August liebte Fatima

Muslime in Sachsen - eine kontroverse Beziehungskiste gestern und heute

Sachsen kommt nicht raus aus den negativen Schlagzeilen. Die aber auch dort gelebte »Willkommenskultur« stärken, Ängste und Vorurteile abbauen, will ein grünes, auf den ersten Blick unscheinbares Büchlein. Die 22 Autoren sind mehrheitlich Studenten, Doktoranden, Dozenten und Professoren des Orientalischen Instituts der Leipziger Universität. Sie offerieren Fakten, die beschämen und bestärken, entmutigen und ermutigen. Warum gibt es gerade in Sachsen diese heftige Abwehr, diesen Hass gegen Muslime? Leben doch im Freistaat gerade mal 20 000, was 0,48 Prozent der Bevölkerung entspricht. Eine marginale Größe. Ist das der Grund? Die Armut an Erfahrung?

Sachsens Kontakte mit Menschen und Kulturen des Vorderen Orients reichen bis in die Zeit der Kreuzzüge zurück. Es gab Perioden regen Handels und kulturellen Austausches. Holger Schuckelt, Oberkonservator der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, weiß Kurioses zu berichten: Während Europa die - realen oder eingebildeten - Siege über die Türken feierte, gefielen sich sächsische Kurfürsten in der Rolle von Sultanen, ausstaffiert mit Turban, Kaftan und Säbel, auf prachtvollen Araberhengsten reitend. Höhepunkt der Türkenmode in Sachsen war 1719 die Hochzeit eines Sohnes von August dem Starken: Auf den Elbwiesen standen osmanische Prunkzelte, das Brautpaar wurde von orientalisch gekleideten Soldaten und Dienern sowie türkischer Musik empfangen. Sachsens berühmtester Herrscher hatte zudem eine muslimische Mätresse; Fatima schenkte ihm zwei Kinder, die er in den Grafenstand erhob.

Eine nennenswerte Zuwanderung von Muslimen nach Sachsen begann erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit Anfang der 1950er Jahre nahm die DDR politisch Verfolgte aus Iran und Algerien auf, hinzu kamen später Palästinenser sowie Vertragsarbeiter aus Mosambik. 1996 fanden 2000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzogowina in Sachsen Zuflucht, Resultat der Zerschlagung Jugoslawiens unter maßgeblicher deutscher Beteiligung.

Die Herausgeberinnen Marie Hackenberg und Verena Klemm stellen sich der Sorge vor islamistischen Anschlägen auch hierzulande, geben jedoch zu bedenken, »dass diese Terrormilizen in erster Linie die Lebensgrundlage und Existenz von zahllosen Muslimen wie auch anderer religiöser Gemeinschaften im Nahen Osten vernichten«. Da ist Mitgefühl das mindeste, was man von anständigen Menschen erwarten kann.

Das Grundgesetz garantiert auch den Muslimen Religionsfreiheit, die im öffentlichen Raum sichtbar werden darf, wie Hans-Georg Ebert betont. In Sachsen gibt es derzeit zwölf Moscheen, vier in Leipzig, drei jeweils in Dresden und Chemnitz, je eine in Freiberg und Zwickau. Tom Bioly räumt ein, dass das Sendungsbewusstsein der Ahmadiyya, die deutschlandweit 100 Moscheen errichten wollen und derzeit eine in Leipzig-Gohlis bauen, irritieren mag. Eine »Islamisierung« ist indes von der kleinen Glaubensgemeinschaft aus Indien mit dem Motto »Liebe für alle, Hass für keinen« nicht zu befürchten. Dennoch haben Ignoranten jüngst auf deren Baugelände in Gohlis ein totes Ferkel abgeworfen.

Vorgestellt werden im Buch Imame, die eine wichtige integrative Funktion wahrnehmen. Bedenkenswert der Hinweis, dass es in Sachsen keinen Landtagsabgeordneten und Bürgermeister, keine Land-, Kreis-, Stadträte mit muslimischen Hintergrund gibt. Auf dem Arbeitsmarkt, so der Befund von Annett Heerklotz, sind Muslime und vor allem Muslima nach wie vor benachteiligt. Wobei oft übersehen wird, dass letztere zusehends patriarchalische Strukturen aufbrechen und mit soliden Bildungs- und Berufsabschlüssen ihr Leben selbstbestimmt gestalten. Generell befürworten einer aktuellen Studie zufolge Muslime mehrheitlich die pluralistische Gesellschaft.

Schließlich kommen Muslima und Muslime selbst zu Wort. Die Ärztin Mariam aus Syrien ist bestürzt, ihr Vorstellungsgespräch drehte sich nur »um mein Kopftuch und nicht um meine Qualifikation«. Rarina, Psychologiedozentin aus Jakarta, ist zutiefst erschrocken über die feindseligen Demonstrationen, zumal sie in einem toleranten multikulturellen Arbeitsumfeld arbeitet. Akmaral aus Usbekistan, Physikerin, will wegen der aggressiven Stimmung in Sachsen in die alte Heimat zurückkehren.

Zu einem Spaziergang durch die Leipziger Eisenbahnstraße, »Arab Street« genannt, lädt Hannah Cremer. Kian aus Iran sieht dort eine Parallelgesellschaft entstehen: »Ich schäme mich für diese Straße. Diese Leute, die den einfachsten Weg des Geldverdienens wählen, nämlich kriminelle Geschäfte und Drogenhandel, schaden allen anderen Muslimen oder Ausländern, die hart arbeiten und integriert sind.« Salim fragt: »Wenn man dort wohnt, warum hat man überhaupt Marokko verlassen?«

Anschließend stellt Katharina Pfannkuch die Popband »i,Slam« vor, die sich kreativ und wortgewaltig auf Deutsch zu Identität und Integration äußert. Das You-Tube-Video »Happy German Muslims« allerdings erfährt Kritik von muslimischer wie nicht-muslimischer Seite; beanstanden die einen Nachäffung westlicher Mode, so die anderen angebliche Abschottung. Kurzum, das in der Farbe des Islams umhüllte Büchlein schönt und verschweigt nichts, schwärzt und stigmatisiert nicht. Es klärt auf.

Marie Hackenberg/Verena Klemm (Hg.): Muslime in Sachsen. Geschichte. Fakten. Lebenswelten. Edition Leipzig. 136 S., br., 9,95 €

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