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Spielerisch Deutsch lernen

Der Bund fördert seit Jahren die Sprachbildung in Kitas. Von der Vermittlung guter Deutschkenntnisse profitieren nicht nur Migranten. Von Jürgen Amendt

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass der östlichste Stadtrand Berlins nicht nur geografisch randständig ist, daran lässt die Sozialstatistik keinen Zweifel. Die Gegend kurz vor dem Vorort Ahrensfelde rangiert im Ranking der 447 Berliner Sozialräume auf dem 400. Platz; die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Zahl der Menschen, die von Grundsicherung leben müssen, liegt bei über 40 Prozent. Zwischen Hochhauszeilen befindet sich hier in einem Flachbau die Kita Rabennest des Jugendwerks Aufbau Ost (JAO).

Rund die Hälfte der 200 Kinder ist nichtdeutscher Herkunft, die meisten von ihnen haben ihre familiären Wurzeln in Russland und Vietnam. Einen Sprachförderbedarf hat jedes vierte Kind, wobei Kinder ohne Migrationshintergrund in dieser Gruppe einen Anteil von ungefähr 50 Prozent stellen. «Dreijährige, die noch keine vollständigen Sätze sprechen können, sind aber auch bei Deutschen keine Seltenheit», sagt Tina Hrabowski, die in der Einrichtung für die alltagsintegrierte Sprachförderung verantwortlich ist. In vielen Familien gebe es neben der materiellen eine Spracharmut. «Oft hören wir von den Eltern, dass ihre Sprachentwicklung ebenfalls verzögert war», berichtet die 29-jährige Erzieherin.

Eine besondere Herausforderung sind für sie und ihre Kolleginnen die vietnamesischstämmigen Kinder. Viele könnten anfangs nur wenig Deutsch, weil sie bis zum Kitabesuch nicht in Kontakt mit gleichaltrigen Deutsch sprechenden Kindern gekommen seien und ihre Mütter ebenfalls nicht oder kaum die deutsche Sprache beherrschten, erklärt Hrabowski. Ihre Einrichtung arbeitet deshalb mit muttersprachlichen, vom Träger JAO finanzierten Kulturdolmetschern zusammen. «Wir empfehlen den Eltern, sich im häuslichen Umfeld mit ihren Kindern in der Herkunftssprache zu unterhalten», betont Hrabowski. Viele Eltern seien allerdings verunsichert, weil ihnen von Kinderärzten und von Lehrern geraten werde, zu Hause nur Deutsch zu sprechen. «Das ist aber ein falscher Rat», betont Hrabowski.

Sprachwissenschaftler sehen das genauso. Wenn Migranten mit ihren Kindern nicht ihre Herkunftssprache, sondern Deutsch sprechen, verschlechtert sich die Herkunftssprache bei diesen Kindern, ohne dass sich die Deutschkenntnisse verbessern. Zudem könne der Verzicht auf die Herkunftssprache langfristig zu Identitäts- und Beziehungsproblemen führen. Zu diesem Schluss kamen Forscher am Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) 2014 in einer Studie mit etwa 100 russischsprachigen Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren.

Aber auch die Berliner Wissenschaftler betonen, dass der Grundstein für die Beherrschung der deutschen Sprache bereits in der Kita gelegt werde. Damit aber Sprachförderung in der Kita gelingen kann, braucht es neue Konzepte für die frühkindliche Bildung. Zu dieser Erkenntnis ist man in der Kita Suppenschule im fränkischen Aschaffenburg gelangt. Seitdem sich die Einrichtung 2011 an dem Bundesprogramm «Sprache & Integration» beteiligt, hat sich in der Kita mit ihren 87 Krippen- und Kindergartenkindern einiges verändert. «In der Sprachförderung haben wir vorher den Ansatz verfolgt, die Kinder bei einer falschen Aussprache oder falschen Verwendung der Grammatik sofort zu korrigieren», sagt die Sprachexpertin der Kita Sybille Völker. Wenn heute einer Kollegin z.B. auffalle, dass ein Kind nicht «der Bus», sondern «die Bus» sage, dann werde das Kind nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger auf einen Fehler aufmerksam gemacht, erklärt die 40-Jährige das Konzept. Die Erzieherin werde zusammen mit dem Team vielmehr durch die Auswahl z.B. von Spielmaterial und durch tägliche Kommunikation Situationen schaffen, in denen das Kind quasi nebenbei lerne, dass es «der Bus» heißen muss. «Alltagsintegrierte sprachliche Bildung» heißt das im Fachjargon.

Sowohl die Kita Rabennest in Berlin als auch die Kita Suppenschule in Aschaffenburg haben sich an dem Bundesprogramm beteiligt, das 2011 vom Bundesfamilienministerium ins Leben gerufen wurde. Formal unterscheiden sich die beiden Kitas kaum. Auch die Kita in Aschaffenburg hat einen hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft; rund 35 Prozent stammen aus Zuwandererfamilien, in denen überwiegend nicht Deutsch gesprochen wird. Damit liegt die Einrichtung über der für die Auswahl für das Programm vom Land Bayern geforderten Mindestquote von 15 Prozent. Im Gegensatz zur Kita Rabennest in Berlin-Marzahn ist die Sozialstruktur jedoch vergleichsweise günstig. Die Kita liegt unweit der Innenstadt von Aschaffenburg mit einem geringen Anteil bildungsferner und finanzschwacher Familien. Der Kita-Experte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Norbert Hocke, warnt davor, das Thema Sprachförderung auf die Gruppe der Kinder aus Migrantenfamilien zu reduzieren. Das Merkmal «Migrationshintergrund» sage über Deutschkenntnisse nicht viel aus, betont der stellvertretende GEW-Bundesvorsitzende. Viele Kinder der zweiten und dritten Einwandergeneration beherrschten die deutsche Sprache mittlerweile ausgezeichnet. Sprachprobleme seien in erster Linie nicht mit der ethnischen oder kulturellen Herkunft, sondern vielmehr mit dem Aufwachsen in den sogenannten sozialen Brennpunkten vor allem in den Großstädten verknüpft.

Ende 2015 lief das Bundesprogramm «Sprache & Integration» aus. Anfang dieses Jahres startete das Nachfolgeprogramm «Sprach-Kitas». Die Resonanz auf das neue Programm war enorm. Bis Ende November 2015 hatten sich nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums bereits knapp 6000 Einrichtungen beworben. Zwei dieser Bewerber sind die Kitas von Sybille Völker und Tina Hrabowski. Beide Erzieherinnen blicken mit Sorge in die Zukunft. Zwar setzt das neue Programm noch mehr als sein Vorgänger auf inklusive Bildung und Zusammenarbeit mit den Eltern, die Zuwanderung von Flüchtlingen fordert von den Einrichtung jedoch neue Anstrengungen bei der Spracherziehung: Künftig werden nicht nur Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in die Kitas kommen, die in dieser Gesellschaft augewachsen und sozialisiert wurden, sondern auch solche aus anderen Kulturkreisen, die zudem überhaupt kein Deutsch sprechen.

Beide Erzieherinnen wünschen sich mehr Weiterbildung in diesem Bereich. Das Angebot dazu gibt es - Fortbildungen zur Fachkraft für Sprachförderung in der Kita können an einer Vielzahl von Instituten absolviert werden. Die Probleme fangen eher nach dem Ende der Fortbildung an, wie Lisa Scheck berichtet. Die gelernte Erzieherin und studierte Sozialpädagogin unterrichtet an einem Weiterbildungsinstitut in Berlin und sieht in der personellen Unterbesetzungen in den Einrichtungen das größte Hindernis für eine kontinuierliche Sprachförderung. «Die Kolleginnen gehen nach der Fortbildung mit viel Elan in ihre Kitas zurück, sagt sie, »aber auch mit einer gewissen Verunsicherung. Viele fragen sich, was sie tun sollen, wenn eine Kollegin krankheitsbedingt ausfällt«, berichtet Scheck.

Auch für Norbert Hocke ist der chronische Personalmangel in den Kitas das größte Problem bei der Sprachförderung. »Die besten Programme helfen nichts, wenn die Personalausstattung schlecht ist.« Das Instrument der Fortbildung müsse zudem als Regelinstitution übernommen werden. Die im neuen Programm »Sprach-Kitas« vorgesehenen externen Fachberatungen seien zwar zu begrüßen, jedoch kein Ersatz für eine kontinuierliche Fortbildung aller Erzieherinnen einer Einrichtung. »Eine ›Spezialkraft‹ pro Kita ist zu wenig.«

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