Kein Wille zur Aufklärung
Berlins Polizei und Politik behindern Aufarbeitung des umstrittenen Einsatzes beim Union-Spiel gegen Salzburg
»Es ist 13 Uhr!« Seit drei Stunden tagt schon der Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung im Berliner Abgeordnetenhaus an diesem Montag. Der Vorsitzende Peter Trapp (CDU) will die Sitzung jetzt schnellstmöglich beenden. Er musste zuvor ja auch manch anstrengende Auseinandersetzung zwischen den Fraktionen zu Anträgen und Abstimmungen ertragen und moderieren. Aber so läuft politische Alltagsarbeit nun mal.
Im Bernhard-Letterhaus-Saal ist dabei ebenso zu erleben, wie Politik gemacht wird, nachdem die vier Tagesordnungspunkte verhandelt sind. Der umstrittene Polizeieinsatz beim Freundschaftsspiel zwischen dem 1. FC Union Berlin und Austria Salzburg am 30. Januar hat es nicht auf die Liste jener Punkte geschafft. Wie zu erfahren war, hätten sich die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU dagegen gewehrt. Immerhin: Die Vorfälle an der Alten Försterei werden zumindest so wichtig genommen, dass sie als schriftlich angemeldetes »besonderes Vorkommnis« zur kurzen Anhörung kommen.
Dieser Bezeichnung werden die Vorfälle vom 30. Januar allemal gerecht. Vor allem die Videoaufzeichnungen der Stadionüberwachungsanlage hatten die erste Pressemitteilung der Polizei als Lüge enttarnt. Die musste sie in einer zweiten Erklärung, die sechs Tage später gemeinsam mit dem Fußballklub veröffentlicht wurde, eingestehen: »Die Darstellung, dass 250 Anhänger des Heimvereins die Einsatzkräfte massiv angegriffen hätten, hat sich nicht bestätigt.« Weiterhin sei es nicht, wie ursprünglich behauptet, »immer wieder zu Flaschenwürfen oder Angriffen auf die Beamten« gekommen.
Hakan Taş ist nicht wirklich enttäuscht. Mit diesem Verlauf der Sitzung hat der Abgeordnete der Linksfraktion gerechnet. Deshalb hat er 13 Fragen vorbereitet - um die bislang unzureichende Aufarbeitung des Polizeieinsatzes voranzutreiben. Noch am selben Tag stellte er die Schriftliche Anfrage dem Senat zu. Die Antwort erwartet Taş in zwei Wochen.
Magenknurren zur Mittagszeit, eine lange Sitzung, politischer Unwille: Die dünne und teils unverschämte Erklärung zum Polizeieinsatz im Ausschuss hat vermutlich viele Gründe. Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt verharmlost die erste falsche Pressemeldung seiner Behörde als »etwas irreführend«. Gleich darauf teilte er aus. »Massive Einzelgerangel« habe es gegeben, und auf Videos habe er »großes gewaltbereites Potenzial beim Fanmarsch« entdeckt. »Keine Selbstkritik«, bemängelt Hakan Taş den Auftritt des Polizeipräsidenten.
Fakt ist, dass es während des Fanmarsches von der Köpenicker Altstadt zum Stadion vor dem Benefizspiel für Austria Salzburg keinen einzigen Verletzten gab. Am Montag berichtet Bernd Krömer von insgesamt 90 Verletzten. Der CDU-Politiker ist Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Er gibt sich keine Mühe, seine Abneigung zu verbergen und spricht von einem »sogenannten Fanmarsch«, zählt Vergehen der Fans und Verletzungen von Beamten auf. Als einzige Konsequenz nennt Krömer die erfolgte Nachbesprechung des Einsatzes. Die habe immerhin »mehr als zwei Stunden gedauert.« Es klingt so, als sei die Sache für den Staatssekretär erledigt.
Eine entscheidende Frage aber ist noch immer ungeklärt. Wie konnte die Situation eskalieren? In der Sicherheitsabsprache vor dem Marsch wurde mit der Polizei vereinbart, dass die Teilnehmer über den VIP-Eingang ins Stadion gelangen. Auf nd-Nachfrage teilte die Pressestelle der Polizei mit: »Dem Leiter des Einsatzes war die Nutzung des VIP-Zuganges als Eingang für den Fanmarsch nicht bekannt.« Das soll erklären, warum eine Polizeikette den Weg versperrte. Staatssekretär Krömer spricht am Montag davon, dass die Beamten den Eindruck »einer gewollten Abweichung von der Route« gewonnen hätten. Wollte oder konnte sich niemand mehr von den Einsatzkräften an die Absprache erinnern? Oder zählt hier ein Wort weniger als das andere? Nicht der Verein hatte die Sicherheitsabsprache geführt, sondern die Organisatoren des Fanmarsches. Zum Beispiel Lars Schnell - sonst als Fanbeauftragter vor und während der Spieltage in der 2. Bundesliga Partner im Sicherheitsdialog.
Auch zwei Fans des 1. FC Union Berlin sitzen im Bernhard-Letterhaus-Saal. »Aus eigenem Interesse«, sagt einer der beiden. Wirklich weitergebracht hat sie der Besuch nicht. Denn beide seien auch gekommen, um die Erlebnisse vom 30. Januar für sich selbst besser verarbeiten zu können. Sie berichten von verletzten Rollstuhlfahrern und Kindern sowie unzähligen Pfeffersprayopfern. Angst hätten sei beide gehabt.
Ob nun 24 verletzte Beamte, wie von der Pressestelle der Polizei zu erfahren ist, oder 23, von denen Bernd Krömer spricht - mehr als zwei Drittel der insgesamt 90 Verletzten waren Fans oder auch Mitarbeiter des Vereins. Unter ihnen, das hatte die Polizei schon in ihrer ersten Pressemitteilung erwähnt, sollen »rund 40 andere Stadionbesucher« gewesen sein. Übersetzt könnte man von Unbeteiligten sprechen. Wie das »zum vereinzelten Einsatz von Reizstoff« passt, wie es in der gemeinsamen Erklärung von Verein und Polizei steht, könnte durch die Beantwortung von Hakan Taş’ Fragen geklärt werden.
Obwohl die Polizei eingestehen musste, nicht angegriffen worden zu sein, ist es unwahrscheinlich, dass die Suche nach der Ursache der Eskalation zu einem Ergebnis führt. »Die Polizei Berlin hat mit einem Nachbereitungsverfahren begonnen, das alle am Einsatz Beteiligten einbezieht und derzeit noch andauert«, heißt es von der Pressestelle. Augenzeugen und Personen, die die Bilder der Überwachungsanlage gesehen haben, berichten jedenfalls, dass die wartenden Fans am VIP-Eingang einer Konfrontation sogar aus dem Weg gegangen seien. Auch noch, als von der Polizei die ersten Knüppelschläge und Pfefferspray ausgeteilt wurden. Weil der Weg durch die Polizei versperrt war und der Druck durch nachrückende Teilnehmer des Marsches immer größer wurde, soll ein Anhänger auf einen Polizisten gefallen sein.
Einen sicher unfreiwilligen Einblick in den Umgang der Sicherheitsbehörden mit Fußballfans gibt Bernd Krömer am Montag. »250 Fans der Kategorie B und C« hätten an dem »sogenannten Fanmarsch« teilgenommen, sagt der Staatssekretär. Verglichen mit dem Wortlaut der ersten Polizeimeldung (»Beim Erreichen des Stadions gegen 16 Uhr wurden Polizisten dann aus einer Gruppe von rund 250 Anhängern der Heimmannschaft massiv körperlich angegriffen«), ist man bei der polizeilichen Praxis angelangt, die Wochenende für Wochenende Anwendung findet. Anhand der immer umstritteneren Sport-Gewalt-Dateien schätzt die Polizei die anwesenden Fans der Kategorie B (gewaltbereit) und C (gewaltsuchend), packt diese Information in eine Pressemitteilung und hat damit jedes Argument nach einem Einsatz auf ihrer Seite - das Nicken der Öffentlichkeit und die Unterstützung der Politik inklusive. Innensenator Frank Henkel hat sich nach seiner voreiligen Aussage (»Solche Gewalttaten gegen unsere Polizei sind nicht hinnehmbar«) nicht wieder zu den Vorfällen am 30. Januar geäußert.
Die Sitzung des Innenausschusses ist vorbei, der Saal fast leer, die Kantine des Abgeordnetenhauses dafür wohl etwas voller. Die beiden Union-Fans sitzen noch immer auf ihren Stühlen. Das Kommen hat sich doch noch gelohnt - sie sind im Gespräch mit Klaus Kandt. »Laden Sie uns ein, wir kommen immer gern«, antwortet der Polizeipräsident auf den Vorschlag, mal ein Fantreffen zu besuchen. Vom Dialog wird oft geredet, praktiziert wird er selten.
Wie hilfreich es ist, miteinander zu reden, erfährt hier Stefan Redlich. Der Sprecher der Berliner Polizei steht neben Kandt und sagt: »Solche Hintergrundinformationen sollte man haben.« Bis eben wusste er nicht, dass sich die Fans von RB Leipzig selbst als »Bullenschweine« besingen. Mit dem Einstieg von Red Bull in den Fußball hat der Kurvengesang »Alle Bullen sind Schweine« eine neue Bedeutung bekommen. Erst recht in einem Benefizspiel für die klamme Austria, die in Salzburg als Gegenentwurf zu Red Bull versucht zu überleben.
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