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Selbstbehauptung in der Nische

Eine interdisziplinäre Tagung in Greifswald widmete sich dem Thema »Die DDR, das ›Land der Grafik‹«

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Welche Rolle spielte die Grafik im künstlerischen Netzwerksystem in der DDR? Inwieweit hat sie, ihre Reproduktionsmöglichkeiten nutzend, in weite Bevölkerungskreise gewirkt? Bot die Grafik bestimmte Freiräume, die der Tafelmalerei, dem Wandbild oder auch der Monumentalplastik in dieser Weise nicht gegeben waren? Wie stehen sich offizielle und nonkonforme Kunst in der Grafik der DDR gegenüber? Kann man überhaupt einen solch entschiedenen Trennungsstrich zwischen angepasster und oppositioneller Kunst ziehen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigte sich eine interdisziplinäre Fachtagung in Greifswald, die vom Dresdner Institut für Kulturstudium, dem Staatlichen Museum Schwerin und dem Arbeitskreis »Kunst in der DDR« in Zusammenarbeit mit dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald in der Geburtsstadt Caspar David Friedrichs stattfand.

Die Grafik in der DDR, ein künstlerisches Medium mit herausragenden künstlerischen Leistungen, ein Refugium der Künste, aber auch ein Forum der Diskussion, des Experimentes, des Protestes, war mehr als zwei Jahrzehnte vernachlässigt worden. Eine erste Bestandsaufnahme zu geben, die Bemühungen um die Grafik in der DDR für kommende Projekte zu vereinen war Ziel dieser Tagung, an der Wissenschaftler aus Universitäten wie Museen, Archiven, staatlichen wie kommunalen Sammlungen, Galeristen, Privatsammler - allerdings kaum Künstler - teilnahmen.

Karl-Siegbert Rehberg (Dresden) charakterisierte den deutsch-deutschen Bilderstreit, in dem die Bezeichnungen, die während der 1950er Jahre in der westlichen Kunstszene für die Kunst der DDR formuliert wurden (»Staatskünstler«, »Unkunst«, »Auftragskunst«) erneut zur Debatte standen, als einen »Stellvertreter-Diskurs im Prozess der deutschen Wiedervereinigung«. Die Geschichte der Missverständnisse und polemischen Konfrontationen ist inzwischen einer weitgehenden Akzeptanz der anderen deutschen Nachkriegskunst in ihrer Eigenheit gewichen. Die »Ostkünstler« haben ihr Werk unbeirrt weiterentwickelt und auch die Museen haben die »Ostkunst« wieder in ihren Kanon aufgenommen. Am Beispiel des Buchgrafikers Horst Hussel zeigte Friedrich Dieckmann (Berlin), wie sich die Grafik von kunstfremden Einflüssen frei machen konnte. Hatten ihn Buch und Literatur eine eigene Formsprache finden lassen, so war es in den 1990er Jahren mit der Rolle des Buchgrafikers Hussel vorbei. Von der großen zur kleinen »Nische« gelangte er zum Selbstverlag Dronte, schrieb nun Texte, die sich durch abgründig kühne Umkehrungen der Logik, parodistisch beziehungsreiche Spiele mit der Sprache und logisch-semantische Paradoxien auszeichnen.

Paul Kaiser (Dresden) stellte die Frage, warum es erst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung zu einer sachlichen Verständigung über die Grafik in der DDR kommen konnte. Er machte auf deren Brückenfunktion aufmerksam: In Privaträumen wie staatlich bestens ausgestatteten Werkstätten wurde Grafik gedruckt, Grafiker arbeiteten als Drucker für andere, Galeristen wirkten als Akteure, in den Galerien des Staatlichen Kunsthandels wie des Kulturbundes, auch der Kombinate traf sich ein ständig wachsendes Publikum. Es gab Sammler als »Bildungsbürger in der Nische«, auch Sammler unter Eigenschutz der jeweiligen Kunst-Institution, die ihre Grafik-Sammlungen dann Museen übereigneten.

Über Autonomiekonzepte in der Grafik der DDR sprach Sigrid Hofer, die einen Arbeitskreis »Kunst in der DDR« in Marburg ins Leben gerufen hat. Sie machte auf die Vielfalt der Mappenwerke und Editionen aufmerksam, so etwa auf die Kabinett-Presse der 60er Jahre und auf die Mappenwerke des Reclam-Verlages. Hier waren Freiräume eigenständiger Kreativität, autonome künstlerische Produktionsfelder entstanden, die der Kontrollfunktion des Staates entgingen.

Gerrit-Jan Berendse (Cardiff) beschäftigte sich mit der Tendenz des Surrealen, Absurden und Grotesken in der Kunst der DDR und konstatierte im intermediären Kunstwerk der 80er Jahre eine Dialogizität, die neue Wirkungsräume eröffneten. »Selbstbehauptung in der Nische« war das Thema von Brigitta Milde (Chemnitz), mit dem sie bisher unbekannte Grafik-Sammler in der DDR vorstellte, die der Individualität und dem bürgerlichen Engagement lebten. Der Editions- und Ausstellungsreihe der »100 ausgewählten Grafiken« durch den Staatlichen Kunsthandel der DDR widmeten Kai-Uwe Schierz und Cornelia Nowak (Erfurt) ihre Aufmerksamkeit. Sie war eine Leistungsschau der Druckgrafik in der DDR und hatte einen hohen Verbreitungsradius.

Zwei Kabinettausstellungen haben die Tagung begleitet: »Außer Kontrolle! Farbige Grafik und Mail Art« gibt einen Ausschnitt der großen gleichnamigen Ausstellung des Staatlichen Museums Schwerin, die Phänomene einer experimentellen Kunsterprobung in einem geschlossenen System wie der DDR vorführt. »Resonanz und Refugium. Romantik in der Grafik der DDR«, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der Caspar-David-Friedrich-Gesellschaft und dem Dresdner Institut für Kulturstudien, zeigt Grundmotive und originale Schauplätze der deutschen Romantik im Bildrepertoire der Kunst in der DDR.

Es ging dieser Tagung weniger darum, schon fertige Ergebnisse zu präsentieren, sie verstand sich eher als Zwischenbericht aus einem fortlaufenden Arbeitsprozess, der innerhalb des Verbundprojektes »Land der Grafik« die Grafik in der DDR in ihrem spannungsvollen Zusammenhang zwischen Akteuren, Institutionen und Kunstmodellen zu erforschen sucht.

»Außer Kontrolle! Farbige Grafik und Mail Art«, Galerie Alte & Neue Meister Schwerin, bis 14. Februar; »Resonanz und Refugium. Romantik in der Grafik der DDR«, Caspar-David-Friedrich-Zentrum Greifswald, bis 2. April

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