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Tierische Invasion aus Südamerika

Seit 15 Jahren vermehren sich die Nandus im Nordosten - Touristen suchen sie, Landwirte wünschen sie zum Teufel

  • Hagen Jung, Utecht
  • Lesedauer: 6 Min.
Frei lebende Nandus sind seit über 15 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern beliebtes Ziel für kamerabewaffnete Touristen. Auch Landwirte möchten gern auf die Vögel zielen - mit dem Gewehr.

Die häusliche Osterdekoration mit einem besonders großen bunt bemalten Ei bereichern, nicht mit so einem gewöhnlichen von Huhn oder Ente: Der Wunsch lässt sich erfüllen mit den etwa 15 Zentimeter hohen Eiern des Nandus. Zu haben per Internet, ausgeblasen und gewaschen, angeboten zumeist von privaten Haltern der straußenähnlichen Laufvögel. Wer statt Nandu-Eier lieber laufende Nandus betrachten möchte, muss dazu weder Zoo noch Privatgehege ansteuern. Die in Südamerika beheimateten Tiere sind auch in Deutschland in freier Wildbahn zu finden, in Nordwestmecklenburg. Aufgetaucht sind sie dort im Herbst 2000 nach einem gelungenen Ausbruchsversuch. Eingesperrt bei Groß Grönau nahe Lübeck in Schleswig-Holstein, suchte ein Nandu-Grüppchen eine Schwachstelle im Freigehege und fand sie. Dem Grenzübertritt nach Mecklenburg-Vorpommern stand nur noch die Wakenitz im Wege, ein Nebenfluss der Trave. Doch Nandus können gut schwimmen, die vier Hennen und drei Hähne gelangten sicher ans Ufer des Nachbarlandes.

Aus jener Klein- ist längst eine Großfamilie geworden: 177 Nandus wurden vor fünf Monaten im Biosphärenreservat Schaalsee gezählt. Am Gewässer, das jenem Refugium den Namen gibt, werden die Tiere beim Osterausflug kaum zu sehen sein. Sie tummeln sich eher in der Nähe des Ratzeburger Sees, in der ehemaligen DDR/BRD-Grenzregion im Umfeld kleiner Orte wie Utecht, Schattin oder Schlagsdorf. »Wo bitte, können wir hier Nandus sehen?« Reaktionen auf diese Frage des Ausflüglers lassen ahnen, dass sich die Sympathie vieler Ortsansässiger zu den grau-braun gefiederten Zuwanderern - dezent ausgedrückt - sehr in Grenzen hält. »Bleibt mir bloß weg mit den ollen Mistviechern«, knurrt ein Traktorist, der an seinem Vehikel hantiert. Eine weitere Frage zu nanduverdächtigen Ecken in der Landschaft quittiert der Brummbär nur mit einer wegwerfenden Handbewegung, klettert wortlos auf den Trecker und knattert davon. Auskunftsbereit dagegen ist wenige Kilometer weiter ein älteres Paar. Zugezogen sind sie in diese Gegend, erzählen die Spaziergänger. Nandus haben sie zum letzten Mal vor drei Wochen gesichtet. »Und sie sind auch schon ganz dicht vor uns über die Straße gelaufen.« Manchmal sehe man sie nahezu tagtäglich, dann wieder wochenlang gar nicht. Wo sie jetzt sind? Irgendwo in der gut 150 Quadratkilometer weiten Nanduregion.

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Kein Flieger

Der Osten Südamerikas ist die Heimat der Nandus. In Argentinien, Chile, Paraguay Uruguay, Brasilien und Bolivien sind sie zu Hause. Auf den ersten Blick ähnelt der grau-braune Vogel einem kleinen Strauß. Ein erwachsenes Tier wird bis zu 1,40 Meter groß und bringt etwa 25 Kilogramm auf die Waage.

Der Nandu, sein wissenschaftlich lateinischer Name lautet Rhea americana, ist der Laufvogel mit den größten Flügeln. Er gilt als guter Schwimmer. Seinen Namen soll er von einer südamerikanischen Bezeichnung für »große Spinne« haben, da der balzende Nandu wie eine solche erscheint. Die Vögel fressen vor allem Gräser, Kräuter, Insekten und Kleintiere.

Mit Lauchjacke

Schmeckt der Nandu? In Deutschland lässt sich diese Frage wohl nur schwer beantworten, ist er hier doch weder auf den Speisekarten der Gastronomie noch in der Tiefkühltruhe des Supermarktes zu finden. Im Gegensatz zum Strauß, dessen Fleisch in Aussehen und Geschmack dem des Rindes ähnelt.

In seiner angestammten Heimat Südamerika ist der Nandu durchaus kein Exot in Topf und Pfanne. Wohl für Reisende dorthin gibt es im Internet auch deutschsprachige Tipps zum Zubereiten des Großvogels: Vom »Nandu im Orange- und Mandarinenbad« über würziges Steak mit Nudeln bis zum »Gefüllten Nandumedaillon in Lauchjacke«. haju

Zu ihr zählt auch das »Grenzhus«, das bei Schlagsdorf an die einstigen Sperranlagen erinnert. Auch dort, so ein Tipp aus dem Biosphärenreservatsamt, lassen sich dann und wann Nandus sehen. Waren hier in jüngster Zeit welche? Eine Frau auf dem Weg, so gefragt, reagiert ähnlich wie der mufflige Mann am Traktor. »Weiß nicht«, murmelt sie, stiefelt davon. Nandus, nein danke? Auch Hans-Friedrich Grube ist den Großvögeln gram. Grimmig aber freundlich berichtet er, wie ihm Nandus vor fünf Jahren seine Rapsflächen bei Utecht kahl gefressen haben. »Rund 30 000 Euro Schaden«, ärgert sich der Landwirt. Zum Ärger gesellte sich seinerzeit eine bittere Erfahrung. Als Grube Schadensausgleich für den Vogelfraß beantragte, konterte die Behörde mit einer Rechtsauskunft, die an das »Grundgesetz« der despotischen Eber aus Orwells Fabel »Animal Farm« erinnert: »Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.« Landwirt Grube erfuhr: Fressvogel ist nicht gleich Fressvogel. Hätten Kraniche oder Wildgänse den Raps verputzt, wäre Entschädigungsgeld geflossen. Stopfen sich dagegen Nandus die Mägen mit sprießenden Nutzpflanzen voll, gibt’s keinen Cent.

Grund für die Absage ist die »Ertragsausfallrichtlinie« des Landes. Sie besagt: Schadensersatz wird nur gezahlt, wenn einheimische Vögel den Acker kahl gefressen haben. Nandus zählen nicht dazu, ihre Heimat ist nun mal Südamerika. »Es ist doch egal, wer mir die Ernte verdirbt, ob Kraniche oder diese Laufvögel - weggefressen ist weggefressen«, schimpft der Bauer. Es gab Zoff. Grube schaltete einen Rechtsanwalt ein, blieb aber auf dem Schaden sitzen. Noch mehrmals hat er Raps angebaut, und immer wieder gab es Nandu-Schäden, blickt er zurück. »Jetzt habe ich aufgegeben, nun kommt dort Getreide hin.« Auch bei Berufskollegen seien die Nandus schon unangenehm aufgefallen, berichtet der Landwirt.

Nicht nur Grube empfindet das Regelwerk, das einen Schadensausgleich von der Vogelart abhängig macht, als unsinnig. Das ZDF widmete der Sache einen Beitrag mit dem Titel »Wenn der Amtsschimmel wiehert«. In jener Sendung machte auch ein Jäger seinem Unmut über die Nandus Luft. »Sie bedrohen heimische Insekten«, so der Waidmann. Eine geschützte Heuschrecke könnte von der Fresslust der Großvögel bedroht sein, heißt es in Jägerkreisen. »Können die Jäger das belegen?« Zweifelnd fragt dies Frank Philipp, Initiator der Internet-Präsenz »nandu-info«. Der Zoologe hat seine Diplomarbeit über die »Lebensweise und Raumnutzung des Nandus in der Landschaft Nordwestmecklenburgs« geschrieben, befasst sich wissenschaftlich mit den Großvögeln, betrachtet Angaben zu deren Schädlichkeit sehr skeptisch. »Darüber können wir sachlich reden«, sagt der Experte, aber: »Wenn die Jäger behaupten, dass die Nandus hier geschützte Insekten vertilgen, dann sollte das mit Daten und Fakten untermauert werden.« Nach aktuellen Daten zu den Großvögeln gefragt, sagt Philipp: Derzeit seien etwa 150 Exemplare im Beobachtungsraum unterwegs. Und die Entwicklungstendenz? »Langfristig steigend.« Werden sich die Tiere derart stark vermehren, dass in die Population eingegriffen werden muss, um Schäden zu verhindern? Dazu sieht Philipp derzeit keinen Anlass. Und falls solches Eingreifen irgendwann einmal unvermeidbar sein sollte, dann müsse die Notwendigkeit »hieb- und stich- und auch gerichtsfest« sein. Wer jetzt unerlaubt per Gewehr in den Nandu-Bestand eingreife, handle gesetzwidrig und gefährde seinen Jagdschein, warnt der Wissenschaftler.

Das trifft zu, denn der Nandu unterliegt nicht dem Jagdrecht. Darüber hinaus bewahrt ihn das Washingtoner Artenschutzabkommen vor Kugel und Schrot. Allerdings hat das Bundesamt für Naturschutz den Nandu 2010 in die »Graue Liste« aufgenommen. Auf ihr stehen »gebietsfremde« Tiere, für die Hinweise vorliegen, dass sie »heimische Arten direkt gefährden« oder deren Lebensräume gefährdend verändern. Gegen diese »Gefährder« wird nicht vorgegangen, aber sie werden von Experten beobachtet, auch mit Blick auf Vermehrung und Verbreitung. Statt sie zu beobachten, möchten viele Landwirte und Jäger die Nandus aber lieber abschießen. Ein Wunsch, der auch Mecklenburg-Vorpommerns Landtag beschäftigt. So hatte CDU-Fraktionschef Vincent Kokert schon 2011 gefordert, der Nandu möge per Ausnahmegenehmigung zum Bejagen frei gegeben werden »angesichts der erheblichen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen«. Wenn aber weiter der Schutz jenes Vogels gefordert werde, dann müsse es für den von ihm verursachten Schaden ausreichend Ausgleich geben. Das wiederum ist nur möglich, wenn der Nandu den Status »einheimisch« erhält.

Den bekommt eine Tierart laut Naturschutzgesetz erst dann, wenn sie sich »in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population« erhält. Das ist im Fall Nandu durchaus denkbar, denn natürliche Feinde bedrohen den Großvogel wohl kaum, zumal er recht wehrhaft ist. Er kann heftig zutreten und ist mit einem spitzen Schnabel bewaffnet. Im Raum Schaalsee wurde auch schon beobachtet, wie ein Nandu-Hahn einen Hund attackiert. Bleibt als Bedrohung der Mensch mit seinen Autos, vor die der Nandu beim Überqueren der Straße laufen kann. Schon so manches Mal ist das geschehen in Nordwestmecklenburg. Wie oft? Darüber werde keine Statistik geführt, heißt es bei der Polizeiinspektion in Wismar. Für den Vogel kann der Crash das Ende bedeuten, für den Wagenbesitzer hohe Reparaturkosten. Übernimmt sie die Versicherung? Die »normale« Teilkasko, die Haarwildschäden reguliert, in der Regel nicht, informiert Pressesprecher Hasso Suliak vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Doch es würden durchaus »Vertragsbausteine« angeboten, die Tierschäden allgemein abdecken, auch den Zusammenprall mit einem Nandu. Eine Anfrage beim jeweiligen Versicherer sei zu empfehlen. Grundsätzlich zu empfehlen ist hohe Aufmerksamkeit bei der Fahrt durchs Nandurevier. Die stattlichen Tiere sind bis zu 60 Stundenkilometer schnell, und nicht selten tauchen sie unerwartet auf der Straße auf. Wenn sie denn auftauchen. Denn eine Garantie auf ihr Erscheinen gibt es nicht!

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