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Schnell fertig, kaum gesund
Wer mithilfe hoch verarbeiteter Nahrung sparen will, schadet auf Dauer seiner Gesundheit
Mit Beginn des Industriezeitalters und der Verstädterung begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch ein tiefgreifender Wandel bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Der Grad der Verarbeitung von Nahrungsmitteln nahm im Laufe der vergangenen 200 Jahre stetig zu. Heute haben rund 80 Prozent der in Supermärkten und Discountern erhältlichen Produkte bestimmte industrielle Verarbeitungsschritte durchlaufen, oft mit Nachteilen für die menschliche Gesundheit. Dabei gilt es jedoch zu differenzieren.
Für die Zubereitung im privaten Haushalt wie in Großküchen haben das Sortieren von Kartoffeln, das Trocknen von Hülsenfrüchten sowie das Zerkleinern und Fermentieren von erntefrischem Gemüse ihren berechtigten Wert. Auch den Vorteil küchenfertig hergestellter und getrocknet verpackter Nudeln, Haferflocken, pasteurisierter Milch, kalt gepressten Pflanzenöls oder eingelegter Oliven bestreitet niemand.
Technologische Hilfs- und Zusatzstoffe schaden der Darmflora.
Aber bereits das Mahlen von Getreide mit dem Ziel, weißes Auszugsmehl zu erhalten, das Schälen von Reis sowie das Verwenden von Fertigmischungen für Knödel und Backwaren stehen bei Anhängern der Vollwert-Ernährung in der Kritik. Nach der Orientierungstabelle der Ernährungswissenschaftler Leitzmann, Männle und Koerber sind diese verarbeiteten Erzeugnisse bereits weniger empfehlenswert, weil beim Prozess des Auszugsmahlens die Randschichten des Getreidekorns entfernt werden und wichtige Mineralstoffe, Vitamine und Ballaststoffe verloren gehen. Noch stärker verarbeitet und daher abgelehnt werden Erzeugnisse wie Kondensmilch, Schmelzkäse, isoliertes Proteinpulver, Geschmacksverstärker, Maisstärke, Cornflakes oder Fertigpulver für Kartoffelpüree.
Die Forschungen zur Nahrungsversorgung nahmen in Deutschland bereits in den 1920er und 30er Jahren an Fahrt auf, als es darum ging, mittels preisgünstiger Massenproduktion von lange haltbarer, schnell verzehrfertiger Kost eine Kriegstüchtigkeit und die Versorgung des Militärs zu gewährleisten.
Um unabhängig von Importen zu sein, wurde sogar künstliche Margarine aus Kohle über den chemisch-technologischen Umweg Paraffin gewonnen. Versuchsweise verabreichte man zwischen 1939 und 1945 diesen schädlichen Fett-Ersatz sowjetischen Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen. Diese Experimente öffentlich zu erörtern, wurde vom Reichsgesundheitsamt untersagt. Hingegen wurde zur Optimierung der »deutschen Rasse« angestrebt, dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse »so natürlich wie möglich« auf den Tisch kommen.
Ab den 50er Jahren konnten mit einem wachsenden Anteil von Frauen in der Berufs- und Erwerbstätigkeit sowie des mobilen Arbeitslebens die strengen Ansprüche einer naturnahen Ernährungsweise immer weniger verwirklicht werden. Für das schnelle Essen im Alltag kamen immer häufiger Fertigsuppen, Tiefkühlgerichte oder Konserven auf den Teller. Für die Familie aus frischen Grundzutaten selbst zu kochen, wurde im Zuge der gesellschaftlichen Abwertung von Reproduktionsarbeit mehr und mehr der Lebensmittelindustrie überlassen.
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Sind Erziehende oder Pflegende wegen Erwerbstätigkeit, Hausarbeit, Kindererziehung oder eigener gesundheitlicher Einschränkungen mehrfach belastet, ist der Griff zu Fertignahrung verständlich. Während sich gut Betuchte bei Zeitdruck und längerer Berufstätigkeit schnell eine frisch zubereitete Mahlzeit liefern lassen, bleiben niedrig entlohnten Berufstätigen nur billige Fertiggerichte. Küchenfertig geputztes und tiefgefrorenes Gemüse ist dann durchaus empfehlenswert, die panierten Kartoffelkroketten sind es nicht.
Wenn im höheren Lebensalter endlich mehr Zeit zur Verfügung steht, haben jedoch oftmals die körperlichen Kräfte zum Einkaufen oder zum Schneiden von grobem Gemüse nachgelassen. Teilweise mangelt es an Geld für saisonales, regionales Obst. Auch ein schlechteres Kauvermögen führt zur Ablehnung von frischer Kost.
Fertiggerichte und konservierte Speisen, die nur noch aufgewärmt werden müssen, versprechen schnelle Abhilfe, erweisen sich auf längere Sicht jedoch als riskant. Einerseits gehen im Laufe zahlreicher Verarbeitungsschritte wichtige Inhaltsstoffe wie hitzeempfindliche Vitamine und Aminosäuren wie Taurin verloren. Dadurch verschlechtert sich etwa die Sehfähigkeit älterer Menschen weiter.
Andererseits kommt es beim zweiten Bratvorgang von vorfrittierten Pommes frites, Fischstäbchen, Fertigschnitzeln wie auch veganen Bratlingen, Kartoffelpuffern und Ähnlichem zu einer unerwünschten Häufung schädlicher Transfettsäuren, von Acrylamid sowie verschiedener Abbauprodukte von Fettsäuren, die Entzündungsprozesse im Gehirn wie im Körper, in Gelenken, der Haut, der Leber, im Darm und im Bauchfett auslösen und verschlimmern können.
Mit der Herstellung hoch verarbeiteter Produkte ist in erheblichem Maße eine Verdauung vorweggenommen, was sich in einem hohen glykämischen Index der enthaltenen Kohlenhydrate ausdrückt, sprich: Nach dem Verzehr einer hoch verarbeiteten Speise steigt der Blutzuckerspiegel schneller an.
Aber auch die enthaltenen Proteine werden schneller verdaut. Das gilt nicht nur für fein zerkleinertes, vorgegartes und getrocknetes Fleisch oder lange ausgekochte Fleischextrakte in Fertigsuppen. Auch das in mehrfachen Arbeitsschritten produzierte vegane Fertigschnitzel oder veganes Gyros sind schnell gegessen und verdaut. Zu ihrer Herstellung kommen die eingesetzten Hülsenfrüchte oder Weizen vor dem Texturieren zu einer fleischähnlichen Konsistenz oftmals in ein Säure- oder Laugenbad, werden gemahlen, gewässert, zusammengeklebt, versponnen, extrudiert (in Form gepresst) und dergleichen mehr.
Anders als herkömmlich gekochte Bohnen, Erbsen, Linsen, Graupen oder Haferflocken, die durch ihren natürlichen Verbund mit Ballaststoffen, Sterinen und anderen sekundären Pflanzenstoffen zu einer guten Sättigung führen und den Körper langsam und lang anhaltend versorgen, können auch schnell verfügbare Proteine zu Übergewicht beitragen, weil sogenannte glukoplastische Aminosäuren in Traubenzucker (Glukose) umgewandelt werden.
Gerade Menschen mit Gewichtsproblemen, die vielleicht wegen Gelenkschmerzen weniger körperlich aktiv sein können, tun sich mit regelmäßig verzehrter Fertignahrung keinen Gefallen. In einer aktuellen Studie konnten der Ernährungsmediziner Mathias Fasshauer von der Universität Gießen und Kollegen beweisen, dass hoch verarbeitete Speisen bei Übergewichtigen eine geringere Gewichts- und Fettabnahme bewirken als der Verzehr minimal verarbeiteter Lebensmittel.
Letztlich enthält hoch verarbeitete Fertignahrung oft auch mehr technologische Hilfs- und Zusatzstoffe, die der Darmflora schaden oder das Gleichgewicht der Spurenelemente und Mineralstoffe stören. Dazu zählen Konservierungsmittel und Stabilisatoren. Hinzu kommen zugesetzte Aromen sowie höhere Anteile von Zucker und Salz, die dazu verleiten, zu viel essen.
Beim täglichen Essen kommt es schlussendlich darauf an, einen praktikablen Kompromiss zu finden. So kann die getrocknete Fertigmischung für vegane Bratlinge dabei helfen, Zeit zu sparen. Tomate und Gurke dazu sind schnell aufgeschnitten.
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