Wundermittel oder Teufelszeug?

Viele Ärzte scheuen sich, Morphin auch gegen stärkste Schmerzen zu verordnen

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn andere Schmerzmittel versagen, hilft häufig nur noch eins: Morphin. Doch der hochwirksame Stoff steht nach wie vor in einem schlechten Ruf.

Es war der deutsche Apothekergehilfe Friedrich Wilhelm Sertürner, der das wohl bekannteste Opiat im Jahr 1804 zum ersten Mal isolierte. Als Ausgangsmaterial für seine Untersuchungen verwendete er Rohopium, das aus dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns gewonnen wird. Sertürner, dessen Todestag sich am 20. Februar zum 175. Mal jährt, gab der von ihm entdeckten Substanz den Namen Morphium, nach Morpheus, dem griechischen Gott der Träume.

Morphium bzw. Morphin, wie es heute fachsprachlich heißt, ist chemisch gesehen ein Haupt-Alkaloid des Opiums und gehört im engeren Sinn zur Gruppe der sogenannten Opioide. Es gilt als das wirksamste bekannte natürliche Analgetikum (Schmerzmittel) und dient zur Behandlung starker und stärkster Schmerzen, zum Beispiel bei Krebspatienten. Anders als andere Analgetika wirkt es zentral über sogenannte Opioid-Rezeptoren im Gehirn. Sobald es dort angedockt hat, wird die Schmerzweiterleitung blockiert, so dass der Betroffene die Schmerzen nicht mehr oder nur in sehr abgeschwächter Form wahrnimmt. Allerdings wirkt Morphin in der Regel nur für wenige Stunden. Schmerzpatienten bekommen deshalb häufig Präparate, die den Wirkstoff verzögert abgeben, so dass eine deutlich länger anhaltende Wirkung (Retardwirkung) erreicht wird.

Morphin hat nicht nur eine stark euphorisierende Wirkung, sondern auch ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Es unterliegt daher in jeder Darreichungsform (Tropfen, Tabletten, Retardkapseln etc.) dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und darf nur gegen ein Betäubungsmittelrezept ausgegeben werden. Dieses ist im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Rezept nicht vier Wochen, sondern nur acht Tage gültig. In Deutschland wird Morphin vergleichsweise sparsam verordnet. Das heißt: Viele Patienten, die eigentlich ein opioides Schmerzmittel benötigen, erhalten ein solches selbst auf eigenen Wunsch nicht. Wie aus einer Studie hervorgeht, haben Ärzte häufig Angst, Morphin zu verordnen. Manche scheuen auch das bürokratische Verschreibungsverfahren.

Werde Morphin richtig angewandt, betont der Schmerzspezialist Michael Zenz von der Ruhr-Universität Bochum, sei es erheblich sicherer als alternative Analgetika wie ASS oder Metamizol. Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg warnt vor hysterischen Reaktionen: »Viele Patienten glauben fälschlicherweise, dass starke Schmerzmittel auch starke Nebenwirkungen haben.« Doch solche seien bei einer ärztlich kontrollierten Einnahme von opioidhaltigen Medikamenten aus medizinischer Sicht nicht zu befürchten. Bei einem bis zehn Prozent der behandelten Patienten ruft Morphin vorübergehend Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen hervor. Hinzu kommt mitunter eine hartnäckige Verstopfung, die bei Bedarf die Gabe von Abführmitteln nötig macht. In seltenen Fällen werden Störungen des Bewusstseins (Halluzinationen), Atembeschwerden oder allergische Reaktionen beobachtet.

»Chronischer Schmerz zerstört die Lebensqualität vieler Menschen, und wir haben nur wenige Werkzeuge dagegen«, sagt Bart Morlion, designierter Präsident der Europäischen Schmerzföderation (EFIC). Opioide seien als therapeutische Option deshalb unverzichtbar. Allerdings gelte es, sie rational anzuwenden. Das heißt: Patienten sollten damit nur dann behandelt werden, wenn das Verhältnis von Nutzen und Nebenwirkungen akzeptabel ist. Für die unter Ärzten weithin verbreitete »Phobie« im Umgang mit Opioiden gibt es laut Morlion hingegen keinen Grund.

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