Gretchenfrage beim Müll

Politik und Wirtschaft streiten über die Zukunft der Gelben Tonne

Wer soll künftig für Entsorgung und Recycling von wertstoffhaltigem Müll verantwortlich sein: die Privatwirtschaft oder die Kommunen?

Deutschland ist das Land der peniblen Mülltrenner - so lautet ein weit verbreitetes Klischee. Als Negativbeispiel in Europa wird gerne Italien genannt, wo die Mafia dick im Geschäft sei und vieles illegal entsorgt werde. Die Realität sieht etwas anders aus: Im vergangenen Jahr wurden in Italien 25 Millionen Tonnen Abfall von Industriefirmen wiederverwertet, in Deutschland waren es nur 23 Millionen Tonnen.

Tatsächlich liegt in der Bundesrepublik einiges im Argen. So beträgt die tatsächliche Wiedereinsatzquote an hochwertigen Kunststoffmaterialien nur rund 20 Prozent der erfassten Menge, wie ein Gutachten des Abfallexperten Heinz-Georg Baum von der Hochschule Fulda im Jahr 2014 ergab. In der Sammlung, Sortierung als auch in der Verwertung gebe es »massive Qualitäts- und Mengenverluste«. Vieles landet am Ende in der Müllverbrennungsanlage.

1991 wurde die deutsche Wirtschaft erstmals verpflichtet, Verpackungen nach Gebrauch zurückzunehmen und bei deren Entsorgung mitzuwirken. Die Idee dahinter: Müssen die Verursacher die Rücknahme selbst organisieren und dafür zahlen, werden sie die Menge reduzieren. Dies hat nicht geklappt. Im Gegenteil: Die Menge der Kunststoffverpackungen hat in den letzten Jahren um 25 Prozent zugenommen.

Doch warum ist dies so? In der Praxis beteiligen sich die meisten Firmen, die ihre Produkte in Verpackungen stecken, an einem der bundesweit elf dualen Systeme, die die Entsorgung organisieren. Das größte davon ist die DSD GmbH mit dem »Grünen Punkt«. Einige Branchen haben aber auch eigene Systeme entwickelt, manche Unternehmen sind Selbstentsorger. Der politisch und auch vom Kartellamt gewollte Wettbewerb geht inzwischen so weit, dass die Abfallbehörden der Länder die Wertstoffströme nicht mehr überwachen können. Dies ruft Trittbrettfahrer auf den Plan, die gar nichts bezahlen, deren Verpackungen aber im Hausmüll oder der Gelben Tonne des DSD landen. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes sind nur 44 Prozent der im Umlauf befindlichen Verpackungen lizenziert.

Der Gesetzgeber versuchte, die Schlupflöcher durch zahlreiche Neuregelungen zu schließen. Doch auch sieben Novellierungen der Verpackungsverordnung, zuletzt 2014, konnten das Problem nicht lösen. Helfen soll nun ein Wertstoffgesetz, laut dem Verpackungen, aber auch andere Haushaltsabfälle aus Kunststoff und Metall in einer einheitlichen Wertstofftonne gesammelt werden sollen. Allerdings wird schon seit Jahren heftig über die Frage gestritten, wer für die Wertstofftonne zuständig sein soll: private Müllfirmen oder die Kommunen mit ihren Stadtwerken. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte Mitte Oktober einen ersten Arbeitsentwurf vorgelegt, wonach die dualen Systeme mit dieser Aufgabe betraut werden sollen. Ansonsten, so ihr Argument, würden die Unternehmen von der Pflicht entlastet, ihre Produkte selbst zu entsorgen oder dies zu finanzieren. Damit verlören sie ihr Interesse an einem verwertungsfreundlichen Produktdesign.

Kontra kommt nun vom Bundesrat, der am Freitag einem Antrag von fünf rot-grün regierten Ländern zugestimmt hat, die Verantwortung für das Sammeln der Abfälle den Kommunen zu übertragen. Sortierung und Verwertung sollten zwar weiter privatwirtschaftlich erfolgen, aber eine zentrale Behörde solle sich um Ausschreibung, Auftragsvergabe und die Erhebung der Lizenzabgaben kümmern. Dies sorge für Kostenersparnis und mehr Transparenz.

Während Unternehmensverbände wie die Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie vor »Verstaatlichung« und »Bürokratisierung« warnen, möchte der Stadtwerkeverband VKU noch einen Schritt weiter gehen: »Die Kommunen stehen für eine reibungslose und zuverlässige Entsorgung der Haushaltsabfälle. Die Bürger wünschen sie sich als Ansprechpartner für die Abfallentsorgung. Die Wertstofferfassung sollte daher in der Zukunft durch die Kommunen erfolgen«, so VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp. Auch wenn es nicht explizit so genannt wird: Es geht um Rekommunalisierung.

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