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Asylsuchenden früher helfen

Der Jurist Andreas Schloenhardt sieht in einem NATO-Einsatz und neuen Grenzzäunen keine Lösung für die Flüchtlingskrise

  • Lesedauer: 5 Min.
Andreas Schloenhardt ist Professorial Research Fellow am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien und Professor für Strafrecht an der University of Queensland in Brisbane, Australien. Er forscht und lehrt insbesondere zu Menschenhandel und Flüchtlingsrecht. Zur europäischen Krise im Umgang mit dem Flüchtlingszustrom befragte ihn Katja Herzberg.

Die Auseinandersetzung in der EU über die sogenannte Flüchtlingskrise könnte kaum essenzieller für das europäische Projekt selbst sein. Warum ist keine gemeinsame Lösung in Sicht, auch nicht bei diesem EU-Gipfel?

Vielen in der Politik fehlt das Verständnis und die Weitsicht. Viele brauchen schnelle politische Erfolge, um ihr Gesicht zu wahren, sie wollen sich nicht mit langfristigen Strategien beschäftigen, weil die erst in sechs, zwölf Monaten oder später Erfolge zeigen können. Es mangelt auch an einer vernünftigen Informationspolitik. Die Hysterie in der Bevölkerung und in den Medien ist völlig unnötig. Zurzeit wird sehr viel spekuliert und werden unsinnige Maßnahmen vorgeschlagen.

Wie die Errichtung weiterer Zäune, etwa an der Grenze von Mazedonien zu Griechenland, wie es die Visegrad-Staaten in die Diskussion gebracht haben?

Ja, diese Regierungen handeln nach dem Motto: »Aus den Augen, aus dem Sinn«. Man versucht, das Problem abzuschieben, und hofft, dass es sich irgendwie in Luft auflöst. Das ist natürlich eine ziemlich arrogante Vorgehensweise.

Welche Maßnahmen wären stattdessen sinnvoll?

Die Lösung besteht darin, mit den Transitstaaten zusammenzuarbeiten und dass man versucht, den Flüchtlingen früher zu helfen, und so auch die Weiterwanderung unnötig macht oder diese durch den Staat ermöglicht. Die sogenannten Hotspots können dazu beitragen. Nur sind sie leider auf der falschen Seite der EU-Außengrenzen, weil die Leute erst einmal dahin kommen und dafür ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Diese Hotspots sollten in der Türkei und Libyen oder Tunesien sein. Das ist jedoch derzeit mit einigen Schwierigkeiten verbunden, die aber nicht unumwindbar sind.

Die Vorschläge für legale Fluchtwege wie humanitäre Visa oder Umsiedlungsprogramme liegen seit Langem auf dem Tisch. Doch ganz offensichtlich geht es nun darum, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren und ihnen keine »Anreize« zu bieten, nach Europa zu kommen.

Modelle und Lösungsansätze gibt es genug. Das Botschaftsasyl zum Beispiel wurde von vielen Ländern im Jahr 2001 abgeschafft. Genau eine solche Möglichkeit würde allerdings dazu führen, dass sich die Menschen gar nicht nicht auf den Weg machen müssen, sondern zunächst vor Ort den Antrag auf Asyl stellen könnten. Eine solche Option müsste koordiniert werden. Interessanterweise wird genau das bereits für Schengen-Visa gemacht. In der Regel stellt hier ein Land für alle anderen Schengen-Länder das Visum aus. Die momentane Krise besteht in einer verpassten Chance, die bekannten Mittel anzuwenden.

Immerhin herrscht Einigkeit bei der »Schlepperbekämpfung«. Erst in der vergangenen Woche wurde ein NATO-Einsatz in der Ägäis auf den Weg gebracht. Welche Erfolgschancen sehen Sie in dieser Mission?

Wenn man stärker an den Außengrenzen kontrolliert, wird das schon dazu führen, dass Boote aufgespürt, Personen ermittelt und diese wegen Schlepperei verurteilt werden. Das bekämpft aber zum einen nicht die Ursachen. Zum anderen spielt man damit auch den Schleppern in die Hände. Denn die Flüchtlinge müssen mittel- oder langfristig auf schwierigere, gefährlichere Schleppermethoden ausweichen. Das wird ein Nebeneffekt, wenn nicht sogar der Haupteffekt dieser Maßnahmen sein. In den vergangenen Monaten, in denen die Grenzen teilweise sehr geöffnet waren, konnte die Migration, die Fluchtbewegung, viel sicherer vonstatten gehen. Gleichzeitig hatte man so den Schleppern das Handwerk gelegt.

Zum Anti-Schlepper-Einsatz der NATO soll auch gehören, in Seenot geratene Bootsflüchtlinge in die Türkei zurückzubringen. Ist das völkerrechtlich zulässig?

Zulässig vermutlich schon, aber dennoch fragwürdig. Frontex oder den griechischen Behörden wäre das nicht ohne Weiteres erlaubt. Weil die Türkei ein NATO-Partner ist, ist die Sache einfacher. Schwieriger ist die Frage mit Blick auf das Flüchtlingsrecht zu beantworten. Generell verfolgt die Türkei Flüchtlinge nicht, viele haben sich dort schon längere Zeit aufgehalten. Insofern bringt man sie in ein sicheres Land zurück. Dennoch haben viele Flüchtlinge Angst, abgeschoben zu werden. Das Land ist überlastet - die Türkei hat bereits zwei bis drei Millionen Menschen aufgenommen. Sie kann all diese Personen nicht gut versorgen. Hinzu kommt, dass die Flüchtlingskonvention darauf basiert, dass, wenn jemand sozusagen an die Tür klopft oder durch die Tür kommt und sagt, »ich fliehe vor Verfolgung«, man ihn zunächst aufnimmt und den Einzelfall prüft. Diese Möglichkeit wird verwehrt.

Es scheint, als sei die Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr unantastbar. Steht eine Reform bevor?

Jetzt die Flüchtlingskonvention infrage zu stellen, wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Allerdings tun einige das bereits. Die Diskussion gab es vor 15 Jahren auch schon einmal. Damals hatte sich glücklicherweise keine Mehrheit gefunden. In dieser Diskussion besteht eine riesige Gefahr. Angesichts des derzeitigen Rechtsrucks in Politik und Gesellschaft können wir froh sein, dass es die Flüchtlingskonvention trotz all ihrer Schwächen gibt. Sie ist im Moment das einzige Mittel, das Menschen die Möglichkeit gibt, vor Verfolgung geschützt zu werden. Und sie ist in keiner Weise großzügig ausgestattet, sondern gewährt nur eine Aufenthaltsmöglichkeit. Die Konvention wurde speziell für die Situation nach 1945 geschrieben. Es wäre äußerst blamabel, wenn nun versucht würde, an ihr herumzudoktern.

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