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Der befleckte weiße Sport

Wettmanipulationen im Tennis: Verbände werden verdächtigt, Spieler geschützt zu haben

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Tennisjahr beginnt traditionell in Australien - 2016 dazu mit einem vermeintlichen Manipulationsskandal. Die Vorwürfe sind nicht neu, skandalös scheint der Umgang der Verbände mit ihnen.

Der Beginn des Tennisjahres 2016 mit den Australien Open als erstem Grand-Slam-Turnier wird von Manipulationsvorwürfen überschattet. Die britische BBC und das US-Nachrichtenportal Buzzfeed berichten über einen vermeintlichen Wett- und Spielmanipulationsskandal: In den vergangenen zehn Jahren sollen 16 Profis aus den Top 50 in Spielabsprachen verwickelt gewesen sein, darunter auch Sieger von Grand-Slam-Turnieren, den vier größten und prestigeträchtigsten in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York.

Namen werden von beiden Portalen nicht genannt, Buzzfeed berichtet aber, dass Sportverbände »wiederholt« über diesen Kern von Spielern informiert wurden - aber bisher keiner der betreffenden Spieler bestraft wurde. Und mehr als die Hälfte von ihnen würde bei den am Montag gestarteten Australian Open antreten.

Die Vorwürfe sind nicht neu: Die Dokumente, auf die sich die BBC und Buzzfeed beziehen, drehen sich um eine Untersuchung aus dem Jahr 2007. Auch in den neuen Enthüllungen steht eine Partie aus diesem Jahr im Mittelpunkt, ein Spiel zwischen Nikolai Dawydenko aus Russland und Martin Vassallo Arguello aus Argentinien bei einem Turnier im polnischen Sopot: Der Russe hatte damals verletzt aufgegeben, auf seine Niederlage waren damals sehr hohe Beträge gewettet worden. Mark Phillips, einer der Ermittler wirft den Tennisverbänden vor, damals trotz der Informationen über Wettsyndikate in Russland und Italien nicht gehandelt zu haben: »Sie hätten das ganze Netzwerk ausheben und damit fast den gesamten Tennissport säubern können. Wir haben ihnen alles wie auf dem Silbertablett präsentiert, aber danach ist so gut wie nichts passiert.«

Die ATP, die das Männer-Profitennis organisiert, hatte 2008 mit dem Frauen-Pendant, der WTA, dem Weltverband ITF und den vier Grand-Slam-Turnieren eine »Integritätseinheit« eingerichtet, die sogenannte Tennis Integrity Unit (TIU). Seit 2010 habe die TIU 18 Verfahren erfolgreich abgeschlossen, fünf Spieler und ein Offizieller seien lebenslang gesperrt worden, erklärten die Verantwortlichen nach den neuen Vorwürfen. Ob auch Spieler in Melbourne bei den diesjährigen Australien Open unter Beobachtung stehen? »Es wäre nicht angemessen, wenn ich einen Kommentar dazu abgeben würde, ob aktuelle Spieler unter Beobachtung stehen«, sagt der Chef der TIU, Nigel Willerton.

Gegen die Spieler, die bereits 2008 unter Verdacht standen, sei nicht weiter ermittelt worden - weil ein neuer Ethik-Code nicht retrospektiv angewendet werden könnte, sagte Willerton gegenüber Buzzfeed. Mit den neuen Ethik-Codes und den Sperren sieht Chris Kermode, Präsident der ATP, den Tennissport gut aufgestellt. »Ich kann versichern, dass wir diese Dinge nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Vorstellung, dass wir nicht angemessen reagieren, ist aberwitzig.« Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz betonte er: »Wir weisen jeden Vorwurf, dass Beweise über Wettmanipulationen verdrängt wurden, absolut zurück.« Außerdem gehe es ja um Vorwürfe, die bereits rund zehn Jahre zurückliegen würden.

Damals sah sich auch der deutsche Tennisprofi Philipp Kohlschreiber Vorwürfen ausgesetzt. Sein Name tauchte auf einer »Beobachtungsliste« der ATP auf, auf der verdächtige Partien verzeichnet waren. Damals wie heute wies Kohlschreiber alle Anschuldigungen vehement zurück: »Ich will damit auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden«, sagte er am Montag nach seiner Erstrundenniederlage gegen den Japaner Kei Nishikori.

Für Benn Gunn, der die Untersuchung leitete, die 2008 zur Gründung der TIU führte, hat diese nicht wirklich etwas bewirkt: »Damals wurde eine perfekte Gelegenheit verpasst, aufzuräumen. Stattdessen wurde eine unterbesetzte Einheit gegründet, die Schlüsselbeweise für Wettbetrug ignorierte.« Tatsächlich wurden Dawydenko und Vassallo am Ende keine Regelbrüche vorgeworfen - aber die nun im Raum stehenden Dokumente sollen beweisen, dass Arguello bei einem früheren Turnier 82 Textnachrichten mit einem Italiener ausgetauscht haben soll, der verdächtigt wird, Chef eines Wettbetrugssyndikats zu sein. Wochen, nachdem diese Beweise ausgehändigt worden waren, hatte ITF-Chef Bill Babcock erklärt, das Tennis sei »gesund« und Korruption gäbe es nicht. Richard Ings, früherer Vizepräsident er ATP und zuständig für Regeln und Wettbewerbe, widerspricht: Spielmanipulationen seien normal gewesen, die Arbeit der TIU am Ende »sehr enttäuschend«.

Buzzfeed und BBC haben sich entschlossen, die Namen der betroffenen Spieler nicht zu veröffentlichen - weil ohne Informationen über Telefonate oder Kontobewegungen die direkte Verbindung zwischen ihnen und Wettbetrügern nicht zu beweisen sei. Die TIU hätte die Möglichkeit, diese Daten anzufordern. Die Whistleblower aus dem Tennissport, die die Daten weitergegeben haben, wollen anonym bleiben.

Tennis ist vor allem seit dem Aufkommen von Sportwetten im Internet anfällig für Manipulationen: Fast auf jedes Spielereignis kann gewettet werden: vom ersten Aufschlag bis zu Doppelfehlern. Gleichzeitig finden fast täglich Partien statt, manche, gerade bei unterklassigen Turnieren, fast unter Ausschluss. Es scheint, dass die Verantwortlichen im Millionengeschäft Profitennis auch nicht immer so genau hinschauen wollen.

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