NSU-Karrieristen gegen das Menschenrecht auf Antifa-Krawall

Wer sich der Präsenz von Nazis zur Wehr setzt, erfährt nicht nur Lob. Wer äußert die Kritik?

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 5 Min.

Mitte Dezember hat es in Leipzig geknallt: Nazis hatten sich zusammen mit viel Polizei und Demonstrationsrecht zu Besuch angekündigt, um einen Anschlag auf das friedliche und tolerante Zusammenleben im Stadtteil Connewitz zu verüben. Die Leipziger GenossInnen, jedenfalls die, die noch die Inhumanität der Verhältnisse empfinden, waren hellauf empört, und starteten eine klug begründete Gegenmobilisierung. Und die war, wie wir nun wissen, durchschlagend und erfolgreich. Die Nazis konnten gerade mal ein paar Hundert Meter laufen. Ihr Ziel, ihre Terroransage in Connewitz zu manifestieren, konnte auch aufgrund militanter Gegenwehr nicht im Entferntesten erreicht werden.

Nachdem man in den vergangenen zwei Jahren Hunderte von Aufmärschen von Pegida, Legida, AfD und Konsorten, die schwarze Messe der Rassisten in Heidenau usw. hat schlucken müssen, endlich mal ein Krawall - so schwer ist der aufrechte Gang in diesem Land, um hier einmal eine instruktive Erkenntnis von Ernst Bloch für die Gegenwart anzuverwandeln.

Formen antifaschistischen Widerstands

Keine Frage: Krawall ist kein Grundrecht, denn er findet im Grundgesetz weder Platz noch Erwähnung. Mehr noch: Es gibt darüber hinaus keinen Staat auf der Welt, der das Mittel Krawall verfassungsrechtlich nobilitieren kann. Wahr aber auch: Staaten kommen und gehen, womit aber niemals das spätestens seit dem 8. Mai 1945 existierende Menschenrecht berührt sein kann, sich mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Präsenz von Nazis zur Wehr zu setzen. Insofern steht dieses Menschenrecht definitiv über die vom Staat hin und wieder mal konzessionierten Grundrechte.

In einem Statement für das lokale Nachrichtenmagazin MDR Sachsenspiegel entwarf die Genossin Juliane Nagel für den Nazibesuch ein Bild aus dem Biedermeier, als sie sagte: »Man muss kritisch diskutieren, ob man über das Stöckchen der Nazis springen muss, die genau das wollten, dass es hier eskaliert.« Natürlich zieht so eine rhetorische Frage immer die entsprechende Antwort nach sich: Nein, natürlich muss man niemals über ein »Stöckchen« springen.

Allemal ist es aber auch zulässig, in Sachen Nazis an ein ganz anderes Bild als das vom Biedermeier zu denken. Was soll man denn tun, wenn man davon ausgehen muss, dass es sich nicht um das besagte »Stöckchen«, sondern eher um einen Baseballschläger handelt? Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn einem die Nazis praktisch wie politisch den Baseballschläger hinhalten, ist es richtig, diesen zu verbrennen.

Wenig verwunderlich, dass das Establishment über die markante Gegengravur von Leipzig schäumt. Nun fällt im Angesicht verglühter Plastikmülltonnen auf den Straßen Connewitz aus dem Mund des Leipziger Bürgermeisters Burkhard Jung ein Begriff, den man bislang bei den Hunderten von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünften in diesem Land, die verbal immer mal wieder als grober Unfug von zum Teil betrunkenen, aber auch mal von putzigen Rechtspopulisten abgebucht werden, lange hat entbehren müssen: Terror. Jung sah in einem Fernsehinterview »hochkriminelle Gewalttäter« am Werk, die aus dem »Untergrund tätig« sind und er werde »nicht müde zu betonen, dass wir es hier fast mit terroristischen Gruppierungen zu tun haben und ich erwarte einfach bessere Erkenntnisse durch den Verfassungsschutz.«

Jung kündigte an, sich mit dem sächsischen Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath zusammenzusetzen. Und bei dem handelt es sich nach eigenen Angaben in seiner Vernehmung im NSU-Untersuchungsauschuss des Bundestages um den Duz-Kumpel des wegen versuchten Totschlags verurteilten Nazis Carsten Szczepanski.

Karrieren im NSU-Komplex

Ein Blick auf den weiteren Karriereverlauf von Meyer-Plath erweist, das er im Apparat des bundesdeutschen Verfassungsschutzes als die kongeniale Figur eines NSU-Karrieristen gelten kann: Die Verwaltung des NSU durch bundesdeutsche Verfassungsschutzbehörden nicht als Makel, sondern als eine Voraussetzung für den weiteren Berufsausstieg.

In den NSU-Karrierismus sind wahrlich einige verwickelt, unter anderem der als Extremismusforscher vorgestellte Werner J. Patzeld, der sich zu dem Leipziger Antifa-Krawall zu Wort meldete. Ihm fiel dazu allen Ernstes ein potenzieller Schusswaffeneinsatz von »Linksextremisten« ein: »Hinsichtlich der Polizei hegen viele Linke ein ganz traditionelles Feindbild«, so der Extremismusforscher. »Für sie sind Polizisten 'Bullen' oder jene 'Schweine', auf die 'natürlich' geschossen werden darf – wie das die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof einmal formuliert hat.«

Es wäre leicht sich über diesen von dem Politikprofessor erkennbar verbreiteten Unfug lustig zu machen. Doch Entwarnung führt in die Irre. Patzeld vom Dresdener Institut für Politikwissenschaft u. a. mit dem anspielungsreichen Forschungsschwerpunkt zu »politischer Kommunikation«, kann nicht nur in einem allgemeinen Sinne als eine Spinne im wissenschaftlichen-nachrichtendienstlichen Komplex gelten, in dem seit zwei Jahrzehnten die Extremismusdoktrin ventiliert wird. Er ist auch als Doktorvater der Arbeit von Martin Thein in Erscheinung getreten, die dieser als hochrangiger Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus verdeckt an der TU Dresden über den sogenannten »Neonazismus im Wandel« geschrieben hat.

Thein kann neben seinem Kollegen Christian Menhorn als ein ganz zentraler Akteur in der staatlichen Verwaltung des NSU-Komplexes gelten. Nach dem derzeitigen Stand der Aufklärung im NSU-Komplex ist es eine sehr begründete Hypothese, dass Thein in die konzeptionelle Entwicklung von Blaupausen für den bewaffneten Untergrundkampf durch Neofaschisten zentral eingebunden war. Patzeld war natürlich die wahre Tätigkeit von Thein vorher bekannt und er hat ihn dabei gedeckt, eben das in seiner Doktorarbeit nicht offen zu legen. Dafür wird er seine guten Gründe gehabt haben und auch insofern kann er in Sachen Untergrund, Schusswaffeneinsatz und Terror als außerordentlich kundig gelten. Solche NSU-Karrieristen wie Meyer-Plath und Patzelt am Hals zu haben, beschreibt eine bedrohliche Situation für die Zukunft einer autonom profilierten antifaschistischen Praxis.

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