Die drei Motive des Yanis Varoufakis

Europa demokratisieren, nicht aufgeben: Das Projekt DiEM25 startet

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Europa der ökonomischen Vernunft kommt nicht von selbst. Eine Bewegung um den linken Ökonom Yanis Varoufakis will realistisch sein - und stellt sich gerade deshalb die Aufgabe radikaler Reformen.

Als Yanis Varoufakis im vergangenen Juli als Finanzminister zurücktrat, war das für ihn ein Moment der Erleichterung: Er fühle sich »überragend«, sagte der Grieche wenige Tage danach. Er müsse »nicht länger nach diesem hektischen Terminplan leben, der war absolut unmenschlich, einfach unglaublich«. Und dann machte der Ökonom einfach so weiter. Nicht mehr als Minister. Nun als politischer Netzwerker.

London, Barcelona, München ... Varoufakis reiste durch Europa. Es gab Spekulationen: Mal hieß es, Varoufakis melde sich mit einer neuen Partei in Griechenland zurück. Mal sorgte ein geheimnisvolles Video für Schlagzeilen - dahinter stand ein Projekt für demokratische, unabhängige Medien. Und nun also: DiEM25.

Wenn am Dienstag in der Berliner Volksbühne das Projekt »Democracy in Europe Movement 2025« offiziell an den Start geht, ist der 54-Jährige aber keineswegs am Ziel. Es ist ein Beginn, einer von vielen. Und man kann für das Engagement von Varoufakis dafür drei Motive ausmachen.

Es geht dem Ökonom einerseits um politische Selbstbehauptung. »Je mehr ich mich gegen das europäische Establishment stellte, desto mehr konzentrierten sie sich auf mein Motorrad«, hat er einmal beschrieben, wie eine veröffentlichte Meinung mit ihm herumsprang, weil er die Dinge mit Hartnäckigkeit anders sah. Das ist vielleicht nicht das wichtigste Moment, aber ein persönliches.

Das zweite: Von dem Moment an, an dem Varoufakis das Spielfeld der griechischen Regierung verließ, man kann auch sagen: verlassen musste, hat er versucht, daraus einen praktischen Schluss zu ziehen. Während ein Teil auch der Linken ihr Heil in Renationalisierung sucht, andere nicht erkennen wollen, dass so ein vorläufiges Scheitern wie jenes von SYRIZA an den Betonmauern der EU-Austerität auch strukturell in den europäischen Institutionen angelegt ist, bewarb Varoufakis wieder und wieder einen dritten Weg. Europa demokratisieren - oder es wird zerfallen, so lautet die Alternative, von der Varoufakis aus denkt.

Damit ist das dritte Momentum verbunden: Schon vor der Zeit als Minister hat Varoufakis seinen Zugang zu linker Politik nicht zuletzt mit der Notwendigkeit begründet, alles zu unternehmen, um einen Rechtsruck zu verhindern. Der Zusammenbruch des kapitalistischen Europa, wie wir es derzeit kennen, öffnet nicht das Fenster in eine andere, eine bessere Welt, sondern würde in die Katastrophe führen. Die Möglichkeit einer Alternative offen zu halten heiße also, man müsse das Falsche verteidigen, um Zeit für die Arbeit am Richtigen zu gewinnen.

So lautet der Gedanke. Varoufakis hat ihn 2014 einmal so formuliert: »Es ist weitaus weniger wahrscheinlich, dass die Krise in Europa eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringt als dass sie gefährlich regressive Kräfte frei setzt, die ein humanitäres Blutbad verursachen und für künftige Generationen jegliche Hoffnung auf progressive Maßnahmen zunichte machen können.« Varoufakis spricht von einer widersprüchlichen Mission: »den freien Fall des europäischen Kapitalismus stoppen, um Zeit zu gewinnen, eine Alternative zu formulieren«.

Dazu soll »Democracy in Europe Movement 2025« beitragen: eine Bewegung, die europaweit wirken will, die »kein Politbüro« haben wird, wie der Grieche sagt, etwas, dass je nach regionalen Voraussetzungen auch unterschiedliche Formen annehmen kann. Ein paar konkrete Punkte sind genannt: ein verfassungsgebender Prozess für Europa von unten ist angestrebt; eine radikale Demokratisierung der EU-Institutionen; es geht um ein Europa der ökonomischen Vernunft, der Toleranz, des Frieden und des Internationalismus, um ein realistisches Europa, dass sich gerade deshalb die Aufgabe radikaler Reformen stellt.

Mit dabei sind alle, die es wollen. Der Musiker Brian Eno macht ebenso mit wie der Autor Raul Zelik, Intellektuelle wie Sandor Mezzadra und Slavoj Žižek, politische Künstler wie Margarita Tsomou und Angela Richter, alte linke Urgesteine wie Toni Negri, Ökonomen wie James K. Galbraith. Es gibt ein Manifest, das die Grundrichtung beschreibt - mehr nicht. Varoufakis sagt: »Nichts wird vor dem 9. Februar beschlossen. Wir werden alle gemeinsam überlegen, wie wir die paneuropäische Demokratiebewegung gestalten.«

Über die Pros und Contras einer neuen europäischen Bewegung diskutierten Chefredakteur Tom Strohschneider und die bewegungsnahe Redakteurin Elsa Koester in einem Beitrag der Montagsausgabe.

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