Vom Ökostrick zum Hipsterlook

Der Norwegerpulli erlebt ein Comeback

  • Julia Wäschenbach, Oslo
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die einen sind sie muffiger Öko-strick, für die anderen Modehit: Norwegerpullis. In Europas Hauptstädten erleben sie gerade eine Renaissance.

Kratzig und altbacken - dieses Image haftete Norwegerpullis Ende der 80er Jahre an. »Das waren solche Ökopullover, die jeder Töpfer anhatte«, sagt die deutsche Norwegen-Auswanderin Ulrike Niemann. Diesen Winter tragen viele die gemusterten Pullover. Und zwar junge Menschen auf den Straßen Berlins oder Londons.

Bei den Norwegern war der warme Strick nie out. Besonders beliebt ist im hohen Norden der klassische »Mariusgenser« in Norwegens Nationalfarben Blau, Rot und Weiß. Niemann nennt ihn den »Rolls Royce unter den norwegischen Wollprodukten«. »Jeder Norweger hat einen - und jede Oma strickt für ihren Enkel einen«, erzählt die 43-Jährige, die mit Mann und Tochter in Oslo wohnt. Auch die Einjährige trägt Norwegerpulli - selbstgestrickt von der Mama.

Selbst in den schicksten Osloer Stadtteilen packen die Einwohner freitags ihre Ski ins Auto und fahren mit »Mariusgenser« am Leib in die Berge. Und als Ausländer fühle man sich »ein bisschen mehr zugehörig«, wenn man bei Strickmustern mitreden kann, sagt die Kulturpädagogin.

»Die Pullover sind ein wichtiger Teil davon, Norweger zu sein«, sagt Ingun Grimstad Klepp vom Institut für Konsumforschung in Oslo. »Als kleines Land, das lange von anderen regiert wurde, neigen wir dazu, Kleidung als Statement unserer norwegischen Identität zu sehen.« Die Pullis zeigen auch die Naturverbundenheit der Norweger - und helfen ihnen, die eisigen Winter durchzustehen. »Frieren ist nicht norwegisch!«, meint Klepp.

An der Universität in Oslo sieht man Studenten in Jahrzehnte alten, geerbten Pullis - und gekauften Mariusgensern in modernen Farben. Gerd Müller-Thomkins wundert es nicht, dass der Strick wieder so beliebt ist. »Die Menschen suchen ein authentisches Produkt mit Herkunft, Geschichte und Hintergrund«, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts. »In einer Zeit, in der einem der kalte Wind nur so um die Ohren pfeift«, bietet der Wollpulli Schutz. Außerdem ist ein Einzelstück, mitgebracht aus Norwegen oder Island, »Symbol dafür, dass du anders sein darfst«, sagt er.

Modeexpertin Alexa von Heyden empfiehlt auf dem Berliner Blog »Journelles« die den Norwegern ähnlichen Fair-Isle-Pullover, die von den schottischen Shetlandinseln stammen. Eine Leserin findet den Öko-Strick »zum Ausrasten schön«. In Kopenhagen sind die altmodischen Stücke mit Muster schon wieder trendy, seit die Schauspielerin Sofie Gråbøl in der TV-Serie »Kommissarin Lund - Das Verbrechen« einen Schlabberpulli von den Färöer Inseln trug.

In Norwegen erfinden Designer immer neue Muster. Ein Pulli mit Außerirdischen-Muster der Textilkünstler »Arne & Carlos« wird zum Hit. Für Schachweltmeister Magnus Carlsen designt das Label »Moods of Norway« einen »Magnusgenser« im Schachfigurenlook. Und der Hersteller »Dale of Norway«, der dem Pulli seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu neuer Beliebtheit verhalf, entwirft zu jeden Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften offizielle Outfits in neuen Mustern für die norwegischen Teams.

Während Ausländer bereitwillig teures Geld für den Ökostrick hinblättern, kommt ein gekaufter Pulli für viele Norweger nicht infrage. Stricken liegt zwar auch anderswo gerade wieder im Trend. »Anders als in anderen Ländern war es hier aber nie selten oder ungewöhnlich«, sagt Konsumforscherin Grimstad Klepp.

Wenn Niemann in Oslo mit ihrer Tochter zum Kindertreff geht, ist Stricken selbstverständliches Gesprächsthema. Beim 24-Stunden-Strick-Marathon im Fernsehen sehen viele gebannt zu - und gucken sich vielleicht die ein oder andere Masche ab. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal