Typisch deutsch: Alles in Kategorien stecken

Die Anwältin Nizaqete Bislimi über Flüchtlinge und jene, die sich von ihnen überfordert fühlen

  • Lesedauer: 7 Min.

Frau Bislimi, wie sehr identifizieren Sie sich mit Deutschland?
Ich habe in Deutschland deutsches Recht studiert und bin deutsche Staatsbürgerin. Deutschland ist meine Wahlheimat. Deshalb identifiziere ich mich vollständig mit diesem Land.

Sie sind mit 14 Jahren, während des Bosnienkrieges, aus Kosovo nach Deutschland geflohen. Warum war damals Deutschland Ihr Ziel?
Die Entscheidung lag damals nicht bei mir, sondern bei meinen Eltern. Warum es gerade Deutschland sein sollte - das kann ich Ihnen nicht sagen.

Nizaqete Bislimi

Nizaqete Bislimi (36) kam 1993 als Flüchtling aus Kosovo nach Deutschland, heute arbeitet sie als Anwältin für Ausländerrecht und Asylrecht und ist Erste Vorsitzende des Bundes Roma Verband e. V. Im Interview spricht sie mit Adrian Arab von Planet Interview über Willkommenskultur, die Einteilung in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge, rechte Gewalt und eine typisch deutsche Eigenschaft.

Ihre Familie ist der drohenden Abschiebung mehrmals entgangen.
Unser Asylantrag wurde zunächst abgelehnt. Allerdings wurde uns der negative Bescheide des Bundesamtes nicht ordnungsgemäß zugestellt. Unser Asylfolgeantrag wurde abgelehnt, wogegen wir aber gerichtlich vorgegangen sind. Zu der Zeit des Kosovokrieges wurden wir dann aufgrund der Erlasslage in NRW geduldet.

Als Anwältin haben Sie sich auf Asylrecht spezialisiert. Berichten Ihre Mandanten heute von Willkommenskultur?
Das hängt zum Teil davon ab, woher sie kommen. Wir erleben leider eine Einteilung in sogenannte »gute« und in »schlechte« Flüchtlinge. Eine Mandantin aus dem Balkan berichtete, sie bekomme keine Beratung in der Gemeinschaftsunterkunft, weil man dort annehme, sie müsse ohnehin in Kürze ausreisen. Lieber wolle man den syrischen Flüchtlingen helfen. Die Mandanten erleben auch, dass sich sehr viele Menschen für Flüchtlinge einsetzen. Trotzdem steigt die Besorgnis bei mir und meinen Mandanten, wenn die Zahl der brennenden Flüchtlingsheime weit in die Hunderte geht.

Wird die Einteilung in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge auch von der Bevölkerung vorgenommen?
Ja, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das von der Politik tagtäglich vorgelebt wird. Selbst unsere Bundeskanzlerin tut das.

Inwiefern?
Wenn sie von »Menschen mit guter Bleiberechtsperspektive« und »Menschen ohne Bleiberechtsperspektive« spricht. Viele Politiker ordnen die Geflüchteten aus dem Westbalkan generell als »Wirtschaftsflüchtlinge« ein. Für die Gesellschaft ist das absolut kontraproduktiv. Aus meiner Sicht sollte die Politik die Menschen führen, sie sollte nicht spalten. Denn das schafft Stigmata auch innerhalb der Geflüchteten und hetzt sie gegeneinander auf. Auf die Spitze getrieben führt das irgendwann dazu, dass ein Syrer einem Rom vorwirft, er nehme ihm den Platz in Deutschland ungerechtfertigt weg. Das ist kein unwahrscheinliches Szenario.

Es flüchten Menschen vor Krieg nach Deutschland und andere, weil sie unter wirtschaftlicher Not leiden. Ist es nicht nachvollziehbar, dass die Politik hier eine Unterscheidung vornimmt?
Pauschal den Begriff der »Wirtschaftsflüchtlinge« zu nutzen, halte ich für falsch. Wenn jemand zu uns kommt und Schutz sucht, dann müssen wir ihm Schutz gewähren. Das ist nicht nur eine gesellschaftliche Norm, sondern ist durch das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention definiert. Diese schreiben eine individuelle Prüfung der Situation vor. Die Argumentation, dass alle Geflüchteten aus dem Westbalkan aus wirtschaftlichen Gründen kommen und deswegen pauschal abgelehnt werden müssten, hat dazu geführt, dass Bosnien-Herzegowina, Albanien, Kosovo, Serbien, Mazedonien und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten eingestuft wurden. Die Kausalkette ist aber völlig wirr.

Warum?
Wenn etwa ein Rom in Kosovo kein Leben aufbauen kann, weil er keinen Zugang zur Schule, zur Gesundheitsversorgung, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt hat und Anfeindungen und Angriffen schutzlos ausgeliefert ist, dann stellt das eine kumulative Verfolgungssituation dar, die unter der Genfer Flüchtlingskonvention gefasst ist. Diese wiegt genauso schwer wie eine Menschenrechtsverletzung. Nur wird diese Möglichkeit gar nicht mehr geprüft.

Die jetzige Gesetzeslage schreibt eine Einzelfallprüfung vor.
Ja, in der Theorie. In der Praxis geschieht das aber nicht. Die Westbalkanstaaten sind als sichere Herkunftsstaaten eingestuft worden. Und schon vor dieser Einstufung sind die Anträge massenhaft abgelehnt worden.

Als Sie nach Deutschland kamen, haben Sie sich zunächst nicht zu Ihrer Identität als Roma bekannt. Warum haben Sie sich erst spät dazu entschieden, diese öffentlich zu kommunizieren?
Das war keine von heute auf morgen getroffene Entscheidung und stand am Ende eines langen Prozesses. Letztlich musste ich erst Jura studieren und Anwältin werden, um das nötige Selbstvertrauen für diesen Schritt zu entwickeln.

Ist Deutschland immer noch ein Land, in dem Roma der Diskriminierung nur entgehen können, indem sie ihre Herkunft verschweigen?
Leider gibt es in Deutschland nach wie vor einen ganz besonderen Rassismus gegenüber Roma, den Antiziganismus. Schuld daran sind auch die Politiker, die mit Parolen wie »Wer betrügt, der fliegt« oder »Wirtschaftsflüchtlinge« um sich werfen. Damit werden alte Ressentiments bestätigt.

Derzeit nehmen die rechten Gewalttaten in Deutschland zu, haben Sie diese Entwicklung kommen sehen?
Mich überrascht das nicht. Aus meiner Sicht ist diese Entwicklung auch ein Produkt der medialen Berichterstattung und der Äußerungen einiger Politiker. Wenn Herr Seehofer in Zusammenhang mit der gestiegenen Anzahl der Geflüchteten und der aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen von »Notwehr« spricht, dann muss man sich im Klaren darüber sein, dass das auch die Argumentation derer ist, die Flüchtlingsheime anzünden. Diese Personen sehen das als gebotene Maßnahme, um der angeblichen Überfremdung in ihren Orten Einhalt zu gebieten.

Deutschland mag wirtschaftlich gesehen in der Lage sein, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen. Aber ist Deutschland auch gesellschaftlich gesehen dazu in der Lage?
Wenn man sich die Menschen anschaut, die in Dresden für Pegida auf die Straße gehen, kann man möglicherweise daran zweifeln. Allerdings glaube ich nicht, dass diese Menschen repräsentativ für die Gesellschaft sind. Was sind einige Tausend im Vergleich zu allen Bundesbürgern? Ich erlebe sehr viele Menschen, die bereit sind, sich für Geflüchtete zu engagieren. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass Deutschland gesellschaftlich in der Lage dazu ist.

Ein Leser des »Bonner Generalanzeigers« fragte kürzlich in einem Kommentar: »Wie soll die Integration arabischer Muslime, von denen mehr als 20 Prozent Analphabeten sind, gelingen, wenn Deutschland es in 50 Jahren kaum geschafft hat, zum Beispiel die türkischen Zuwanderer zu integrieren?« - Wie würden Sie antworten?
Wir sollten aus dem, was der Herr beschreibt, lernen. Es gab ja schon bei den Gastarbeitern Versäumnisse. Man hat keine Investitionen in die Integration getätigt und geglaubt, diese würden bald zurück in die Heimat gehen. Nun leben sie in dritter Generation hier. So eine Einstellung darf sich nicht wiederholen. Integration verläuft in zwei Richtungen. Nur wenn ich Integration ermögliche, kann ich auch Integration erwarten.

Angela Merkel äußerte: »Das Asylrecht kennt keine Obergrenze« - ist Ihrer Meinung nach derzeit ein Einwanderungsgesetz notwendig?
Das wäre zumindest eine klares Signal an unsere Gesellschaft, die dann verstehen würde, dass auch die Politiker Deutschland als Einwanderungsland begreifen. Einwanderung findet hier doch nicht erst seit gestern statt. Menschen kommen, manche gehen, manche bleiben. Darauf müssen wir uns einrichten. Aus diesem Grund sind aus meiner Sicht die Menschen verunsichert und laufen zu Pegida.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit solch einem Gesetz?
Ich hoffe, dass der Fokus nicht nur darauf gelegt wird, die Menschen zu versorgen, von denen wir auch etwas haben. Einwanderungsgesetze benötigen auch eine Portion Humanität. Heute besteht keine Verknüpfung zwischen Asylrecht und Aufenthaltsrecht, durch ein Gesetz könnte diese hergestellt werden. Wenn man nämlich für eine unqualifizierte Beschäftigung in Deutschland bleiben möchte, ist eine Aufenthaltserlaubnis kaum zu bekommen. Wir müssen akzeptieren dass nicht alle Menschen so qualifiziert sind, wie wir das gerade wollen.

Es heißt immer, Zuwanderer sollten sich zu deutschen Werten bekennen. Was sind für Sie typisch deutsche Tugenden - abgesehen von Pünktlichkeit und Ordnung?
Ich weigere mich, so eine Kategorie wie den »typischen Deutschen« aufzumachen. Denn das gleiche macht man ja mit den Roma. Es gibt nicht den typischen Deutschen. Wobei: Genau das wäre für mich typisch deutsch: dass man alles in Kategorien stecken muss.

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