Wo die Geier sich beim Festmahl raufen

Jenas Stadtmuseum widmet sich der Schwarzen Romantik und präsentiert einen sehenswerten Nachhall in der Videokunst

  • Doris Weilandt, Jena
  • Lesedauer: 4 Min.
Das thüringische Jena gilt als Geburtsstätte der deutschen Romantik. Im Stadtmuseum wird derzeit eine Ausstellung zeigt, welche eine Unterströmung reflektiert: die Schwarze Romantik.

Das zentrale Symbol der Romantik, die Blaue Blume aus Novalis´ Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen«, hat über Jahrhunderte nachgewirkt. Das belegt auch die aktuelle Ausstellung »Afterimages. Nachhall der Schwarzen Romantik in der Videokunst« im Stadtmuseum Jena eindrücklich. Im historischen Novalis-Text begibt sich der adlige Minnesänger auf eine Reise, in der sich die Realität mit inneren Bildern mischt. Der Animationsfilm des schwedisch-deutschen Künstlerduos Nathalie Djurberg und Hans Berg »Woods« - nun in Jena zu sehen - spielt auf diese Geschichte an. Als Überleitung in eine andere Welt fliegt ein blauer Vogel durch einen unwirtlichen dunklen Wald. In der märchenhaften Erzählung greift ein junges Mädchen nach dem Tier, die Liebkosung geht in brutales Rupfen über. Melancholie und Begehren sprechen aus ihrem Gesicht und es braucht nicht lange, bis ein Fuchs sich der einsamen Kreatur bemächtigt, um sie zu verführen - wie einst der Wolf das Rotkäppchen. Beeindruckend ist die emotionale Ausdrucksstärke der Puppen, die tief berührt.

Die Schwarze Romantik ist eine Unterströmung, die innerhalb der Romantik am Ende des 18. Jahrhunderts aufkam und sich mit Kehrseite des menschlichen Seins beschäftigt. Kurator Robert Seidel, selbst Experimentalfilmer und Kenner der Szene, hat zwölf Arbeiten internationaler Video- und Filmkünstler thematisch zu jener surreal-düsteren Schau in Jena vereint.

Jeder Film bezieht sich auf ein Bild, das ein Gefühl für die Absonderlichkeiten des Lebens vermittelt. Das Vanitas-Gemälde »In ictu oculi« des spanischen Malers Juan de Valdés Leal etwa interpretiert Greta Alfaro in ihrer gleichnamigen Arbeit neu. Mitten in einer Landschaft steht ein gedeckter Tisch, der an barocke Festmahle erinnert. Das Fehlen von Stühlen und die Kargheit der Landschaft lassen Unheimliches ahnen. Nach und nach schweben Geier ein, die die opulente Szenerie gespannt beobachten und auf ein Zeichen warten. Das ranghöchste Tier macht den ersten Schritt Richtung Tafel und beginnt mit dem Fressen. Innerhalb kürzester Zeit ist alle Schönheit verwüstet und die sprichwörtliche Wendung »Wie die Geier« ist zum Bild geworden. Während bei Valdés der Tod jegliche Ordnung zerstört, ist es im Film von Greta Alfaro das Animalische, das alles infrage stellt.

Auch eine auf mehreren Festivals preisgekrönte Arbeit der Thüringerin Susann Maria Hempel ist in der Ausstellung »Afterimages« vertreten. Unter dem sibyllinischen Titel »Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen« verbirgt sich die Geschichte eines Ostthüringers, der 1989 sein Gedächtnis in einem Gefängnis verlor. Die Künstlerin erzählt anhand von Interviews erlebte Traumatisierungen, die sie surreal verfremdet. Der Greizer Dialekt verführt trotz der geschilderten Erlebnisse zu einer Vertrautheit, die hart mit Bildern geschändeter Puppen und albtraumhaften Begegnungen überblendet wird. Das Tempo steigert sich zu Schreckenszenarien, die in rascher Folge ineinander übergehen. Seidel sieht in ihrem Film eine Parallele zu den Grafiken der »Caprichos« von Franzisco de Goya.

Neben historischen Bezügen zu Gemälden der Kunstgeschichte kam es dem Kurator auch auf eine Vielzahl von künstlerischen Handschriften an. William Lamson hat die Waldhütte, in der der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau als Selbstversorger lebte, inszeniert. Der helle Raum eines Hausbootes funktioniert dabei wie eine Camera obscura. Entsprechend der Tageszeit dringen mit wechselndem Licht die Bilder der umgebenden Natur ins Innere.

Die Arbeit Lamsons ist eine Reflexion über Poesie und Schönheit. Die Möblierung mit Schreibpult, Arbeitstisch und Schlafliege verweist auf den von Gewaltfreiheit beseelten Bewohner, der die Reinheit des Raumes nicht zerstören will. Dagegen ist im Video der Quay Brothers schon auf den ersten Blick das Grauen Teil des schauerlichen Arrangements. »Stille Nacht III« ist der Titel einer schwarz-weißen Studie, in der der Geist des Hirsches den eigenen Tod noch einmal erlebt. Auf einer Gewehrkugel fliegt er durch die Ausstellungsräume eines Museums. Mit »Afterimages« ist der Kunstsammlung Jena ein nachdenklicher und sehenswerter Nachhall am Ort der Entstehung der Romantik gelungen, der den Bogen in die Jetztzeit schlägt.

Ausstellung »Afterimages. Nachhall der Schwarzen Romantik in der Videokunst«; noch bis zum 3. April im Stadtmuseum Jena; Di u. Mi 10 - 17 Uhr, Do 15 - 22 Uhr, Fr 10 - 17 Uhr, Sa 11 - 18 Uhr, So 11 - 18 Uhr

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