Widerstand gegen Gebietsreform

In Thüringen vermelden die Organisatoren eines Volksbegehren erste Erfolge

  • Friedhelm Berger
und Andreas Hummel, Stadtroda
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Verwaltungs- und Gebietsreform ist ein zentrales Vorhaben von Rot-Rot-Grün in Thüringen: Die Zahl der Kreise, kreisfreien Städte und Gemeinden soll sich verringern. Doch es gibt viel Ablehnung.

Die Initiatoren für ein Volksbegehren in Thüringen gegen die von Rot-Rot-Grün geplante Gebietsreform haben binnen weniger Wochen Hunderte Unterstützer gewonnen - und sehen sich so in ihrem Ansinnen bestätigt. An der Spitze dieser Bewegung stehen zwei Frauen aus Ostthüringen: Constance Möbius (41) und Sabine Kraft-Zörcher (53). Die eine ist Chefin der Verwaltungsgemeinschaft Hermsdorf, Hobbyimkerin und Altstimme im Stadtrodaer Kirchenchor. Die andere ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht mit Kanzlei in Jena. Sie stehen dem Trägerverein »Selbstverwaltung für Thüringen« vor, der vor einem Monat gegründet wurde - seit wenigen Tagen ist er nun auch offiziell am Amtsgericht eingetragen.

»Die Resonanzwelle auf die Gründung hat uns ziemlich überrollt«, erzählt Möbius. »Wir haben Anrufe und E-Mails ohne Ende bekommen - dabei sind wir noch gar nicht direkt an die Bürger herangetreten.« Bereits jetzt gebe es mehr als 1000 Unterstützer - über 900 haben sich allein auf der Internetseite des Vereins eingetragen. Wenn jeder nur fünf Unterschriften bringe, sei die erste Hürde zum Volksbegehren genommen, rechnet Möbius vor. Denn mindestens 5000 Unterschriften sieht das Gesetz vor, um ein solches Begehren beim Landtagspräsidenten beantragen zu können.

Die Pläne von Rot-Rot-Grün zur Zusammenlegung von Landkreisen, Auflösung der Verwaltungsgemeinschaften und Fusion von Gemeinden sind umstritten. Vor allem in den Kommunen regt sich Widerstand. Deswegen war schon mehrfach eine Befragung der Thüringer darüber ins Gespräch gebracht worden. Etwa von der Präsidentin des Landkreistages, Martina Schweinsburg, der Jungen Union und im Januar auch von der AfD im Landtag. Da bisher aber keine konkreten Schritte unternommen wurden, haben sich Möbius, Vereinsvize Kraft-Zörcher und weitere Mitstreiter entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Die beiden parteilosen Frauen stört vor allem, dass sich die Regierung aus ihrer Sicht Alternativen verschließe. »Wir hatten nicht das Gefühl, dass man sich offen mit Redebeiträgen der Bürger auseinandersetzen wollte«, sagt Kraft-Zörcher mit Blick auf die vom Thüringer Innenministerium organisierten Regionalkonferenzen.

»Wir wollten uns von Anfang an konstruktiv in die Debatte einbringen und haben eigene Ideen zur Verbesserung der Verwaltung entwickelt«, ergänzt Möbius. Sie habe aber den Eindruck, dass dies gar nicht erwünscht sei. Vielmehr würden mit den Plänen funktionierende Strukturen zerschlagen. Auch das Argument, dass mit größeren kommunalen Einheiten effizienter und kostengünstiger gearbeitet werden könne, ziehen sie in Zweifel und verweisen auf ähnliche Reformen jüngeren Datums in anderen Ländern.

Möbius und Kraft-Zörcher sind überzeugt, dass sich eine Verwaltungs- und Funktionalreform auch gut ohne eine Gebietsreform umsetzen lasse. So soll das Volksbegehren denn auch nur einen konkreten Satz beinhalten, wie Kraft-Zörcher erklärt: »Das Vorschaltgesetz wird aufgehoben.« Durchstarten wollen sie, sobald jenes Gesetz, das den Weg der Gebietsreform ebnen soll, im Thüringer Landtag verabschiedet ist. Das soll im Sommer so weit sein. Zum Volksentscheid werde es frühestens im Herbst 2017 kommen, prognostizieren sie.

Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) verweist auf das noch ausstehende Gesetzgebungsverfahren. Alle Bürger könnten zum Entwurf des Gesetzes Kritik, Meinungen und Vorschläge äußern. Poppenhäger: »Ein gegen dieses Gesetz geplantes Volksbegehren oder ein Volksentscheid liefe zum jetzigen Zeitpunkt daher ins Leere.«

Die kommunalen Spitzenverbände sind sich bisher uneins, wie sie zu einer solchen Befragung stehen. Der Landkreistag habe noch keine abgestimmte Position, sagt Vizepräsident Peter Heimrich (SPD), der Landrat von Schmalkalden-Meiningen ist. Anders als CDU-Landrätin Schweinsburg lehnt er einen solchen Entscheid persönlich ab. »Eine Reform ist überfällig, und wir brauchen angesichts der kleinteiligen Verwaltung dringend Veränderungen.« Er räumt ein, dass es einfacher sein dürfte, Stimmen gegen als für die Gebietsreform zu organisieren.

Der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes, Ralf Rusch, verweist auf unterschiedliche Interessen einzelner Mitglieder seines Verbandes. Es gebe aber Schnittmengen und eine gute Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe, aus der der Verein hervorgegangen ist. »Ich kenne Frau Möbius als eine engagierte Frau vom Fach, die weiß, wie gute Verwaltung funktioniert. Auf solche Leute sollte man hören«, betont Rusch.

Nach Ansicht von Ralf-Uwe Beck, Sprecher des Vereins »Mehr Demokratie«, wird sich im Verfahren bis zum Volksentscheid hin von selbst herausstellen, ob dies ein guter Weg ist. Sicher sei aber: »Wenn jemand zum Mittel der direkten Demokratie greift, dann ist das immer ein Merkposten für den Gesetzgeber, den Dialog zu verstärken.« dpa/nd

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