Werbung

Merkel will NATO zur Abschottung der EU einsetzen

Kanzlerin: Militärbündnis könnte bei See-Überwachung und für FRONTEX »hilfreich sein« / Deutsche Polizisten bald an der türkischen Grenze? / Kritik von Linken und Grünen am Berliner Kurs gegenüber Ankara

  • Lesedauer: 5 Min.

Update 09:50 Uhr: Özdemir warnt vor Nato-Einsatz gegen Schlepper
Inzwischen hat auch der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, skeptisch auf Überlegungen reagiert, die Nato heranzuziehen, um die Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei zu sichern. Özdemir sagte am Dienstag im RBB-Inforadio, er wisse nicht, mit welchem Mandat und auf welcher rechtlichen Grundlage das geschehen solle. »Das riecht doch ziemlich nach einer weiteren Militarisierung der Flüchtlingspolitik«

Özdemir betonte, um die Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, müsse die EU auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin einwirken, die Luftangriffe auf Zivilisten in Syrien einzustellen. Merkel und ihre EU-Kollegen müssten »eigentlich nach Moskau reisen, um deutlich zu machen, dass wir dieses zynische Vorgehen von Herrn Putin nicht akzeptieren«.

Merkel und Davutoglu verurteilen russische Luftangriffe

Bei den Regierungskonsultationen in Ankara hatten Merkel und Davutoglu auch die russischen Luftangriffe in Syrien scharf verurteilt. Die Zivilbevölkerung leide unter den Bombardements, sagte der türkische Regierungschef mit Blick auf die von Russlands Luftwaffe unterstützte Offensive in der Region Aleppo. Merkel rief Moskau auf, die Luftangriffe einzustellen.

Nach Angaben Davutoglus harren derzeit 30.000 syrische Flüchtlinge aus der Provinz Aleppo nahe der türkischen Grenze in Syrien aus. Die regierungsnahe türkische Hilfsorganisation IHH errichtete dort ein neues Flüchtlingslager. Rund um die syrische Grenzstadt Asas gebe es nun insgesamt neun solcher Camps, sagte ein IHH-Sprecher.

Trotz Winterwetters begeben sich immer noch jede Woche tausende Menschen auf die gefährliche Überfahrt in Richtung Europäische Union. Am Montag kenterte vor der türkischen Küste erneut ein Boot auf dem Weg zur griechischen Insel Lesbos. Mindestens 27 Flüchtlinge, unter ihnen elf Kinder, ertranken.

Merkel setzt auf NATO

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel will einen NATO-Einsatz zur Abschottung der Festung Europa an den Grenzen zur Türkei prüfen. Deutsche Polizisten sollen zudem bald in der Türkei gegen »illegalen Grenzübertritt« patrouillieren. In Deutschland stößt der Kurs der CDU-Vorsitzenden auf Kritik bei Linken und Grünen.

Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen sprach von einer »politischen Kapitulation« gegenüber dem Regime von Recep Tayyip Erdoğan, da der Besuch zu einer Zeit erfolge, »in der Erdogan Krieg gegen die Kurden im eigenen Land führt und die türkische Grenze für die syrischen Flüchtlinge schließt«. Merkel habe »die deutsche Flüchtlingspolitik ganz in die Hände des Autokraten Erdogan gelegt, ganz nach dem Prinzip ‚Geld gegen Schmutzarbeit’«, so die Politikerin. Die CDU-Vorsitzende sei dafür »auch bereit, zu Erdogans Krieg gegen die Kurden und zur massiven politischen Verfolgungswelle in der Türkei zu schweigen«

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat die Botschaft von Merkel bei dem Staatsbesuch in der Türkei als widersprüchlich bezeichnet. »Haltet die Flüchtlinge von Europa fern - aber lasst sie aus Syrien alle zu Euch kommen«, sei ihre Botschaft gegenüber der Staatsführung in Ankara gewesen, sagte der Außenpolitiker der Grünen-Bundestagsfraktion der »Berliner Zeitung«. Dass die Türkei die Grenze zu Syrien schließe, sei auch Folge einer »bockigen Verweigerungshaltung Europas, sich dauerhaft um die Flüchtlinge zu kümmern«, sagte Trittin mit Blick auf die tausenden syrischen Flüchtlinge, die auf der Flucht vor der Offensive der syrischen Armee rund um Aleppo an der Grenze gestrandet sind. »Dazu gehört eine nachhaltige und bessere Finanzierung wie die geordnete Übernahme von Kontingenten.«

Merkel hatte am Montag in Ankara mit dem türkischen Ministerpräsident Ahmet Davutoglu über weitere Maßnahmen zur Abschottung der Festung Europa gesprochen. Anschließend kündigte sie an, es solle ein NATO-Einsatz zur Überwachung der Seegrenzen geprüft werden. Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in dieser Woche solle geklärt werden, ob die NATO »bei der Überwachung der Situation auf See hilfreich sein und die Arbeit von Frontex und der türkischen Küstenwache unterstützen kann«, sagte Merkel nach Beratungen mit ihrem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu.

Die Kanzlerin kündigte außerdem gemeinsame Einsätze deutscher und türkischer Polizisten gegen den »illegalen Grenzübertritt« in der Türkei an. Sie kündigte außerdem deutsch-türkische Polizeieinsätze an. Das Technische Hilfswerk (THW) soll zur Versorgung der im türkisch-syrischen Grenzgebiet gestrandeten Flüchtlingen entsandt werden.

Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber begrüße derweil die Ankündigung, dass einige EU-Staaten der Türkei demnächst sogenannte syrische Kontingent-Flüchtlinge abnehmen werden. »Es ist richtig und notwendig, dass die Kanzlerin diesen Weg aufzeigt«, sagte Weber dem »Tagesspiegel«. Vor dem EU-Gipfel am 18. und 19. Februar sei »die massenhafte Flucht aus Aleppo auch der Testfall für die Europäer«, so der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament angesichts der Fluchtbewegung im Norden Syriens weiter.

Merkel hatte am Montag deutlich gemacht, dass sie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise verstärkt auf eine Koalition der Willigen setzt, also auf EU-Staaten, die zur Aufnahme fester Flüchtlingskontingente bereit sind. Merkel betonte in Ankara, dass auch weiterhin Flüchtlinge aus Syrien über die Türkei nach Europa kommen sollten - aber »kontrolliert, legal und von uns organisiert«.

Mit Spannung wird nun der EU-Gipfel nächste Woche erwartet. Nach Darstellung der Kanzlerin gibt es eine Gruppe von Ländern in der EU, die freiwillig »die ersten Schritte tun werden«. Eine Arbeitsgruppe soll bei dem Spitzentreffen am 18. und 19. Februar die Mechanismen für solche Kontingente vorstellen. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal