Kiezlegende droht der Rauswurf

In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Kündigung des »Gemischtwarenladens für Revolutionsbedarf«

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 1985 verkauft Hans-Georg Lindenau in der Manteuffelstraße seine »Revolutionsartikel«. Doch am 31. Dezember soll Schluss sein. Dagegen organisiert sich Widerstand.

Schwarzrote Fahnen flattern neben einem Stapel Antifaaufkleber. In Regalen finden sich Plakate und Flugblätter zu verschiedenen Themen der außerparlamentarischen Linken. Im »Gemischtwarenhandel für Revolutionsbedarf« in der Manteuffelstraße 99 kann man den Geist des rebellischen Kreuzberg der späten 80er Jahre noch spüren.

Doch zum 31. Dezember soll damit Schluss sein. An diesen Tag soll Ladeninhaber Hans Georg Lindenau, den alle nur HG nennen, die Räume besenrein an die Idema Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft übergeben, die das Haus vor einigen Jahren erworben hat. Es ist der achte Hauseigentümer, seit Lindenau vor 30 Jahren den Laden eröffnet hat. Damals waren in Kreuzberg zahlreiche Häuser besetzt. Der Stadtteil an der Mauer wurde bei Linken, Alternativen und Aussteigern beliebt. Sie waren die ersten Kunden und Nutzer des Ladens.

In den letzten Jahrzehnten hat sich Kreuzberg rasant verändert. Doch der M99 ist bis heute Anlaufpunkt für Menschen aus aller Welt, die noch etwas vom Flair des alten Kreuzberg mitbekommen wollen. In den nächsten Tagen ist die Gelegenheit dazu besonders günstig. Denn Lindenau und seine Unterstützer bereiten den Widerstand gegen die Zwangsräumung vor. »Ich gehe hier nicht freiwillig raus«, erklärt HG, der bei einer Räumung nicht nur den Laden, sondern auch seine Wohnung verlieren würde, die er nach einer Querschnittslähmung in den hinteren Räumen rollstuhlgerecht eingerichtet hat.

An der Kampagne gegen die Räumung beteiligen sich viele Kunden. Das ist im Sinne von Lindenau, der sich nie als Geschäftsmann gesehen hat. »Von Anfang an haben Menschen, die im M99 Aufkleber, Infomaterial und die angesagten linken T-Shirts und Kapuzenpollover erworben haben, geholfen, den Betrieb aufrechtzuerhalten«, benennt HG das Konzept.

Jetzt tragen die Unterstützer dazu bei, dass im ganzen Stadtteil Plakate mit dem Motto »Bizim M99« (Wir sind alle M99) zu sehen sind. Die Parole ist an die Kampagne »Bizim Bakkal« angelehnt, mit der sich vor einigen Monaten Nachbarn für den Erhalt eines gekündigten Gemüseladens in der Kreuzberger Wrangelstraße engagierten (»nd« berichtete). Die Kündigung wurde zurückgenommen.

Mittlerweile kämpft die Bizim-Initiative gegen die Verdrängung von Mietern und kleinen Läden in ganz Kreuzberg. Sie engagiert sich auch für den Erhalt des M99. »HG ist kein profitorientierter Geschäftsmann, sondern sieht sich und seine Arbeit als einen Teil der Kultur von unten. Deshalb gibt es auch eine Freebox - hier kann jeder geben und nehmen, was er kann und möchte«, begründete eine Aktivistin der Bizim-Bewegung das Engagement für den Erhalt des Ladens. Der sei ein Anlaufpunkt für die Nachbarschaft, die nicht zu der kaufkräftigen Zielgruppe der neuen Läden gehört, die sich auch in Kreuzberg ausbreiten, betont sie.

Unter dem Motto »HG/M99 bleibt« soll am 9. Januar für den Erhalt des Ladens demonstriert werden. Beginn ist um 14 Uhr am Heinrichplatz.

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