Mazedonien: Schlagstöcke gegen Geflüchtete

EU-Kommissar prangert Lage im provisorischen Lager in Idomeni an / Mazedonische Soldaten und Polizei stoppen Asylsuchende / Rund 70 Journalisten und Freiwillige vorübergehend in Gewahrsam

  • Lesedauer: 5 Min.

Idomeni. Nach dem Exodus Hunderter Migranten aus dem Elendslager Idomeni kommen die Migranten wieder aus Mazedonien zurück nach Griechenland. Das berichteten am Dienstag Betroffene einem Reporter der Deutschen Presse-Agentur auf griechischer Seite. Die Migranten kehrten zunächst in kleinen Gruppen über die grüne Grenze zurück, später kamen sie zu Hunderten wieder in Griechenland an. Einige der Betroffenen berichteten, sie seien von mazedonischen Sicherheitskräften mit Schlagstöcken traktiert worden.

Die Flüchtlinge hatten nach eigenen Angaben eine Nacht auf mazedonischem Gebiet verbracht. Sie beschrieben die Situation dort als »bedrohlich«. Vor ihnen habe sich ein Spalier aus Soldaten und Polizisten mit Hunden formiert. Die Sicherheitskräfte hätten schließlich die kleinen Zelte der Flüchtlinge zerstört und die Migranten harsch aufgefordert, nach Griechenland zurückzukehren.

Am Vortag war es nach Schätzungen mazedonischer Medien bis zu 2000 Migranten aus Idomeni gelungen, den mazedonischen Grenzzaun über Umwege zu umgehen und illegal in das Nachbarland einzureisen.

EU-Kommissar: In Idomeni werden Werte der zivilisierten Welt »auf die Probe gestellt«

Der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos hat die Lage im Flüchtlingscamp von Idomeni in Nordgriechenland als tragisch und unakzeptabel angeprangert. Nach einem Besuch an der mazedonischen Grenze sagte der Grieche am Dienstag, in Idomeni würden die Werte der zivilisierten Welt »auf die Probe gestellt«. »Das muss aufhören«, sagte er. Er riet den Migranten, in besser ausgestattete Lager im Landesinneren Griechenlands zu gehen.

Der EU-Kommissar rief alle 28 EU-Staaten auf, »ihre Tore zu öffnen und das einzuhalten, was wir vereinbart haben.« Ziel sei, jeden Monat etwa 6000 Flüchtlinge aus Griechenland in andere EU-Staaten umzusiedeln. Migranten ohne Bleibrecht würden in ihre Heimatländer zurückgeschickt, stellte Avramopoulos jedoch klar. Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas erklärte, man brauche nur noch kurze Zeit, um die Menschen in dem Lager zu überreden, in andere griechische Lager zu gehen.

Flüchtlinge hoffen in Idomeni noch immer auf Grenzöffnung

Angesichts der seit mehr als einer Woche geschlossenen Grenzen suchen Flüchtlinge nach Wegen aus Griechenland in Richtung Deutschland. Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer in Idomeni und in Athen berichteten, dass Schlepper und zwielichtige Unternehmen versuchten, mit falschen Informationen und teuren Bustickets Profit aus der Hoffnungslosigkeit der Menschen zu schlagen. Am nördlichen Grenzort Idomeni harrten am Dienstag laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und »Ärzte ohne Grenzen« zwischen 10.000 und 12.000 Flüchtlinge bei Regen und Kälte weiter aus.

Nach UNHCR-Angaben befinden sich derzeit 44.000 Flüchtlinge in Griechenland - zuletzt kamen täglich zwischen 1.500 und 2.500 an. UNHCR-Mitarbeiter Babar Baloch, der in Idomeni über legale Wege wie Asylanträge und Umsiedlungsprogramme informiert, sagte dem epd: »Viele haben noch immer die Hoffnung, dass die Grenze sich wieder öffnet.«

Drei Flüchtlinge ertrinken an der Grenze

Verzweifelte Flüchtlinge versuchten vom griechischen Idomeni aus den Durchbruch nach Mazedonien, auf dem Weg durch einen Fluss sind zuvor schon drei afghanischen Asylsuchende ertrunken. Später wurden Hunderte Menschen in der Nähe der Stadt Gevgelija von Soldaten und Polizisten festgenommen - darunter Dutzende freiwillige Helfer und zahlreiche Journalisten. Nun sollen die Geflüchteten wieder nach Griechenland zurückgebracht werden, so Medien in Skopje unter Verweis auf das Innenministerium.
AdTech Ad

Nach einem acht Kilometer langen Marsch kämpften sich die Flüchtlinge nahe der Ortschaft Chamilo auf griechischer Seite durch den Hochwasser führenden Fluss, dessen anderes Ufer noch etwa 500 Meter von der mazedonischen Grenze entfernt ist, wie ein dpa-Reporter berichtete. Griechische Bereitschaftspolizisten versuchten noch, die Gruppe aufzuhalten, ließen sie dann aber passieren, ohne Gewalt anzuwenden. Bei der Querung des Flusses bildeten junge Männer und internationale Freiwillige eine Menschenkette, um älteren Flüchtlingen und Frauen mit Kindern durch die Strömung zu helfen. Während mazedonischen Medien zufolge bis zu 2.000 Menschen der Grenzübertritt gelang, ertranken drei afghanische Flüchtlinge in der Strömung. Die mazedonische Polizei hatte ihre Leichen bereits am Morgen im Grenzfluss Suva Reka entdeckt – darunter waren zwei Schwestern, die eine minderjährig, die andere schwanger. 23 gerettete Flüchtlinge seien im Aufnahmelager Vinojug medizinisch versorgt worden, berichteten Medien unter Berufung auf die Polizei.

Der deutsche Fotograf Björn Kietzmann berichtete von vor Ort, »schwer bewaffnete mazedonische Polizisten« hätten den Marsch der Geflüchteten gestoppt. Auch etwa 70 Journalisten und Freiwillige seien von der Polizei in Gewahrsam genommen worden. Sie sollten wegen »des irregulären Grenzübertritts nicht inhaftiert werden«, es falle aber »pro Kopf eine Strafe von 260 Euro« an. Kietzmann war am Dienstagmorgen nach siebeneinhalb Stunden aus dem Polizeigewahrsam freigekommen.

Flugblätter sollen Flüchtlinge zur Aktion geführt haben

»Wir haben in unseren Händen Flugblätter, die zeigen, das das (Exodus) eine organisierte Aktion war«, so Kyritsis. Zuvor hatte er an einer Dringlichkeitssitzung unter Vorsitz des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras teilgenommen. »Wir fordern die Migranten und Flüchtlinge auf, den griechischen Behörden zu vertrauen und es zu akzeptieren, in andere Lager gebracht zu werden.« Die Lage im Flüchtlingslager Idomeni sei »absolut aussichtslos«. Griechische Medien veröffentlichten Kopien der Flugblätter, die Unbekannte an die Migranten verteilt hatten. Darin ist der Weg eingezeichnet, wie die Migranten den mazedonischen Zaun meiden können und über Umwege nach Mazedonien einreisen können. Agenturen/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal