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Europa macht dicht

Östliche EU-Staaten beharren auf Abriegelung der Balkan-Route / Merkel setzt weiter auf stärkere Zusammenarbeit mit Ankara / Pro-Asyl warnt vor Abschiebungen in die Türkei und nach Griechenland

  • Lesedauer: 4 Min.
Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag ist klar: Für die Flüchtlinge ist es fast egal, ob sich die östlichen Mitgliedstaaten oder die Bundesregierung bei den Verhandlungen durchsetzt. Rauer wird das Klima für Asylsuchende auf jeden Fall.

Brüssel/Prag. Vor dem EU-Gipfel zur Asylpolitik am Donnerstag und Freitag machen wichtige östliche Mitgliedstaaten gemeinsam Front für einen weiteren asylfeindlichen Kurs der EU. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei berieten am Montag in Prag mit Mazedonien darüber, wie man die sogenannte Balkan-Route an der Grenze zu Griechenland abschotten könnte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die vier Länder der sogenannten Visegrad-Gruppe davor, in der Flüchtlingskrise einen «Verein der Abtrünnigen» zu bilden.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte alarmiert. Der «Stuttgarter Zeitung» sagte sie: «Einfach in Mazedonien, das gar kein EU-Mitglied ist, einen Schutzzaun zu bauen, ohne uns darum zu kümmern, in welche Notlage das Griechenland brächte - das wäre nicht nur kein europäisches Verhalten, sondern löste auch unsere Probleme nicht.» Merkel setzt dagegen weiterhin darauf, die Außengrenzen der EU weiter abzuschotten und dafür eine engere Partnerschaft mit der Türkei einzugehen. «Die für die Flüchtlingsbewegung entscheidende Schengen-Außengrenze liegt zwischen der Türkei und Griechenland», hob die Kanzlerin hervor. So sehen Pläne der Kanzlerin vor, das Land als «sicheren Herkunftsstaat» einzustufen«, um dadurch Abschiebungen jener Flüchtlinge zu erleichtern, die über die Türkei in die EU einreisen.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warnte vor dem EU-Gipfel eindringlich davor, weder die Türkei als »sicheren Drittstaat« anzuerkennen, noch zu einer Neuauflage der Dublin-II-Verordnung zurückzukehren, die massenhafte Abschiebungen nach Griechenland zur Folge hätte. »Nach dem Motto ‚Augen zu und durch‘ wird die Situation in Griechenland und in der Türkei schöngeredet. Die Realität wird verbogen, bis sie zum politisch gewollten Ergebnis führt«, kritisierte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.

Ähnliche Warnungen äußerte die innenpolitische Sprecherin der LINKEN, Ulla Jelpke: »Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat. Flüchtlinge haben dort keine Chance auf Schutz und Asyl. Europa soll immer mehr gegen Flüchtlinge abgeschottet und Schutzsuchende bereits an den europäischen Außengrenzen abgewiesen werden. Und diesem politischen Willen werden sämtliche humanitären Grundsätze und auch geltendes Recht einfach untergeordnet.«

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka hatte vor dem Treffen der östlichen EU-Mitgliedstaaten gesagt, falls Griechenland und die Türkei den Zustrom nicht begrenzen könnten, bestehe die Möglichkeit, »die illegale Wirtschaftsmigration an den Grenzen von Mazedonien und Bulgarien aufzuhalten«. Die Visegrad-Vier wollten beschließen, Mazedonien und Bulgarien mit Streitkräften, Grenzbeamten und Stacheldraht zu unterstützen.

Griechenland, wo seit dem Sommer Hunderttausende Flüchtlinge angelandet sind, wurde zu dem Treffen nicht eingeladen. Athen befürchtet nun, dass Mazedonien seine Grenze bald schließen könnte, so dass die meisten Flüchtlinge in Griechenland bleiben würden. Mazedonien baut an seiner Südgrenze zurzeit einen zweiten Stacheldrahtzaun.

Der slowakische Regierungschef Robert Fico behauptete, Deutschland habe mit seiner Willkommenspolitik einen Fehler gemacht und wolle nun andere zwingen, diesen mit auszubaden. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kündigte an, die eigenen Grenzanlagen noch zu verstärken. Er bekräftigte, sein Land wehre sich weiter gegen eine quotierte Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Ungarn hat sich mit Zäunen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien gegen Flüchtlinge abgeschottet, im Gespräch sind auch neue Absperrungen zu Rumänien.

Luxemburgs Außenminister Asselborn wies am Rande eines EU-Außenministertreffens darauf hin, dass die Visegrad-Länder in der Vergangenheit selbst viel Solidarität erfahren hätten. Sollten sie sich nun in der Flüchtlingskrise abschotten, werde es in Brüssel sehr schnell eine Debatte darüber geben. Deutschland ist der größte Nettozahler in der EU. Länder wie Polen und Ungarn gehören zu den größten Nettoempfängern von EU-Geldern.

Die Länder der vor 25 Jahren gegründeten Visagrad-Gruppe wehren sich gegen Umverteilungspläne und lehnen es wie auch andere EU-Staaten ab, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen. Kanzlerin Merkel will erreichen, dass zumindest mittelfristig ein Teil der in der Türkei ankommenden Flüchtlinge vor allem aus Syrien gleichmäßig auf EU-Staaten verteilt wird.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor nationalen Alleingängen zur Begrenzung der Flüchtlingszahl. Die EU müsse es gemeinsam angehen »und nicht unter der Überschrift handeln: Rette sich, wer kann, jeder sucht sein Heil in der nationalen Politik«.

Dem Eindruck eines deutsch-französischen Konflikts in der Flüchtlingsfrage trat am Montag Regierungssprecher Steffen Seibert entgegen. Premierminister Manuel Valls hatte am Wochenende betont, Frankreich habe versprochen, 30.000 von 160.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die seit Monaten verteilt werden sollen - keinesfalls aber mehr. Dazu sagte Seibert, er begrüße, dass Frankreich zu seinen Verpflichtungen stehe.

Die EU sagte Mazedonien am Montag zehn Millionen Euro zu. Die Unterstützung solle nicht zum Bau eines Zaunes beitragen, teilte die EU-Kommission mit. Es gehe darum, Grenzen zu kontrollieren - nicht, sie zu schließen.

Die CSU, die sich seit längerem auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin befindet, will ihr weiteres Vorgehen von den Ergebnissen des EU-Gipfels abhängig machen. »Wenn auf dem Gipfel keine wirksamen Beschlüsse erreicht werden, muss national gehandelt werden«, forderte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Agenturen/nd

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