Einmal Flüchtling und zurück

Teil I des Tagebuchs aus Idomeni: Obwohl Suleiman in Deutschland Asyl bekam, musste er zurück in die Hölle von Idomeni

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Wochen hält Europa nun schon seine Grenzen dicht. Oder besser: Hat das letzte verbliebene Schlupfloch in seinen schon vorher geschlossenen Grenzen gestopft. 14.000 Menschen warten am griechisch-mazedonischen Grenzübergang Idomeni. Über 40.000 sollen es in ganz Griechenland sein. Als ich am Dienstagmittag am Bahnhof von Athen ankomme, ist die Wartehalle trotzdem mit Flüchtlingen gefüllt.

Alle von ihnen wollen nach Idomeni, fast alle dann weiter nach Deutschland: Die aufgedrehte Gruppe junger afghanischer Freunde, die immer nur schwer von der noch aufgedrehten griechischen Schulklasse zu unterscheiden ist. Die syrische Großfamilie aus drei Brüdern, vier Schwestern, zwei Schwagern, zwei Kleinkindern und einem Baby, die allein gefühlt den halben Warteraum einnehmen, dafür aber sie andere Hälfte mit Schokokeksen versorgen. Jeden Tag gehe das so, seit Monaten, ununterbrochen, ja auch in den letzten Wochen, erzählt mir die Ticketverkäuferin und blickt mich ungläubig an, als ich sie frage, mit welchem Zug ich fahren soll, um auf ein paar Flüchtlinge zu treffen. »Das ist völlig egal, nehmen Sie den nächstbesten.«

Im nächstbesten Zug treffe ich Suleiman, der sich mir scherzend als Fliesenleger aus Deutschland vorstellt. Wo er wirklich herkomme, will ich wissen und er erzählt eine jener Flüchtlingsgeschichten, die nicht weniger bewegend werden, desto häufiger man sie hört. In Kurzform: Schönes Leben als Kurde in der nordsyrischen Kleinstadt Malakia. Mit vielen Abers natürlich, aber was soll man sich über früher beschweren, wenn heute das gesamte Leben in einen alten 4You-Rucksack passt. Als der IS kam, flüchteten Suleiman und seine Ehefrau Bahigan. Sein altes Leben, seine Eltern und 13 Geschwister, sein Studium in Damaskus, blieben in der belagerten Stadt zurück.

Als mir Suleiman seinen Ausweis zeigt, damit ich seine Stadt richtig schreibe, dauert es ein paar Sekunden bis ich die Bedeutung des Bundesadler-Wasserzeichens realisiere. Und noch ein paar Sekunden mehr bis mir einfällt, dass seine Vorstellung als deutscher Fliesenleger wohl doch kein Witz war. Der Rest der Story hätte das Zeug zum romantischen Drama, nur ein halbwegs glaubwürdiges Happy-End wäre schwierig zu schreiben.

Weil er die Reise über das Mittelmeer und den Balkan für zu gefährlich hält, lässt Suleiman seine Frau bei Verwandten in der Türkei zurück. Im festen Glauben, sie später über die Familienzusammenführung nachholen zu können, kommt er Anfang 2015 in Deutschland an. Nach ein paar Monaten wird sein Asylantrag bewilligt, Suleiman findet eine Wohnung nahe des Berliner Bahnhofs Zoo, will studieren, mit seiner Frau eine Familie gründen. Doch sein Antrag auf Familienzusammenführung wird abgelehnt. Der Grund: Auf der Flucht ging seine Heiratsurkunde verloren. Die Kopie reicht der Sachbearbeiterin nicht aus. Mit einer Unterschrift könnte sie Bahigan die Reise über das Mittelmeer und den Balkan ersparen. Sie tut es nicht. Und Suleiman beschließt, seine mittlerweile in Idomeni gestrandete Frau selbst abzuholen. Erst floh er vor dem IS, nun vor der deutschen Bürokratie.

Es ist gegen 20 Uhr als Suleiman und ich im strömenden Regen in Thessaloniki jemanden suchen, der uns in das Lager bringt. Auf einem Tankstellenparkplatz fünf Kilometer von Idomeni entfernt, liegen sich Bahigan und Suliman schließlich zum ersten Mal seit zwei Jahren knutschend in den Armen. Im Hintergrund brennt der Müll. Vorbeifahrende LKWs spritzen Regenfontänen über die Liebenden. Die erste gemeinsame Nacht seit zwei Jahren verbringen Suleiman und Bahigan im durchweichten Zelt neben der Zapfsäule für Super Bleifrei. Käme irgendein Fernsehsender auf die Idee, eine Flüchtlingsedition von Linda de Mols Traumhochzeit zu produzieren, die europäische Realität hätte er an Zynismus nicht übertreffen können.

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