Welttag des Stotterns: »Wenn ich nervös bin, ist es schlimmer«

Etwa ein Prozent der Bundesbürger stottert. Logopädische Therapien können helfen

  • Stefanie Järkel
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei Stotter-Therapien werden Übungen für den Alltag gelernt.
Bei Stotter-Therapien werden Übungen für den Alltag gelernt.

»Mein Name ist Nnnnnicolas Will, ich bin 32 Jahre alt, bin hier in Wweinheim geboren und auch g-groß geworden«, stellt sich Nicolas Will vor. Er sitzt in der Küche seiner Zweizimmerwohnung in der 46 000-Einwohner-Stadt im Norden Baden-Württembergs. Will stottert seit seiner Kindheit. Er hat jahrelang mit Logopäden gearbeitet, übt täglich für ein flüssigeres Sprechen. Der Mann in weißem Hemd und Jeans, mit kurzen blonden Haaren sagt: »Ich versuche, mein Sprechen nicht unbedingt als Defizit wahrzunehmen, sondern auch als Teil von mir.«

Rund ein Prozent der Bevölkerung stottert laut der Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe. Im Kindesalter liegt der Anteil noch deutlich höher: Rund fünf Prozent der Mädchen und Jungen stottern demnach, doch bei 70 bis 80 Prozent von ihnen legt sich das Problem wieder. Stottern ist eine Störung des Redeflusses, die hauptsächlich genetische Ursachen hat.

Bei Will begann das Stottern im Kleinkindalter – als er begann, zwei, drei Sätze hintereinander zu sprechen. Er blieb an Wörtern hängen, wiederholte Silben. Der Kinderarzt testete sein Sprechvermögen und überwies den Jungen an einen Logopäden. Mit dem übte er regelmäßig über längere Zeit, allerdings: »Das hat bei mir jetzt nicht so angeschlagen, wie es eigentlich gewünscht wäre.«

Mit 16 Jahren machte er zwei Wochen lang eine Intensivtherapie in Kassel. »Direkt danach war das Sprechen super.« Doch im stressigen Alltag verloren sich die eingeübten Strategien wieder. In der Schule sei es manchmal schwierig gewesen, erzählt Will. Wenn er die Antwort auf die Frage des Lehrers gewusst, sich aber nicht getraut habe, vor der Klasse zu sprechen. »Das kann schon sehr frustrierend sein, und die mündliche Note hat darunter natürlich auch gelitten.« Seinen Realschulabschluss habe er mit 2,5 gemacht.

Früh fing er an, Sport zu treiben. »Ich habe ein Leben lang Fußball gespielt. Da hat man auch nicht so viel sprechen müssen«, sagt Will und lacht. Natürlich sei er das eine oder andere Mal von Mitschülern nachgemacht worden. »Aber im Großen und Ganzen war mein engeres Umfeld sehr tolerant.«

Mit Familie und Freunden habe er weniger Probleme mit dem Stottern – wenn er entspannt sei, sich wohlfühle. »Wenn ich etwas nervös bin oder bei fremden Personen, bei vielen Personen, ist es halt schon etwas schlimmer«, erzählt der junge Mann.

Einen Ausbildungsplatz zum Speditionskaufmann habe er nach der Schule jedoch problemlos gefunden. Die Personalleiterin habe damals zu ihm gesagt, »dass sie das toll findet, dass ich einen kaufmännischen Beruf erlernen will, wo man natürlich auch telefonieren, ein bisschen mehr reden muss«. Er habe sich bewusst für den Beruf entschieden, habe immer schon gern am Computer gearbeitet und sei ein organisierter Mensch, sagt Will. Im Fernstudium habe er zudem einen Abschluss als Fachwirt im Logistikmanagement gemacht.

Seit acht Jahren arbeitet er nun als Logistiker bei einem Wissenschaftsverlag. Will kontrolliert den Warenfluss und steht in Kontakt mit Druckereien. »Ich kenne Herrn Will bereits seit seinem Vorstellungsgespräch, bei dem er noch sehr nervös und sein Stottern deutlich ausgeprägter war«, sagt seine Chefin Tanja Keller. Doch über die Jahre habe er deutliche Fortschritte gemacht. »In ruhigen, wertschätzenden Arbeitsumgebungen fällt sein Stottern kaum noch auf, und es stellt für ihn im Arbeitsalltag keine Einschränkung mehr dar.« Will werde sich nun mit Fortbildungen auf eine Führungsaufgabe vorbereiten.

Jeden Morgen macht Will 20 Minuten Entspannungs- und Sprachübungen, wiederholt Wörter, übt für ihn schwierige Sätze. »Man hat für den Tag ein bisschen mehr Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein«, sagt Will, der auch regelmäßig zu einer Logopädin geht. Über die Bundesvereinigung hat er zudem Kontakt zu anderen Menschen gefunden, die stottern. »Das tut gut, wenn man sich mit Betroffenen austauschen kann.«

Neben beruflichem Erfolg und Verbesserungen beim Sprechen wünscht Will sich auch eine Partnerin an seiner Seite. Als er in der Jugend angefangen habe, sich für Mädchen zu interessieren, sei das Stottern nicht hilfreich gewesen, erzählt er. »Es gibt natürlich immer Charaktere, die besser, und Charaktere, die schlechter darauf reagieren.« Heute gehe er sehr offen mit seinem Stottern um und schreibe auf einer Dating-App frühzeitig, dass er stottert. »Es gab bisher noch keine Partnerin, die aktiv gesagt hat: «Mich stört es.» dpa/nd

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