Vom Verschwinden der Brötchen-Geber

Billigware vom Discounter setzt Bäcker zunehmend unter Druck - in Dresden etwa gibt es nur noch 100 Betriebe

  • Christiane Raatz, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Michael Wippler ist Traditionsbäcker in Dresden. Als Verbandspräsident vertritt er die Interessen der deutschen Zunft. Deren zentrales Problem: Gegen die Billigbrötchen der Industrie zu bestehen.

Zeit in der Backstube verbringt Michael Wippler nur noch selten. Auch wenn er sich nach einem Zwölf-Stunden-Tag voller Sitzungen und Konferenzen manchmal danach sehnt, zu kneten und zu backen. »Wenn man den Ofen aufmacht, hundert frischgebackene Brote lachen einen an und es riecht so wunderbar, dann weiß man, was man gemacht hat«, sagt der 62-Jährige mit den grauen Haaren und dem sorgfältig gestutzten Bart. Seit knapp einem halben Jahr ist der Dresdner Präsident des deutschen Bäckerhandwerks - und für die Interessen von mehr als 12 600 Meisterbetrieben in ganz Deutschland zuständig.

Wippler stammt aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie - sein Großvater eröffnete 1910 in Dresden die gleichnamige Bäckerei, später führte sie der Vater, seit 1981 ist Michael Wippler der Chef. Heute kümmern sich seine Kinder Andreas und Kathrin um das Tagesgeschäft - in vierter Generation. »Das ist schön, dass wir drei Familien sind und uns einteilen können«, sagt Wippler.

Das Stammhaus ist im früheren Kammergut von Schloss Pillnitz untergebracht - einem Dreiseithof nicht weit von der Elbe entfernt. Dunkle Holzbalken und nostalgische Lampen bilden einen Kontrast zur modernen Verkaufstheke. Gleich dahinter liegt die Backstube mit der kleinen Konditorei. Hier werden pro Tag bis zu 7000 Brötchen und 600 Brote gebacken - und mehrmals die fünf Filialen am Elbhang mit frischer Eierschecke, Brötchen und Co. beliefert. Die Läden sind alle in der Nähe. »Für uns ist die Art und Weise wichtig, wie wir backen. Und das geht nur, wenn man nicht zu groß ist«, sagt Wippler. Rund 90 Mitarbeiter beschäftigt das Dresdner Traditionsunternehmen.

Gegen die industriell hergestellten Billigwaren zu bestehen, ist laut Wippler die derzeit größte Herausforderung für die Traditionsbäcker in Deutschland. »Der Druck ist enorm«, sagt der Verbandspräsident. Der Backwarenmarkt ist längst gedeckelt. »Jeder neue Teilnehmer kann nur existieren, wenn er anderen was wegnimmt.« Immer mehr Discounter, Läden und Tankstellen bieten Backwaren an. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kaufen vier von zehn Deutschen regelmäßig ihre Backwaren in einer Selbstbedienungsbäckerei.

Den Begriff vom »Bäckersterben« will Wippler aber nicht in den Mund nehmen und redet eher von einem Strukturwandel. Die Zahl der backenden Betriebe aber sinkt deutschlandweit. Laut Verband gibt es derzeit noch rund 10 000 Betriebe, die selbst backen, Anfang der 1990er Jahre lag deren Zahl noch bei 27 000. Rund 13 Milliarden Euro Umsatz macht das Bäckerhandwerk deutschlandweit und beschäftigt rund 280 000 Mitarbeiter. Wippler greift gern auf die eigene Geschichte zurück, um zu zeigen, wie sich die Branche verändert hat. 1981 übernahm er den Betrieb von seinem Vater, damals gab es rund 200 Bäckereien in Dresden. 1947, als sein Vater Chef wurde, waren es noch 400 Bäckereien, 1910 bei der Gründung etwa 800. Heute gibt es in der Stadt noch etwa 100 Handwerksbetriebe. »Pro Generation halbiert sich die Anzahl, kann man sagen.«

Brot und Brötchen aus der eigenen Backstube schmecken anders als vorgebackene Teiglinge. Davon müssten die Bäcker ihre Kunden überzeugen, sagt Wippler. »Viele Bäckereien haben tolle und individuelle Konzepte, das macht mir Mut.« Ausgefallene Brötchensorten mit Curry und Cranberry, hausgebackene Torten und Co. »Ich glaube, es gibt auch ein Umdenken bei den Menschen, dass der Preis nicht mehr alles ist«, sagt Wippler.

Anders als früher muss der Bäcker nicht nur gut backen können, auch professionelle Betriebsführung, kaufmännisches Wissen und eine gute Marketingstrategie sind gefragt. »Wir müssen individuelle Konzepte entwickeln, um zu überleben«, so Wippler. Dem Thema Digitalisierung müssen sich die Bäcker stärker widmen - ein guter Internetauftritt, Bestellungen per Mail. »Da müssen wir weiter denken.« Immer mehr Leute lebten mobil, der Außer-Haus-Verzehr und der Online-Lebensmittelversand seien ein »gigantischer Markt«, der auch an den Bäckereien nicht vorübergehe.

Wippler mag seinen Job - als Bäcker und nun als Vertreter seiner Zunft. Jeder Tag ist anders, jeder Tag bringt neue Herausforderungen. »Insofern ist das ein erfülltes Leben in so einem Handwerksbetrieb.« dpa/nd

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