Wer hat’s erfunden? Ist doch egal!

Fondue oder Raclette - beides hat seinen Anfang in einem Kuhstall

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.

Lassen wir doch die Schweizer im Glauben, sie hätten das Fondue erfunden. Was auf jeden Fall stimmt: Sie haben es in den Rang eines Nationalgerichts erhoben und mittels einer riesigen Werbekampagne Mitte des vergangenen Jahrhunderts den Mythus genährt, sie seien’s gewesen. Die Kampagne stand unter dem für Nichtschweizer unaussprechlichen Motto «Figugegl». Was eine Abkürzung für «Fondue isch guet und git e gueti Luune» ist und im Hochdeutschen ganz simpel «Fondue ist gut und macht gute Laune» bedeutet.

«Kein Einspruch, Euer Ehren!», möchte man da ausrufen. Gute Laune macht der Käsetopf wirklich, und sicher stand er deswegen auch hierzulande wieder im Mittelpunkt ungezählter Silvesterpartys.

Wenn jenseits der Schweizer Alpen auch Öl, Fleisch- oder Gemüsebrühe zum Eintunken als Fondue bezeichnet wird - für traditionsverpflichtete Eidgenossen ist das alles Käse. Denn der Name kommt vom französischen Wort «fondre», was auf Deutsch «schmelzen» bedeutet. Wie soll das denn mit Brühe funktionieren?

Auf «fondre» berufen sich auch die Franzosen, speziell die aus Savoyen, und reklamieren die Erfindung der sättigenden Kalorienbombe für sich. «Von wegen!», rufen da die Griechen. «Uns gebührt der Ruhm, denn schon in Homers ›Ilias‹ kann man über die Zubereitung der Fäden ziehenden Käsepampe lesen, wo von einem fondueähnlichen Gericht aus geriebenem Ziegenkäse, Wein und Weißmehl geschrieben steht.»

Ach, sollen sich doch die Historiker und Traditionalisten weiter beharken, unbestritten ist, dass jedes Fondue seinen Anfang in einem Kuhstall nimmt. Was genauso auf das zweite Schweizer Nationalgericht zutrifft, das Raclette, also unter Hitze geschmolzener Käse, der vom halben Leib geschabt wird. Das übrigens wurde nun wirklich erstmals urkundlich in der Schweiz erwähnt. Anno 1574 im Wallis als nahrhafte Speise der Alphirten.

In diesem Kanton, genauer in Leukerbad, warten jeden Morgen 19 Milchkühe auf Martin Noti, der sie noch vor dem ersten Hahnenschrei melken wird. Das frühe Aufstehen mache ihm nichts aus, erzählt der 37-Jährige gut gelaunt, während er einer Kuh behutsam das Euter massiert. So fließe die Milch besser ein, erklärt der Bauer. «Und gefallen tut’s ihr auch».

20 bis 40 Liter gibt jedes Tier am Tag, insgesamt 310 Liter werden es an diesem sein. Das reicht für rund 30 Kilogramm besten Käse. Noch bevor der erste Sonnenstrahl über den Bergrücken blinzelt, hat der junge Mann die schweren Milchkannen auf seinen Jeep geladen und macht sich auf den Weg zu Elmar Weber in die Käserei.

Auch der Senner ist schon eine ganze Weile auf den Beinen, hat den Dampfkessel angeheizt und die Käseformen bereitgestellt. Die nächsten drei Stunden hat er alle Hände voll zu tun, denn ist die Milch erst mal im Kupferkessel, muss er wie ein Schweizer Uhrwerk arbeiten: jeden Arbeitsschritt auf die Sekunde genau. Zunächst erwärmt er die Milch langsam, wobei er sie ständig rührt. Immer wieder schaut er auf das Thermometer, bei exakt 40 Grad Celsius gibt er das Lab zu, ein Enzym, das die Milch eindickt. Jetzt hat er eine halbe Stunde Zeit für einen Kaffee und für Lola, seine Hündin und, wie Elmar sagt, seine beste und einzige Kollegin. Dass sie nicht mit ihm reden kann, stört ihn nicht. Reden ist ohnehin nicht so sein Ding.

Den Sommer über leben die beiden gemeinsam mit den Kühen von acht Bauern auf der Alpe auf 1550 Meter Höhe. «Zum Reden hab ich da sowieso keine Zeit, erzählt der Senner. Der Tag beginnt um vier Uhr mit Melken, dann wird die Milch zu Käse verarbeitet, nachmittags hat er im Keller mit der Pflege der schon fertigen Laibe zu tun, setzt Zäune und kümmert sich um die Tiere. »Spätestens um neun fall ich total fertig ins Bett.« Wenn die Kühe im Herbst wieder in ihren Ställen im Tal stehen und er von den Bauern die Milch geliefert bekommt, geht er den Tag zwar etwas ruhiger an, über Langeweile aber kann er sich nicht beklagen. Er sei zufrieden mit seinem Leben hier, sagt Elmar, ein anderes könne er sich gar nicht mehr vorstellen.

Dabei verdankt er das einem Zufall. Denn der Deutsche hatte zwar auf einem Milchhof in Westfalen gearbeitet, doch dass er mal Senner auf einer Schweizer Alpe sein würde, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Infiziert wurde er durch einen Tramper, den er irgendwann in den 90er Jahren ein Stück mitnahm. Der erzählte ihm vom Leben auf einer Schweizer Alpe. »Das klang wie ein großes Abenteuer, und ich wollte es unbedingt ausprobieren«, erinnert sich der 46-Jährige. »Nun ja, das mit dem Abenteuer hat sich schnell relativiert, dennoch merkte ich schon bald, dass dieses Leben mich glücklich macht.« Inzwischen verbringt er seit 13 Jahren die Sommer auf der Alpe Larschy - ohne Zeitung oder Computer, nur mit einem Radio, »das ausschließlich französische Sender empfangen kann, bei denen ich kein Wort verstehe.« Im Winter zieht er hinunter ins Tal ins 100-Seelen-Dörfchen Inden unweit von Leukerbad. Elmar Weber ist bei den Einheimischen längst als einer der ihren anerkannt, spätestens seit er vor ein paar Jahren bei einer eidgenössischen Prüfung für seinen Bergkäse 19 von 20 möglichen Punkten bekam und sein Raclettekäse eine Auszeichnung als einer der besten im Oberwallis.

So viel wie heute habe er schon lange nicht mehr geschwatzt, beendet Elmar Weber nach einem Blick auf die Uhr abrupt das Gespräch, jetzt verlange der Käse wieder seine volle Aufmerksamkeit. Das Lab hat innerhalb von 30 Minuten die Milch in eine schnittfeste Masse verwandelt, die der Senner nun mit der Käseharfe - eine Art übergroßer Eierschneider am Stil - zerkleinert: kreuz und quer und im Kreis herum, bis nur noch winzige Kügelchen übrig sind. Elmar ist dabei hoch konzentriert, wirkt fast wie in Trance. Immer mal wieder nimmt er eine Handvoll vom Bruch, kontrolliert die Größe. Je kleiner die Körnung, desto härter wird später der Käse, erklärt er. Endlich ist der Senner zufrieden - die Körnchen haben die Größe von Reis, klein genug für einen guten Bergkäse. Jetzt muss nur noch die Masse in die Formen gefüllt und die Molke herausgepresst werden, dann ist der Rohkäse fertig und kommt in den Keller, wo er die nächsten 60 Tage reifen wird, bevor Elmar die zwischen einem und 1,7 Kilogramm schweren Laibe monatelang täglich rundherum mit einer Salzlake abbürstet. Frühestens in sechs Monaten kommen die ersten dann auf den Markt, manche liegen 18 Monate.

Sechs Monate Reifezeit hatten auch der Gruyère, Vacherin und Walliser Käse, die der Wirt vom Restaurant »Altels« in Leukerbad am Abend zusammen mit Weißwein, einem Gläschen Kirschwasser, grob gehacktem Knoblauch und einem Löffel Maizena zum Schmelzen bringt. So wie es das klassische Fonduerezept verlangt. Seit 28 Jahren führen Marius Grichting und seine Frau Susanne das traditionelle Walliser Restaurant im historischen Teil des Ortes. Fondue und Raclette sind die absoluten Renner, und es empfiehlt sich, einen Tisch zu reservieren, will man sichergehen, am Abend Teil der urgemütlichen Runde zu sein. Auf vielen Tischen dampfen dann die Fonduetöpfe, an anderen serviert Marius Raclettekäse, den er Schicht für Schicht unterm Grill schmelzen lässt und mit geübtem Griff auf die Teller schabt.

Die Gäste genießen das gesellige Essen und verschwenden keinen Gedanken daran, bei wem sie sich für die geniale Erfindung bedanken sollten. Irgendwann zu sehr später Stunde schnappt sich Marius seinen musikalischen Besen, dessen Stil gleichzeitig so eine Art Alphorn ist, und bläst den Letzten ein Feierabendlied. Und wenn es einmal ganz spät wird, begegnen die Nachtschwärmer vielleicht Martin, der auf dem Weg zu seinen Kühen ist, um sie zu melken.

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