Der Traum von der Energie ohne Ende

Wendelstein 7-X läuft, bald auch ITER - kommt nun doch die saubere Kernfusionsenergie? Alternative Projekte mit kleineren Reaktoren wollen sogar noch überholen.

  • Dirk Eidemüller
  • Lesedauer: 8 Min.

Sie ist ein alter Traum der Science Fiction: Die Fusionkraft, bei der sich aus der Verschmelzung von Wasserstoffkernen praktisch unerschöpfliche Energie gewinnen lässt. Eine winzige Menge Wasser - das aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff besteht - genügt, um erstaunlich viel Energie freizusetzen. Aus nur einem Gramm Wasserstoff lässt sich so viel Energie erzeugen wie mit der Verbrennung von zehn Tonnen Kohle. Die Energieprobleme der Menschheit wären für alle Zeiten gelöst. Allerdings ist die Kernfusion technisch so kompliziert, dass manche Kritiker sie auch für alle Zukunft ins Reich der Science Fiction verweisen. Gerne witzelt man, dass es bereits seit 50 Jahren heißt, in 50 Jahren werde es Fusionskraftwerke geben.

In den letzten Jahren hat es jedoch so viele Fortschritte auf dem Gebiet gegeben, dass funktionierende Kraftwerke nicht mehr nur wie eine Utopie technikgläubiger Wissenschaftler klingen. Europa hat mit dem internationalen Gemeinschaftsprojekt ITER einen bereits weit gediehenen großen Forschungsreaktor in den Startlöchern. Deutschland verfolgt mit dem kleineren Wendelstein 7-X ein alternatives Konzept, das international mit großem Interesse beobachtet wird. ITER ist ein sogenannter Tokamak: Ein Reaktorkonzept, das ursprünglich in der Sowjetunion entwickelt wurde und sich aufgrund seiner Einfachheit und seines guten Plasmaeinschlusses bewährt hat, weshalb es mittlerweile zum Standardkonzept in der Fusionsforschung geworden ist. Wendelstein 7-X ist ein sogenannter Stellarator. Beide Reaktortypen besitzen ihre Vor- und Nachteile. Außerdem arbeiten kleinere Forschungsgruppen an weiteren alternativen Konzepten.

Kernfusion

In den geplanten Kernfusionsreaktoren werden die Kerne der beiden schweren Wasserstoffisotope Deuterium (der Kern enthält neben einem Proton noch ein Neutron) und Tritium (Proton plus zwei Neutronen) zu Heliumkernen verschmelzen. Deren Masse ist geringer als die Gesamtmasse der beiden Wasserstoffkerne. Nach Einsteins berühmter Formel E = mc² ergibt sich die aus dieser Massedifferenz freiwerdende Energie. Der Nachteil: Die steckt hauptsächlich in den abgestrahlten Neutronen.

Die meisten bisher gebauten und geplanten Versuchsreaktoren beruhen auf dem in der einstigen Sowjetunion entwickelten Tokamak-Prinzip (Kunstwort aus der russischen Bezeichnung für Toroidale Kammer in Magnetspulen). In der röhrenförmigen Reaktorkammer soll ein Deuterium-Tritiumgemisch auf über 100 Millionen Grad erhitzt werden, damit die entstehenden Ionen im Plasma zu Helium verschmelzen. Erstmals passiert ist das im Joint Europian Torus in Großbritannien. Bei den meisten Versuchen verzichtet man wegen der Radioaktivität allerdings auf Tritium, so dass es dabei nicht zur Fusion kommt. StS

Mit dem Startschuss für Wendelstein am Donnerstag steht die Fusionsforschung nach einer langen Arbeitsphase auf einmal wieder im Scheinwerferlicht. Und dementsprechend hoch sind die Erwartungen.

Was macht den Bau solcher Kraftwerke so schwierig? Der Prozess der Kernverschmelzung findet nur bei extremen Bedingungen statt. Im Zentrum von Sternen sind Druck und Temperatur hoch genug, um die Atomkerne von gewöhnlichem Wasserstoff miteinander verschmelzen zu lassen. Dies ist letztlich der Prozess, der unsere Sonne und alle anderen Sterne zum Leuchten bringt.

Im Zentrum der Sonne herrscht jedoch eine Temperatur von 15 Millionen Grad Celsius und ein Druck, als würde man das Gewicht der Cheops-Pyramide auf einem Stecknadelkopf balancieren. Da sich ein solcher Druck technisch nicht realisieren lässt, müssen Fusionsforscher mit noch höheren Temperaturen als im Zentrum der Sonne arbeiten. Bei 100 Millionen Grad Celsius reicht bereits ein dünnes Plasma, das in einem Torus (eine ringförmige Röhre) zirkuliert. Bei solchen Temperaturen darf das Plasma aber mit nichts anderem in Kontakt kommen. Das könnte nicht nur die Anlage beschädigen, vor allem aber würde das Plasma sich dadurch blitzartig abkühlen und die Kernfusion käme zum Stillstand. In allen Reaktorkonzepten bändigen die Forscher das widerspenstige Plasma, indem sie es mit Magnetfeldern einschließen.

Und genau an diesem Punkt beginnen die Schwierigkeiten, die die Fusionsforschung in den letzten Jahrzehnten umgetrieben haben und die es in den nächsten Jahren zu überwinden gilt. Wenn weder der Tokamak ITER, noch der Stellarator Wendelstein 7-X zufriedenstellende Ergebnisse für die Güte und Stabilität des Plasmaeinschlusses liefern können, wird es schwerer werden, Geld für solche Großanlagen einzutreiben. Die bisherigen Ergebnisse geben den Fusionsforschern aber Grund zur Hoffnung. Werfen wir einen kurzen Blick auf den Stand der Technik.

ITER: Der Platzhirsch

ITER ist ein internationales Gemeinschaftsprojekt, an dem neben der Europäischen Union auch China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA beteiligt sind. ITER war jedoch etwas optimistisch projektiert: Man hat sowohl die Ansprüche an die bei diesen Temperaturen extrem beanspruchten Materialien und die Reibungsverluste bei der internationalen Kooperation deutlich unterschätzt: Anfangs auf 5,5 Milliarden Euro geschätzt, werden die endgültigen Kosten für ITER sich wohl auf das Dreifache belaufen. Ein neues Management und bessere internationale Koordinierung sollen Zeit- und Kostenplan nun im Rahmen halten.

Dennoch ruhen die Hoffnungen der meisten Forscher auf ITER. Das Tokamak-Konzept ist einfach und robust. Ein doppeltes Magnetfeld hält das Plasma im Zaum. Das eine Magnetfeld stammt von äußeren Spulen, das zweite aus dem Plasma selbst. Hierzu induzieren spezielle Magnetspulen einen Strom im Plasma, das ja aus geladenen Teilchen besteht. Im Prinzip geschieht hier dasselbe wie in einem Transformator - nur dass das Plasma sozusagen die zweite Spule ist. Dank dieser genialen Idee besitzt das vom Plasma stammende Magnetfeld genau die richtigen Spezifikationen, um das Plasma zusammenzuhalten.

Einen Nachteil haben Tokamaks aber doch: Transformatoren betreibt man mit Wechselstrom. Irgendwann muss man die Stromrichtung umkehren - und dann bricht das Magnetfeld zusammen. Ein Tokamak-Kraftwerk könnte also nur im Pulsbetrieb arbeiten. Nach einigen Stunden Betrieb müsste man das Magnetfeld eine Zeit lang zurückfahren. Die Stromgeneratoren könnte man in der Zwischenzeit etwa mit massiven Schwungrädern am Laufen halten. Was auf dem Papier einfach klingt, bereitet den Ingenieuren aber Kopfschmerzen: Denn das in einem Fusionskraftwerk ohnehin enorm beanspruchte Material müsste dann zusätzlich diese wiederholten Belastungswechsel verkraften. Einige Forscher denken deshalb auch über alternative Methoden nach, das Plasma etwa mit Hilfe von Mikrowellen anzutreiben; doch sind diese Ideen noch nicht fertig ausgereift.

Wendelstein 7-X: Newcomer mit verwickelten Magnetfeldern

An dieser Stelle kommt die Maschine aus Greifswald ins Spiel. Bei Wendelstein 7-X stammen alle Magnetfelder von außen. Um die Teilchen in einer spiralförmigen Spur zu halten, sind jedoch höllisch kompliziert geformte Magnetspulen erforderlich. Um ihre Form zu berechnen, waren Supercomputer zum Teil über Monate im Einsatz. Der Zusammenbau der viele Tonnen schweren Komponenten musste mit millimetergenauer Präzision erfolgen.

Der große Vorteil von Stellaratoren: Sie können konstant laufen - im »Dauerstrich-Betrieb«, wie Ingenieure sagen. Sie haben aber auch Nachteile: Vor allem sammeln sich Verunreinigungen im Plasmazentrum an, etwa durch die unvermeidliche Erosion von Atomen aus den Wänden der Plasmakammer. Diese Fremdatome verschlechtern die Eigenschaften des Plasmas deutlich. Bei Tokamaks verabschieden sie sich dank der speziellen Magnetfelder schnell aus dem Plasma. »Eine der wichtigsten Aufgaben von Wendelstein 7-X wird es sein herauszufinden, ob sich ein Betriebsmodus finden lässt, der diese Verunreinigungen minimiert«, sagt Christian Linsmeier, dessen Arbeitsgruppe am Forschungszentrum Jülich sich mit diesen Fragen beschäftigt.

Alternative Konzepte: Mehr Hoffnung als Substanz?

Der zunehmende Schwung in der Fusionsforschung schlägt sich auch in einigen alternativen Konzepten nieder, die wiederholt in den Medien kursieren. In den USA verfolgt Lockheed Martin ein Konzept mit magnetischen Spiegeln, das zwar Aufmerksamkeit gefunden hat, über das bislang allerdings zu wenig bekannt ist, als dass man es wissenschaftlich klar bewerten könnte. Nun ist Geheimhaltung für einen Rüstungs- und Technologiekonzern wie Lockheed Martin eine Selbstverständlichkeit. Die äußeren Parameter dieses Ansatzes werden aber von führenden Fusionsforschern als nicht gangbar angesehen.

In Großbritannien haben Forscher, die am ITER-Vorgängerprojekt JET beteiligt waren, ebenfalls einen neuen Weg eingeschlagen. Sie hoffen, mit ihrer Firma Tokamak Energy wesentlich kleinere und billigere Kraftwerke bauen zu können. Sie konnten bereits zeigen, wie sich Plasma in ihrem lediglich einige Meter messenden Gerät einschließen lässt.

Plasma in einem Magnetfeld gefangen zu halten, ist heutzutage aber keine große Kunst mehr. Es allerdings so weit aufzuheizen, dass die Kernfusion zündet und mehr Energie erzeugt, als man zur Heizung hineingesteckt hat: Das ist der heilige Gral der Fusionsforschung. Die technischen und wissenschaftlichen Spezifikationen von ITER und Wendelstein 7-X sind international anerkannt. Sowohl bei Lockheed Martin als auch bei Tokamak Energy scheinen die Parameter für einen dauerhaften Einschluss des Plasmas ein wenig optimistisch.

Ein Blick in die Zukunft

Welchen Weg die Fusionsforschung gehen wird, bleibt also abzuwarten. Hartmut Zohm ist der Leiter des Bereichs Tokamak-Szenario-Entwicklung am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Er schätzt die Chancen von Stellaratoren trotz des technologischen Vorsprungs von Tokamaks gar nicht so schlecht ein: »Wenn Wendelstein 7-X zeigen kann, dass die Einschlussgüte des Plasmas ähnlich gut ist wie beim Tokamak, dann ist der Stellarator wegen seiner Möglichkeit zum Dauerbetrieb sicher das bessere Kraftwerkskonzept.«

In Deutschland bemängeln einige Kritiker, die Investitionen in die Fusionsforschung würden zulasten der regenerativen Energien gehen. Man kann aber auch anders an die Sache herangehen. China fährt - auch wegen der massiven Luftverschmutzung und klimatischen Problemen - mit voller Kraft in die Zukunft der Energieerzeugung: Es investiert nicht nur massiv in regenerative Energien. China plant auch einen großen Fusionsforschungsreaktor vom Tokamak-Typ, den China Fusion Engineering Test Reactor (CFETR), der bei schneller Projektierung vielleicht sogar noch vor ITER den Betrieb aufnehmen könnte. Die Entscheidung über den Bau soll gegen Ende dieses Jahres fallen. Beim ITER-Management gab es angesichts dieser Konkurrenzveranstaltung Überlegungen, China aus dem Gemeinschaftsprojekt auszuschließen. Man ist aber davon abgekommen, da man einerseits nicht nur aus Kostengründen weiterhin auf China baut und andererseits ein solcher Entschluss das chinesische Projekt nur um einige Monate verzögern würde.

Der Name für das nächste große internationale Reaktorprojekt nach ITER steht jedenfalls schon fest: Bei DEMO ist der Name Programm. Wenn die Erfahrungen von ITER, Wendelstein 7-X und einigen kleineren Testanlagen gemacht und ausgewertet sind, soll DEMO zeigen, wie sich mit Fusionskraft Strom erzeugen lässt. Wenn man sich etwa um 2030 für den Bau von DEMO entscheidet, könnte also zur Mitte des Jahrhunderts das erste wirkliche Fusionskraftwerk in Betrieb gehen. Ob DEMO ein weiterentwickelter Tokamak sein wird oder doch ein Stellarator, hängt auch davon ab, ob Wendelstein 7-X die in ihn gesetzten Erwartungen vielleicht sogar übererfüllt.

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