kinder besser vor Übergriffen in den Heimen geschützt werden sollen. Städte und Gemeinden, sagt Schwesig, sollten Kredite in Höhe von insgesamt bis zu 200 Millionen Euro bekommen, um Rückzugsmöglichkeiten in kommunalen Einrichtungen zu schaffen. Auch getrennte Sanitärbereiche sollten damit eingerichtet werden können.

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